Endlich (seit dem 7ten abends) bin ich, mein geliebter Heinrich, seit vorgestern in dem Stuttgart, aus welchem Cotta vor 6 Tagen deinen theuern Brief an mich aus zu großer Pünktlichkeit nach5 Baireut gejagt. Mehr glücklicher Weise hat er sich selber auf eine Woche mit Familie auf sein Landgut davon gemacht und mir dadurch das Wohnen in seinem Pallast erspart, das ich ihm schwerlich hätte abschlagen können. Jetzo ruh' ich seit heute seelig in Abrahams gemiethetem Schooß, nämlich in zwei Zimmerchen des Kaufmanns10 Carl Mohr. Himmel! wie erbleicht und verschießt dagegen der König von England, so glänzend und ungemüthlich und theuer der auch für mich gewesen! -- Alter, ich sehne mich recht nach deinen letzten Zeilen und beneide meine Frau.
Alles was ich gewiß weiß (lauter verdammte ss etc.), ist, daß du15 nun auf eine gute, kurze, leichte aber genaue Schilderung von Stuttgart und deren [!] Menschen und Leuten aufsiehest, um zu wissen, wie es mir geht und der Stadt; aber da passe! Danke nur Gott und Haug -- die mir dieses gemüthliche*) Zimmer ange- wiesen -- --20
d. 10. Ich weiß nicht mehr, was ich gestern habe schreiben wollen. Dieser Brief soll überhaupt nur das couvert der künftigen Briefe sein; denn meine Frau verlangt jetzo die schleunigsten. -- -- An meine gute Wirthin daher nächstens. -- Du guter Heinrich, warum hast du dir mit der Goldeinwechslung so viele Mühe ge-25 macht? -- Dein Fuhrmann setzt dir unzählige Kronen auf so wie dem Truchseß auch. Sein Sohn brachte mich hieher, einer der vollendetsten Menschen nicht im Kutscher- sondern im unteren Stande. -- Unter der Menge gehörter Menschen gefällt mir Haug durch seine Gutmüthigkeit am meisten, die überhaupt die30 guten Schwaben jedem gleichsam ans Herz legt. Heute ess' ich bei der verdienstreichen Gräfin Beroldingen; und mir grauset halb vor der Fluth von Menschen und Einladungen, in der ich nun mein Ameisenbad nehmen muß. Hätt' ich nur einen Heinrich neben mir! So aber muß ich einsam ohne Mittheilen empfangen.35
*) Der Engländer würde comfortable sagen; gemüthlich kann er nicht sagen.
529. An Heinrich Voß in Heidelberg.
Stuttgart d. 9ten Jun. 1819
Endlich (ſeit dem 7ten abends) bin ich, mein geliebter Heinrich, ſeit vorgeſtern in dem Stuttgart, aus welchem Cotta vor 6 Tagen deinen theuern Brief an mich aus zu großer Pünktlichkeit nach5 Baireut gejagt. Mehr glücklicher Weiſe hat er ſich ſelber auf eine Woche mit Familie auf ſein Landgut davon gemacht und mir dadurch das Wohnen in ſeinem Pallaſt erſpart, das ich ihm ſchwerlich hätte abſchlagen können. Jetzo ruh’ ich ſeit heute ſeelig in Abrahams gemiethetem Schooß, nämlich in zwei Zimmerchen des Kaufmanns10 Carl Mohr. Himmel! wie erbleicht und verſchießt dagegen der König von England, ſo glänzend und ungemüthlich und theuer der auch für mich geweſen! — Alter, ich ſehne mich recht nach deinen letzten Zeilen und beneide meine Frau.
