Endlich, meine geliebte Karoline, bekomm' ich wenigstens bis zum Mittagessen Zeit, zu schreiben, nachdem ich schon in 4 Wirths- häusern das Papier vergeblich für dich hin[ge]legt. Heute Nachts in5 Anspach fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, wieder umzukehren, so sehr hat der Endesche Freitags Kobold mich gestern und vor- gestern in jedem Wirthshaus und sonst geknebelt und gezwickt. In Erlangen kam ich so spät an, daß ich dir keinen Brief schreiben und Kanne und Schweigger nicht sehen konnte. Überall verfehlt' ich10 die rechten Gasthäuser, nur das gegenwärtige herrliche ausgenom- men. Auf dem Wege nach Anspach fuhr ich 3/4 Stunden lang unter einem Donner- und Hagelwetter fort. Eine Regenwolke und ein Paar Donnerschläge begleiteten mich bis an die Stallthüre des Stalls, den man den schwarzen Adler nennt und den Enzel mir als15 einen Gasthof empfahl und zwar als den besten. In keinem Stock- werke waren Möbeln; in meinem Kämmerchen 2 Treppen hoch 2 Stühle; kein Kanapee und keine Kommode; und rund um mich unter dem finstern Balkenwerk Gesichter wie Spitzbuben, worunter der Wirth, der alles seit einigen Monaten erst ohne Möbel ge-20 pachtet, auch gehört. Einige hübsche weibliche Gesichter begegneten mir bei dem Eintritte; von denen ernährt sich das noch unverheira- thete Wirthspaar. -- Bei Lenz war ich 3/4 Stunden. Künftig das Mehre, so wie alles Wichtige und Weite erst im Briefe kommt, den der Kutscher mitbringen soll. Dieser ist der trefflichste, ausge-25 bildetste, redlichste, den ich je gehabt; er war 10 Jahre Bedienter bei Imhofs und überall findet er alte Freunde unter hohen Herr- schaften wieder. Ihm verdank' ich die äußern Sonnenblicke auf dieser stoßenden und dunklen Wald-Fahrt. -- Heute ging an Himmel und Erde alles lichter zu und ich sah in einem fort meine Odilie am30 Altare, die mir (so wie du) etwas von diesem Hochfesttage schreiben soll. Morgen hoff ich wird der äußere Himmel mich nicht in meinem innern umwölken, wo ich in Einem fort dich ausehen will. -- Ich muß eilen; ich bin in Post-Angst, und habe ohnehin die Qual, daß der Brief weit unter allen meinen Versprechungen erst Mittwochs35 ankommt.
527. An Karoline Richter.
Dinkelsbühl 〈ſpiel〉 d. 6. Jun. 〈Sonntags〉 1819
Endlich, meine geliebte Karoline, bekomm’ ich wenigſtens bis zum Mittageſſen Zeit, zu ſchreiben, nachdem ich ſchon in 4 Wirths- häuſern das Papier vergeblich für dich hin[ge]legt. Heute Nachts in5 Anſpach fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, wieder umzukehren, ſo ſehr hat der Endesche Freitags Kobold mich geſtern und vor- geſtern in jedem Wirthshaus und ſonſt geknebelt und gezwickt. In Erlangen kam ich ſo ſpät an, daß ich dir keinen Brief ſchreiben und Kanne und Schweigger nicht ſehen konnte. Überall verfehlt’ ich10 die rechten Gaſthäuſer, nur das gegenwärtige herrliche ausgenom- men. Auf dem Wege nach Anſpach fuhr ich ¾ Stunden lang unter einem Donner- und Hagelwetter fort. Eine Regenwolke und ein Paar Donnerſchläge begleiteten mich bis an die Stallthüre des Stalls, den man den ſchwarzen Adler nennt und den Enzel mir als15 einen Gaſthof empfahl und zwar als den beſten. In keinem Stock- werke waren Möbeln; in meinem Kämmerchen 2 Treppen hoch 2 Stühle; kein Kanapée und keine Kommode; und rund um mich unter dem finſtern Balkenwerk Geſichter wie Spitzbuben, worunter der Wirth, der alles ſeit einigen Monaten erſt