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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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534. An Karoline (und Emma) Richter.

Das ganze Jahr schreib' ich fast nicht so viele Briefe als unter-
wegs und zwar an dich, liebe Karoline; für mich unter allen Schreibe-
reien die behaglichste; und du kannst künftig der Welt mit ihnen5
zeigen, daß ich einen leichten Stil habe. -- Gesund bin ich ganz*);
aber das ewige Herumtrinken (siehe nur den Speisezettel) verwüstet
doch am Ende; zum Glücke hab' ich mir noch nicht das kleinste Über-
treten vorzuwerfen. Gestern aß ich bei dem baierschen Gesandten
Tautphaeus, wo auch der gefällige angenehme preußische war, und10
die Huber, Dannecker, Matthison etc. Mit der Frau -- die ein
sehr schönes freundliches Gesicht mit seltsam-schön geschnittenen
Lippen, doch nicht vorzüglicher Geist noch besondere Empfindsamkeit
auszeichnen -- und mit der Tochter und noch einer schönen Gestalt,
deren Namen ich vergessen, fuhr ich zu dem Konzert auf der Silber-15
burg; und ich hab' es besonders zu rühmen, daß sie vor meiner Thüre
halten, mich herausspringen und den heulenden Pudel oben herunter-
bringen ließ. Auf der Silberburg fand ich neulich zuerst, daß ich
den weiblichen Gesichtern (hohen und niedrigen) früher bei dir Un-
recht gethan und daß recht viele schöne vor mir vorbei gegangen. Die20
Weiber hier find' ich -- und eben so die Männer -- einfach, schlicht,
ohne schreiende Farben weder im Guten noch Bösen, anspruchlos,
sogar im Putze.**) Leider setzen sie sich und die Männer stellen sich
bei dem Thee zusammen; aber ich wehr' es sehr ab und stellte neulich
dem Cotta seine eigne Frau vor, damit er höflich dem Halbzirkel25
näher käme. -- Von Cotta hab ich durch Reinbeck und Haug das
Bild eines eiteln Geizhalses erhalten; und er ist nur gegen andere
durchaus nicht so, wie er bisher gegen mich im Handel gewesen.
Ich thu ihm keinen Tritt entgegen, und komme nur eingeladen,
welches heute das 2te mal ist.***) Ich werde Otto wichtige Züge von30
ihm erzählen; -- z. B. er macht selber den Korrektor und quält

*) Nur der Ausschlag auf der Stirn dehnt sich aus und sticht erbärmlich
gegen meine andern Reize ab.
**) aber ungeheuere Damenhüte, unter die ein Mann, der rückwärts ginge,
sich im Regen bei den Trägerinnen unterstellen könnte.35
***) Es war ein Thee, und zwar ein lumpiger; kein Tropfen Punsch!
534. An Karoline (und Emma) Richter.

Das ganze Jahr ſchreib’ ich faſt nicht ſo viele Briefe als unter-
wegs und zwar an dich, liebe Karoline; für mich unter allen Schreibe-
reien die behaglichſte; und du kannſt künftig der Welt mit ihnen5
zeigen, daß ich einen leichten Stil habe. — Geſund bin ich ganz*);
aber das ewige Herumtrinken (ſiehe nur den Speiſezettel) verwüſtet
doch am Ende; zum Glücke hab’ ich mir noch nicht das kleinſte Über-
treten vorzuwerfen. Geſtern aß ich bei dem baierſchen Geſandten
Tautphaeus, wo auch der gefällige angenehme preußiſche war, und10
die Huber, Dannecker, Matthiſon ꝛc. Mit der Frau — die ein
ſehr ſchönes freundliches Geſicht mit ſeltſam-ſchön geſchnittenen
Lippen, doch nicht vorzüglicher Geiſt noch beſondere Empfindſamkeit
auszeichnen — und mit der Tochter und noch einer ſchönen Geſtalt,
deren Namen ich vergeſſen, fuhr ich zu dem Konzert auf der Silber-15
burg; und ich hab’ es beſonders zu rühmen, daß ſie vor meiner Thüre
halten, mich herausſpringen und den heulenden Pudel oben herunter-
bringen ließ. Auf der Silberburg fand ich neulich zuerſt, daß ich
den weiblichen Geſichtern (hohen und niedrigen) früher bei dir Un-
recht gethan und daß recht viele ſchöne vor mir vorbei gegangen. Die20
Weiber hier find’ ich — und eben ſo die Männer — einfach, ſchlicht,
ohne ſchreiende Farben weder im Guten noch Böſen, anſpruchlos,
ſogar im Putze.**) Leider ſetzen ſie ſich und die Männer ſtellen ſich
bei dem Thée zuſammen; aber ich wehr’ es ſehr ab und ſtellte neulich
dem Cotta ſeine eigne Frau vor, damit er höflich dem Halbzirkel25
näher käme. — Von Cotta hab ich durch Reinbeck und Haug das
Bild eines eiteln Geizhalſes erhalten; und er iſt nur gegen andere
durchaus nicht ſo, wie er bisher gegen mich im Handel geweſen.
Ich thu ihm keinen Tritt entgegen, und komme nur eingeladen,
welches heute das 2te mal iſt.***) Ich werde Otto wichtige Züge von30
ihm erzählen; — z. B. er macht ſelber den Korrektor und quält

