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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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thust beiden Unrecht, nicht im Allgemeinen sondern in Rücksicht
meiner. Wie soll Schlegel auch nur irgend einen Antheil an mir
nehmen, da ich ihn immer ohne einen und mit lauter Scherzen be-
handelt und nicht einmal Abschied genommen habe, freilich auch
weil ich und er nie recht bei einander angekommen waren? Ich5
vergäbe ihm auch jede pedantische Geckerei und Glanzsucht, wäre
nur sein Innen und Außen nicht ein langes Eisfeld selbsüchtiger
Kälte gegen Menschen und Wahrheiten und Wärme; er will nichts
hören [gestrichen: (nicht einmal Gott)]*) als sich selber und im
Meere der Ewigkeit will er nichts sehen als sein Spiegelbild --10
Übrigens legst du seinem Äußern bei der Wasserfahrt gewiß mehr
Anmaßung unter als da war; warum ertrug er denn mein kleines
Necken so lammhaft? --

15

Dein gutgemeinter Ärger über Sophie -- aber nicht die Liebe-
quelle desselben -- hat mich halb komisch ergözt: Lasse sie doch die
Ellbogen aufstemmen und sie zärtlich anhören, wen sie will: was
geht es uns an? -- Ich habe selber sie in der ersten Stunde (was die
Mutter dem Frankfurt unrichtig zuschrieb) nicht so behandelt und
gefunden wie sonst. Soll sie denn am alten Hausfreund ihrer Mutter20
keinen Antheil nehmen? Aber seltsam genug hat sie ihn nie mit
Einem Worte gegen meine Ausfälle gedeckt; liebt sie nun auch nur
mäßig: so kann sie wenig Freude an mir gefunden haben. Freilich
so wie du, konnte nicht sie mir zum zweiten male vorkommen; denn
für dich hat die Abwesenheit mich noch mehr erwärmt, für sie fast25
abgekühlt, da ich gar zu wenig Liebe und Nachsicht für andere
Menschen bei ihr finde. Zu reden und zu schreiben versucht und ver-
mag sie auch nicht sehr; aber was könnt' ich ihr vollends seit der
Abreise je mehr zu schreiben haben? Eine Freundin büßt man leichter
ein als einen Freund. -- Gerade dir entgegengesetzt, vergeb' ich ihr30
10 mal lieber das Lieben als das Heirathen des Schlegel. Er freilich
wird, wenn sie auch nur mit Einem Flügel an seinen Spinnenfäden
klebt, sie so lange darin umdrehen bis er sie umstrickt in die Kanker-
höle ziehen kann; aber einen ihres Charakters und ihrer Begeisterung

*) Nie werde dieser Brief gedruckt, auch nach meinem Tode; nur Worte über35
einzelne blos an einzelne braucht man nicht auf die Wage zu legen.

thuſt beiden Unrecht, nicht im Allgemeinen ſondern in Rückſicht
meiner. Wie ſoll Schlegel auch nur irgend einen Antheil an mir
nehmen, da ich ihn immer ohne einen und mit lauter Scherzen be-
handelt und nicht einmal Abſchied genommen habe, freilich auch
weil ich und er nie recht bei einander angekommen waren? Ich5
vergäbe ihm auch jede pedantiſche Geckerei und Glanzſucht, wäre
nur ſein Innen und Außen nicht ein langes Eisfeld ſelbſüchtiger
Kälte gegen Menſchen und Wahrheiten und Wärme; er will nichts
hören [gestrichen: (nicht einmal Gott)]*) als ſich ſelber und im
Meere der Ewigkeit will er nichts ſehen als ſein Spiegelbild —10
Übrigens legſt du ſeinem Äußern bei der Waſſerfahrt gewiß mehr
Anmaßung unter als da war; warum ertrug er denn mein kleines
Necken ſo lammhaft? —

