Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

Bild:
<< vorherige Seite

frage nach andern Einspännern, und ob sie gegen Ende des Monats
nicht auf lange verdungen sind. Nur das kaltmachende Schaf Ham
mag ich nicht, das noch dazu auf meine Rechnung vor dem Abfahren
in meiner Abwesenheit verschluckt hat. -- Sophie P[aulus] ist auf
dem Wege einer Abblüte wie die Said, mit der sie auch physiogno-5
mische Aehnlichkeit hat; und ich sagte es ihr und der Mutter, welche
dasselbe fürchtet. Sie zersetzt sich durch ihr übermäßiges Klavier-
spielen, seit Hommel hier gewesen, den sie erreichen will. Voßens
Mutter .... aber endlich muß ich aufhören, wenn ich an diesem
Morgen noch etwas für Cotta machen will.10


Heute hab' ich bei Schelver dem wahren magnetischen Gottes-
dienste von 11 bis 2 Uhr beigewohnt. In einem Saale versammeln
sich an 27 Menschen beiderlei Geschlechts -- im Kreise auf Stühlen
sitzend, alles durcheinander, Mädchen von 13 Jahren und alte15
Mütterchen, gemeine arme Bürgerweiber, daneben ein kräftiger
Student, ein fetter Landamtmann, Offiziere, vornehme Frauen --
alles sitzt zufällig durcheinander, Alter und Blüte und Stand und
Geschlecht und fäßt sich rechts und links an der Hand -- der blinde
Aut sitzt in der Saalecke des Kreises und fäßt auch -- Schelver20
magnetisiert mit wenigen Strichen jeden Einzelnen, im Kreise um-
gehend -- dann wieder mit einem Eisenstäbchen. Dieß wird mehrmal
wiederholt -- so sinkt ein Kopf nach dem andern in Schlaf -- nur
einige Neuangekommene blieben wach -- Ich war im Tempel des
Weltgeistes. Wie der Kirchhof und die Kirche alles gleichmachte,25
so hier der Saal. Zuschauer sind auf dem Kanapee oder unter der
Thüre. Nach 2 Stunden stehen die Schlafenden wieder auf, die blos
vorbereitet werden. Der Blinde in der Ecke bleibt in seinem Schlafe.
Dann kommt Md. Schelver mit Papier und Dinte und allmählig
fängt er an, für die Kranken, die er wählt oder die ihm genannt oder30
verbunden werden, die Rezepte zu diktieren mit der höchsten Pünkt-
lichkeit der Dosen, aber mit schrecklichen herauswürgenden Gebehr-
den, im Wachen immer freundlich, aber im Schlafen wild und alles
hervorknirschend, und doch mit frommen Äußerungen überall. Ein
Offizier mit Orden kam und noch ein Fremder und Schelver verband35
die 4 oder 6 Hände und er entschied. Gewöhnlich verschiebt er die

frage nach andern Einſpännern, und ob ſie gegen Ende des Monats
nicht auf lange verdungen ſind. Nur das kaltmachende Schaf Ham
mag ich nicht, das noch dazu auf meine Rechnung vor dem Abfahren
in meiner Abweſenheit verſchluckt hat. — Sophie P[aulus] iſt auf
dem Wege einer Abblüte wie die Said, mit der ſie auch phyſiogno-5
miſche Aehnlichkeit hat; und ich ſagte es ihr und der Mutter, welche
daſſelbe fürchtet. Sie zerſetzt ſich durch ihr übermäßiges Klavier-
ſpielen, ſeit Hommel hier geweſen, den ſie erreichen will. Voßens
Mutter .... aber endlich muß ich aufhören, wenn ich an dieſem
Morgen noch etwas für Cotta machen will.10