ohne Möbel ge-20 pachtet, auch gehört. Einige hübſche weibliche Geſichter begegneten mir bei dem Eintritte; von denen ernährt ſich das noch unverheira- thete Wirthspaar. — Bei Lenz war ich ¾ Stunden. Künftig das Mehre, ſo wie alles Wichtige und Weite erſt im Briefe kommt, den der Kutſcher mitbringen ſoll. Dieſer iſt der trefflichſte, ausge-25 bildetſte, redlichſte, den ich je gehabt; er war 10 Jahre Bedienter bei Imhofs und überall findet er alte Freunde unter hohen Herr- ſchaften wieder. Ihm verdank’ ich die äußern Sonnenblicke auf dieſer ſtoßenden und dunklen Wald-Fahrt. — Heute ging an Himmel und Erde alles lichter zu und ich ſah in einem fort meine Odilie am30 Altare, die mir (ſo wie du) etwas von dieſem Hochfeſttage ſchreiben ſoll. Morgen hoff ich wird der äußere Himmel mich nicht in meinem innern umwölken, wo ich in Einem fort dich auſehen will. — Ich muß eilen; ich bin in Poſt-Angſt, und habe ohnehin die Qual, daß der Brief weit unter allen meinen Verſprechungen erſt Mittwochs35 ankommt.
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zum Mittageſſen Zeit, zu ſchreiben, nachdem ich ſchon in 4 Wirths-
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Anſpach fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, wieder umzukehren,
ſo ſehr hat der Endesche Freitags Kobold mich geſtern und vor-
geſtern in jedem Wirthshaus und ſonſt geknebelt und gezwickt. In
Erlangen kam ich ſo ſpät an, daß ich dir keinen Brief ſchreiben und
Kanne und Schweigger nicht ſehen konnte. Überall verfehlt’ ich 10
die rechten Gaſthäuſer, nur das gegenwärtige herrliche ausgenom-
men. Auf dem Wege nach Anſpach fuhr ich ¾ Stunden lang unter
einem Donner- und Hagelwetter fort. Eine Regenwolke und ein
Paar Donnerſchläge begleiteten mich bis an die Stallthüre des
Stalls, den man den ſchwarzen Adler nennt und den Enzel mir als 15
einen Gaſthof empfahl und zwar als den beſten. In keinem Stock-
werke waren Möbeln; in meinem Kämmerchen 2 Treppen hoch
2 Stühle; kein Kanapée und keine Kommode; und rund um mich
unter dem finſtern Balkenwerk Geſichter wie Spitzbuben, worunter
der Wirth, der alles ſeit einigen Monaten erſt ohne Möbel ge- 20
pachtet, auch gehört. Einige hübſche weibliche Geſichter begegneten
mir bei dem Eintritte; von denen ernährt ſich das noch unverheira-
thete Wirthspaar. — Bei Lenz war ich ¾ Stunden. Künftig das
Mehre, ſo wie alles Wichtige und Weite erſt im Briefe kommt,
den der Kutſcher mitbringen ſoll. Dieſer iſt der trefflichſte, ausge- 25
bildetſte, redlichſte, den ich je gehabt; er war 10 Jahre Bedienter
bei Imhofs und überall findet er alte Freunde unter hohen Herr-
ſchaften wieder. Ihm verdank’ ich die äußern Sonnenblicke auf
dieſer ſtoßenden und dunklen Wald-Fahrt. — Heute ging an Himmel
und Erde alles lichter zu und ich ſah in einem fort meine Odilie am 30
Altare, die mir (ſo wie du) etwas von dieſem Hochfeſttage ſchreiben
ſoll. Morgen hoff ich wird der äußere Himmel mich nicht in meinem
innern umwölken, wo ich in Einem fort dich auſehen will. — Ich
muß eilen; ich bin in Poſt-Angſt, und habe ohnehin die Qual, daß
der Brief weit unter allen meinen Verſprechungen erſt Mittwochs 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
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Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/272>, abgerufen am 16.07.2024.
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