Alles was ich gewiß weiß (lauter verdammte ss ꝛc.), iſt, daß du15 nun auf eine gute, kurze, leichte aber genaue Schilderung von Stuttgart und deren [!] Menſchen und Leuten aufſieheſt, um zu wiſſen, wie es mir geht und der Stadt; aber da paſſe! Danke nur Gott und Haug — die mir dieſes gemüthliche*) Zimmer ange- wieſen — —20
d. 10. Ich weiß nicht mehr, was ich geſtern habe ſchreiben wollen. Dieſer Brief ſoll überhaupt nur das couvert der künftigen Briefe ſein; denn meine Frau verlangt jetzo die ſchleunigſten. — — An meine gute Wirthin daher nächſtens. — Du guter Heinrich, warum haſt du dir mit der Goldeinwechslung ſo viele Mühe ge-25 macht? — Dein Fuhrmann ſetzt dir unzählige Kronen auf ſo wie dem Truchſeß auch. Sein Sohn brachte mich hieher, einer der vollendetſten Menſchen nicht im Kutſcher- ſondern im unteren Stande. — Unter der Menge gehörter Menſchen gefällt mir Haug durch ſeine Gutmüthigkeit am meiſten, die überhaupt die30 guten Schwaben jedem gleichſam ans Herz legt. Heute eſſ’ ich bei der verdienſtreichen Gräfin Beroldingen; und mir grauſet halb vor der Fluth von Menſchen und Einladungen, in der ich nun mein Ameiſenbad nehmen muß. Hätt’ ich nur einen Heinrich neben mir! So aber muß ich einſam ohne Mittheilen empfangen.35
*) Der Engländer würde comfortable ſagen; gemüthlich kann er nicht ſagen.
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529. An Heinrich Voß in Heidelberg.
Stuttgart d. 9ten Jun. 1819
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ſeit vorgeſtern in dem Stuttgart, aus welchem Cotta vor 6 Tagen
deinen theuern Brief an mich aus zu großer Pünktlichkeit nach 5
Baireut gejagt. Mehr glücklicher Weiſe hat er ſich ſelber auf eine
Woche mit Familie auf ſein Landgut davon gemacht und mir
dadurch das Wohnen in ſeinem Pallaſt erſpart, das ich ihm ſchwerlich
hätte abſchlagen können. Jetzo ruh’ ich ſeit heute ſeelig in Abrahams
gemiethetem Schooß, nämlich in zwei Zimmerchen des Kaufmanns 10
Carl Mohr. Himmel! wie erbleicht und verſchießt dagegen der
König von England, ſo glänzend und ungemüthlich und theuer der
auch für mich geweſen! — Alter, ich ſehne mich recht nach deinen
letzten Zeilen und beneide meine Frau.
Alles was ich gewiß weiß (lauter verdammte ss ꝛc.), iſt, daß du 15
nun auf eine gute, kurze, leichte aber genaue Schilderung von
Stuttgart und deren [!] Menſchen und Leuten aufſieheſt, um zu
wiſſen, wie es mir geht und der Stadt; aber da paſſe! Danke nur
Gott und Haug — die mir dieſes gemüthliche *) Zimmer ange-
wieſen — — 20
d. 10. Ich weiß nicht mehr, was ich geſtern habe ſchreiben
wollen. Dieſer Brief ſoll überhaupt nur das couvert der künftigen
Briefe ſein; denn meine Frau verlangt jetzo die ſchleunigſten. —
— An meine gute Wirthin daher nächſtens. — Du guter Heinrich,
warum haſt du dir mit der Goldeinwechslung ſo viele Mühe ge- 25
macht? — Dein Fuhrmann ſetzt dir unzählige Kronen auf ſo wie
dem Truchſeß auch. Sein Sohn brachte mich hieher, einer der
vollendetſten Menſchen nicht im Kutſcher- ſondern im unteren
Stande. — Unter der Menge gehörter Menſchen gefällt mir
Haug durch ſeine Gutmüthigkeit am meiſten, die überhaupt die 30
guten Schwaben jedem gleichſam ans Herz legt. Heute eſſ’ ich
bei der verdienſtreichen Gräfin Beroldingen; und mir grauſet halb
vor der Fluth von Menſchen und Einladungen, in der ich nun mein
Ameiſenbad nehmen muß. Hätt’ ich nur einen Heinrich neben mir!
So aber muß ich einſam ohne Mittheilen empfangen. 35
*) Der Engländer würde comfortable ſagen; gemüthlich kann er nicht ſagen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/275>, abgerufen am 16.07.2024.
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