Heute hab’ ich bei Schelver dem wahren magnetiſchen Gottes-
dienſte von 11 bis 2 Uhr beigewohnt. In einem Saale verſammeln
ſich an 27 Menſchen beiderlei Geſchlechts — im Kreiſe auf Stühlen
ſitzend, alles durcheinander, Mädchen von 13 Jahren und alte15
Mütterchen, gemeine arme Bürgerweiber, daneben ein kräftiger
Student, ein fetter Landamtmann, Offiziere, vornehme Frauen —
alles ſitzt zufällig durcheinander, Alter und Blüte und Stand und
Geſchlecht und fäßt ſich rechts und links an der Hand — der blinde
Aut ſitzt in der Saalecke des Kreiſes und fäßt auch — Schelver20
magnetiſiert mit wenigen Strichen jeden Einzelnen, im Kreiſe um-
gehend — dann wieder mit einem Eiſenſtäbchen. Dieß wird mehrmal
wiederholt — ſo ſinkt ein Kopf nach dem andern in Schlaf — nur
einige Neuangekommene blieben wach — Ich war im Tempel des
Weltgeiſtes. Wie der Kirchhof und die Kirche alles gleichmachte,25
ſo hier der Saal. Zuſchauer ſind auf dem Kanapee oder unter der
Thüre. Nach 2 Stunden ſtehen die Schlafenden wieder auf, die blos
vorbereitet werden. Der Blinde in der Ecke bleibt in ſeinem Schlafe.
Dann kommt Md. Schelver mit Papier und Dinte und allmählig
fängt er an, für die Kranken, die er wählt oder die ihm genannt oder30
verbunden werden, die Rezepte zu diktieren mit der höchſten Pünkt-
lichkeit der Doſen, aber mit ſchrecklichen herauswürgenden Gebehr-
den, im Wachen immer freundlich, aber im Schlafen wild und alles
hervorknirſchend, und doch mit frommen Äußerungen überall. Ein
Offizier mit Orden kam und noch ein Fremder und Schelver verband35
die 4 oder 6 Hände und er entſchied. Gewöhnlich verſchiebt er die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="208"/>
frage nach andern Ein&#x017F;pännern, und ob &#x017F;ie gegen Ende des Monats<lb/>
nicht auf lange verdungen &#x017F;ind. Nur das kaltmachende Schaf <hi rendition="#aq">Ham</hi><lb/>
mag ich nicht, das noch dazu auf meine Rechnung vor dem Abfahren<lb/>
in meiner Abwe&#x017F;enheit ver&#x017F;chluckt hat. &#x2014; <hi rendition="#aq">Sophie P[aulus]</hi> i&#x017F;t auf<lb/>
dem Wege einer Abblüte wie die <hi rendition="#aq">Said,</hi> mit der &#x017F;ie auch phy&#x017F;iogno-<lb n="5"/>
mi&#x017F;che Aehnlichkeit hat; und ich &#x017F;agte es ihr und der Mutter, welche<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe fürchtet. Sie zer&#x017F;etzt &#x017F;ich durch ihr übermäßiges Klavier-<lb/>
&#x017F;pielen, &#x017F;eit <hi rendition="#aq">Hommel</hi> hier gewe&#x017F;en, den &#x017F;ie erreichen will. <hi rendition="#aq">Voßens</hi><lb/>
Mutter .... aber endlich muß ich aufhören, wenn ich an die&#x017F;em<lb/>
Morgen noch etwas für <hi rendition="#aq">Cotta</hi> machen will.<lb n="10"/>
</p>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 19<hi rendition="#sup">ten</hi></hi> </dateline><lb/>
          <p>Heute hab&#x2019; ich bei <hi rendition="#aq">Schelver</hi> dem wahren magneti&#x017F;chen Gottes-<lb/>
dien&#x017F;te von 11 bis 2 Uhr beigewohnt. In einem Saale ver&#x017F;ammeln<lb/>
&#x017F;ich an 27 Men&#x017F;chen beiderlei Ge&#x017F;chlechts &#x2014; im Krei&#x017F;e auf Stühlen<lb/>
&#x017F;itzend, alles durcheinander, Mädchen von 13 Jahren und alte<lb n="15"/>
Mütterchen, gemeine arme Bürgerweiber, daneben ein kräftiger<lb/>
Student, ein fetter Landamtmann, Offiziere, vornehme Frauen &#x2014;<lb/>