*) Nur der Ausſchlag auf der Stirn dehnt ſich aus und ſticht erbärmlich
gegen meine andern Reize ab.
**) aber ungeheuere Damenhüte, unter die ein Mann, der rückwärts ginge,
ſich im Regen bei den Trägerinnen unterſtellen könnte.35
***) Es war ein Thee, und zwar ein lumpiger; kein Tropfen Punſch!
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[274/0282] 534. An Karoline (und Emma) Richter. Stuttgart d. 20. Jun. 〈Sonntag〉 1819 Das ganze Jahr ſchreib’ ich faſt nicht ſo viele Briefe als unter- wegs und zwar an dich, liebe Karoline; für mich unter allen Schreibe- reien die behaglichſte; und du kannſt künftig der Welt mit ihnen 5 zeigen, daß ich einen leichten Stil habe. — Geſund bin ich ganz *); aber das ewige Herumtrinken (ſiehe nur den Speiſezettel) verwüſtet doch am Ende; zum Glücke hab’ ich mir noch nicht das kleinſte Über- treten vorzuwerfen. Geſtern aß ich bei dem baierſchen Geſandten Tautphaeus, wo auch der gefällige angenehme preußiſche war, und 10 die Huber, Dannecker, Matthiſon ꝛc. Mit der Frau — die ein ſehr ſchönes freundliches Geſicht mit ſeltſam-ſchön geſchnittenen Lippen, doch nicht vorzüglicher Geiſt noch beſondere Empfindſamkeit auszeichnen — und mit der Tochter und noch einer ſchönen Geſtalt, deren Namen ich vergeſſen, fuhr ich zu dem Konzert auf der Silber- 15 burg; und ich hab’ es beſonders zu rühmen, daß ſie vor meiner Thüre halten, mich herausſpringen und den heulenden Pudel oben herunter- bringen ließ. Auf der Silberburg fand ich neulich zuerſt, daß ich den weiblichen Geſichtern (hohen und niedrigen) früher bei dir Un- recht gethan und daß recht viele ſchöne vor mir vorbei gegangen. Die 20 Weiber hier find’ ich — und eben ſo die Männer — einfach, ſchlicht, ohne ſchreiende Farben weder im Guten noch Böſen, anſpruchlos, ſogar im Putze. **) Leider ſetzen ſie ſich und die Männer ſtellen ſich bei dem Thée zuſammen; aber ich wehr’ es ſehr ab und ſtellte neulich dem Cotta ſeine eigne Frau vor, damit er höflich dem Halbzirkel 25 näher käme. — Von Cotta hab ich durch Reinbeck und Haug das Bild eines eiteln Geizhalſes erhalten; und er iſt nur gegen andere durchaus nicht ſo, wie er bisher gegen mich im Handel geweſen. Ich thu ihm keinen Tritt entgegen, und komme nur eingeladen, welches heute das 2te mal iſt. ***) Ich werde Otto wichtige Züge von 30 ihm erzählen; — z. B. er macht ſelber den Korrektor und quält *) Nur der Ausſchlag auf der Stirn dehnt ſich aus und ſticht erbärmlich gegen meine andern Reize ab. **) aber ungeheuere Damenhüte, unter die ein Mann, der rückwärts ginge, ſich im Regen bei den Trägerinnen unterſtellen könnte. 35 ***) Es war ein Thee, und zwar ein lumpiger; kein Tropfen Punſch!

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/282>, abgerufen am 12.05.2024.