wahre unschickliche Anmaßung, ja Beleidigung scheinen müßte, oder eine grobe Predigt, die die bewußte Person erst an ihre Pflichten erinnern wollte. Heb' ich denn durch meine Worte die Gründe auf, die sie zu ihrem Zögern bestimmen?
Wäre vollends Ihr Verdacht über die Ursachen der Zögerung5 gegründet -- wiewol ich andere muthmaße --: so hälfe kein Brief und kein Zudringen und Zureden, geschadet aber könnte damit werden.
Ich bitte Sie daher überhaupt nicht eifrig anzudringen, sondern lieber -- um am Ende nicht das Ganze zu verlieren -- Zeit aufzu-10 opfern, zumal da die Zeit am leichtesten den bewußten Verdacht zer- stören kann. Erstürmen läßt sich hierin nichts.
Bedenken Sie noch das Schwanken der jetzigen großen Welt- verhältnisse, welches entschiedene Entschlüsse erschwert und verschiebt.
Durch Wenigthun werden Sie vielleicht am meisten thun, be-15 sonders gegen die von Ihnen vermuthete Besorgnis.
Ich und m[eine] Fr[au] grüßen Sie und alle Ihrige, besonders die Fr. Gr[äfin] und H. G[eheim] R[ath] v. M[ann]. Leben Sie wol und suchen Sie das Erdenglück nicht in Einem Ereignis oder in Einem Menschen.20
Ihr etc.
Der Sicherheit der Ankunft wegen hab' ich nicht frankiert.
52. An Emanuel.
[Bayreuth, 29. April 1815. Sonnabend]
Guten Abend, Alter! Wenn Sie meinen Verloosungs Spaß lesen25 wollen: so brauch' ich ihn erst Montags Vormittags wieder.
Sie waren vorhin nicht zu Hause. Eben hab' ich den Brief an die L-- vollendet, der mitkommt.
53. An Emanuel.
[Bayreuth, 1. Mai 1815]30
Guten Morgen, Emanuel! Ich hätte gestern, da der Lochneri- sche Brief ankam, meinen auf die Post geschickten wieder abholen lassen können; aber ihr sollte ihr Recht geschehen und mir meines. -- Im Kalender gefällt mir das Wort Nisan sehr; es sollte in jedem Monate stehen.35
wahre unſchickliche Anmaßung, ja Beleidigung ſcheinen müßte, oder eine grobe Predigt, die die bewußte Perſon erſt an ihre Pflichten erinnern wollte. Heb’ ich denn durch meine Worte die Gründe auf, die ſie zu ihrem Zögern beſtimmen?
Wäre vollends Ihr Verdacht über die Urſachen der Zögerung5 gegründet — wiewol ich andere muthmaße —: ſo hälfe kein Brief und kein Zudringen und Zureden, geſchadet aber könnte damit werden.
Ich bitte Sie daher überhaupt nicht eifrig anzudringen, ſondern lieber — um am Ende nicht das Ganze zu verlieren — Zeit aufzu-10 opfern, zumal da die Zeit am leichteſten den bewußten Verdacht zer- ſtören kann. Erſtürmen läßt ſich hierin nichts.
Bedenken Sie noch das Schwanken der jetzigen großen Welt- verhältniſſe, welches entſchiedene Entſchlüſſe erſchwert und verſchiebt.
Durch Wenigthun werden Sie vielleicht am meiſten thun, be-15 ſonders gegen die von Ihnen vermuthete Beſorgnis.
Ich und m[eine] Fr[au] grüßen Sie und alle Ihrige, beſonders die Fr. Gr[äfin] und H. G[eheim] R[ath] v. M[ann]. Leben Sie wol und ſuchen Sie das Erdenglück nicht in Einem Ereignis oder in Einem Menſchen.20
Ihr ꝛc.
Der Sicherheit der Ankunft wegen hab’ ich nicht frankiert.
52. An Emanuel.
[Bayreuth, 29. April 1815. Sonnabend]
Guten Abend, Alter! Wenn Sie meinen Verlooſungs Spaß leſen25 wollen: ſo brauch’ ich ihn erſt Montags Vormittags wieder.
Sie waren vorhin nicht zu Hauſe. Eben hab’ ich den Brief an die L— vollendet, der mitkommt.
53. An Emanuel.
[Bayreuth, 1. Mai 1815]30
Guten Morgen, Emanuel! Ich hätte geſtern, da der Lochneri- sche Brief ankam, meinen auf die Poſt geſchickten wieder abholen laſſen können; aber ihr ſollte ihr Recht geſchehen und mir meines. — Im Kalender gefällt mir das Wort Niſan ſehr; es ſollte in jedem Monate ſtehen.35
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[20/0025]
wahre unſchickliche Anmaßung, ja Beleidigung ſcheinen müßte, oder
eine grobe Predigt, die die bewußte Perſon erſt an ihre Pflichten
erinnern wollte. Heb’ ich denn durch meine Worte die Gründe auf,
die ſie zu ihrem Zögern beſtimmen?
Wäre vollends Ihr Verdacht über die Urſachen der Zögerung 5
gegründet — wiewol ich andere muthmaße —: ſo hälfe kein Brief
und kein Zudringen und Zureden, geſchadet aber könnte damit
werden.
Ich bitte Sie daher überhaupt nicht eifrig anzudringen, ſondern
lieber — um am Ende nicht das Ganze zu verlieren — Zeit aufzu- 10
opfern, zumal da die Zeit am leichteſten den bewußten Verdacht zer-
ſtören kann. Erſtürmen läßt ſich hierin nichts.
Bedenken Sie noch das Schwanken der jetzigen großen Welt-
verhältniſſe, welches entſchiedene Entſchlüſſe erſchwert und verſchiebt.
Durch Wenigthun werden Sie vielleicht am meiſten thun, be- 15
ſonders gegen die von Ihnen vermuthete Beſorgnis.
Ich und m[eine] Fr[au] grüßen Sie und alle Ihrige, beſonders
die Fr. Gr[äfin] und H. G[eheim] R[ath] v. M[ann]. Leben Sie
wol und ſuchen Sie das Erdenglück nicht in Einem Ereignis oder in
Einem Menſchen. 20
Ihr ꝛc.
Der Sicherheit der Ankunft wegen hab’ ich nicht frankiert.
52. An Emanuel.
[Bayreuth, 29. April 1815. Sonnabend]
Guten Abend, Alter! Wenn Sie meinen Verlooſungs Spaß leſen 25
wollen: ſo brauch’ ich ihn erſt Montags Vormittags wieder.
Sie waren vorhin nicht zu Hauſe. Eben hab’ ich den Brief an
die L— vollendet, der mitkommt.
53. An Emanuel.
[Bayreuth, 1. Mai 1815] 30
Guten Morgen, Emanuel! Ich hätte geſtern, da der Lochneri-
sche Brief ankam, meinen auf die Poſt geſchickten wieder abholen
laſſen können; aber ihr ſollte ihr Recht geſchehen und mir meines.
— Im Kalender gefällt mir das Wort Niſan ſehr; es ſollte in jedem
Monate ſtehen. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/25>, abgerufen am 16.07.2024.
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