15

Dein gutgemeinter Ärger über Sophie — aber nicht die Liebe-
quelle deſſelben — hat mich halb komiſch ergözt: Laſſe ſie doch die
Ellbogen aufſtemmen und ſie zärtlich anhören, wen ſie will: was
geht es uns an? — Ich habe ſelber ſie in der erſten Stunde (was die
Mutter dem Frankfurt unrichtig zuſchrieb) nicht ſo behandelt und
gefunden wie ſonſt. Soll ſie denn am alten Hausfreund ihrer Mutter20
keinen Antheil nehmen? Aber ſeltſam genug hat ſie ihn nie mit
Einem Worte gegen meine Ausfälle gedeckt; liebt ſie nun auch nur
mäßig: ſo kann ſie wenig Freude an mir gefunden haben. Freilich
ſo wie du, konnte nicht ſie mir zum zweiten male vorkommen; denn
für dich hat die Abweſenheit mich noch mehr erwärmt, für ſie faſt25
abgekühlt, da ich gar zu wenig Liebe und Nachſicht für andere
Menſchen bei ihr finde. Zu reden und zu ſchreiben verſucht und ver-
mag ſie auch nicht ſehr; aber was könnt’ ich ihr vollends ſeit der
Abreiſe je mehr zu ſchreiben haben? Eine Freundin büßt man leichter
ein als einen Freund. — Gerade dir entgegengeſetzt, vergeb’ ich ihr30
10 mal lieber das Lieben als das Heirathen des Schlegel. Er freilich
wird, wenn ſie auch nur mit Einem Flügel an ſeinen Spinnenfäden
klebt, ſie ſo lange darin umdrehen bis er ſie umſtrickt in die Kanker-
höle ziehen kann; aber einen ihres Charakters und ihrer Begeiſterung

*) Nie werde dieſer Brief gedruckt, auch nach meinem Tode; nur Worte über35
einzelne blos an einzelne braucht man nicht auf die Wage zu legen.
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[219/0226] thuſt beiden Unrecht, nicht im Allgemeinen ſondern in Rückſicht meiner. Wie ſoll Schlegel auch nur irgend einen Antheil an mir nehmen, da ich ihn immer ohne einen und mit lauter Scherzen be- handelt und nicht einmal Abſchied genommen habe, freilich auch weil ich und er nie recht bei einander angekommen waren? Ich 5 vergäbe ihm auch jede pedantiſche Geckerei und Glanzſucht, wäre nur ſein Innen und Außen nicht ein langes Eisfeld ſelbſüchtiger Kälte gegen Menſchen und Wahrheiten und Wärme; er will nichts hören [gestrichen: (nicht einmal Gott)] *) als ſich ſelber und im Meere der Ewigkeit will er nichts ſehen als ſein Spiegelbild — 10 Übrigens legſt du ſeinem Äußern bei der Waſſerfahrt gewiß mehr Anmaßung unter als da war; warum ertrug er denn mein kleines Necken ſo lammhaft? — d. 17ten Jul. 15 Dein gutgemeinter Ärger über Sophie — aber nicht die Liebe- quelle deſſelben — hat mich halb komiſch ergözt: Laſſe ſie doch die Ellbogen aufſtemmen und ſie zärtlich anhören, wen ſie will: was geht es uns an? — Ich habe ſelber ſie in der erſten Stunde (was die Mutter dem Frankfurt unrichtig zuſchrieb) nicht ſo behandelt und gefunden wie ſonſt. Soll ſie denn am alten Hausfreund ihrer Mutter 20 keinen Antheil nehmen? Aber ſeltſam genug hat ſie ihn nie mit Einem Worte gegen meine Ausfälle gedeckt; liebt ſie nun auch nur mäßig: ſo kann ſie wenig Freude an mir gefunden haben. Freilich ſo wie du, konnte nicht ſie mir zum zweiten male vorkommen; denn für dich hat die Abweſenheit mich noch mehr erwärmt, für ſie faſt 25 abgekühlt, da ich gar zu wenig Liebe und Nachſicht für andere Menſchen bei ihr finde. Zu reden und zu ſchreiben verſucht und ver- mag ſie auch nicht ſehr; aber was könnt’ ich ihr vollends ſeit der Abreiſe je mehr zu ſchreiben haben? Eine Freundin büßt man leichter ein als einen Freund. — Gerade dir entgegengeſetzt, vergeb’ ich ihr 30 10 mal lieber das Lieben als das Heirathen des Schlegel. Er freilich wird, wenn ſie auch nur mit Einem Flügel an ſeinen Spinnenfäden klebt, ſie ſo lange darin umdrehen bis er ſie umſtrickt in die Kanker- höle ziehen kann; aber einen ihres Charakters und ihrer Begeiſterung *) Nie werde dieſer Brief gedruckt, auch nach meinem Tode; nur Worte über 35 einzelne blos an einzelne braucht man nicht auf die Wage zu legen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/226>, abgerufen am 24.11.2024.