alles &#x017F;itzt zufällig durcheinander, Alter und Blüte und Stand und<lb/>
Ge&#x017F;chlecht und fäßt &#x017F;ich rechts und links an der Hand &#x2014; der blinde<lb/><hi rendition="#aq">Aut</hi> &#x017F;itzt in der Saalecke des Krei&#x017F;es und fäßt auch &#x2014; <hi rendition="#aq">Schelver</hi><lb n="20"/>
magneti&#x017F;iert mit wenigen Strichen jeden Einzelnen, im Krei&#x017F;e um-<lb/>
gehend &#x2014; dann wieder mit einem Ei&#x017F;en&#x017F;täbchen. Dieß wird mehrmal<lb/>
wiederholt &#x2014; &#x017F;o &#x017F;inkt ein Kopf nach dem andern in Schlaf &#x2014; nur<lb/>
einige Neuangekommene blieben wach &#x2014; Ich war im Tempel des<lb/>
Weltgei&#x017F;tes. Wie der Kirchhof und die Kirche alles gleichmachte,<lb n="25"/>
&#x017F;o hier der Saal. Zu&#x017F;chauer &#x017F;ind auf dem Kanapee oder unter der<lb/>
Thüre. Nach 2 Stunden &#x017F;tehen die Schlafenden wieder auf, die blos<lb/>
vorbereitet werden. Der Blinde in der Ecke bleibt in &#x017F;einem Schlafe.<lb/>
Dann kommt <hi rendition="#aq">Md. Schelver</hi> mit Papier und Dinte und allmählig<lb/>
fängt er an, für die Kranken, die er wählt oder die ihm genannt oder<lb n="30"/>
verbunden werden, die Rezepte zu diktieren mit der höch&#x017F;ten Pünkt-<lb/>
lichkeit der Do&#x017F;en, aber mit &#x017F;chrecklichen herauswürgenden Gebehr-<lb/>
den, im Wachen immer freundlich, aber im Schlafen wild und alles<lb/>
hervorknir&#x017F;chend, und doch mit frommen Äußerungen überall. Ein<lb/>
Offizier mit Orden kam und noch ein Fremder und <hi rendition="#aq">Schelver</hi> verband<lb n="35"/>
die 4 oder 6 Hände und er ent&#x017F;chied. Gewöhnlich ver&#x017F;chiebt er die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0215] frage nach andern Einſpännern, und ob ſie gegen Ende des Monats nicht auf lange verdungen ſind. Nur das kaltmachende Schaf Ham mag ich nicht, das noch dazu auf meine Rechnung vor dem Abfahren in meiner Abweſenheit verſchluckt hat. — Sophie P[aulus] iſt auf dem Wege einer Abblüte wie die Said, mit der ſie auch phyſiogno- 5 miſche Aehnlichkeit hat; und ich ſagte es ihr und der Mutter, welche daſſelbe fürchtet. Sie zerſetzt ſich durch ihr übermäßiges Klavier- ſpielen, ſeit Hommel hier geweſen, den ſie erreichen will. Voßens Mutter .... aber endlich muß ich aufhören, wenn ich an dieſem Morgen noch etwas für Cotta machen will. 10 d. 19ten Heute hab’ ich bei Schelver dem wahren magnetiſchen Gottes- dienſte von 11 bis 2 Uhr beigewohnt. In einem Saale verſammeln ſich an 27 Menſchen beiderlei Geſchlechts — im Kreiſe auf Stühlen ſitzend, alles durcheinander, Mädchen von 13 Jahren und alte 15 Mütterchen, gemeine arme Bürgerweiber, daneben ein kräftiger Student, ein fetter Landamtmann, Offiziere, vornehme Frauen — alles ſitzt zufällig durcheinander, Alter und Blüte und Stand und Geſchlecht und fäßt ſich rechts und links an der Hand — der blinde Aut ſitzt in der Saalecke des Kreiſes und fäßt auch — Schelver 20 magnetiſiert mit wenigen Strichen jeden Einzelnen, im Kreiſe um- gehend — dann wieder mit einem Eiſenſtäbchen. Dieß wird mehrmal wiederholt — ſo ſinkt ein Kopf nach dem andern in Schlaf — nur einige Neuangekommene blieben wach — Ich war im Tempel des Weltgeiſtes. Wie der Kirchhof und die Kirche alles gleichmachte, 25 ſo hier der Saal. Zuſchauer ſind auf dem Kanapee oder unter der Thüre. Nach 2 Stunden ſtehen die Schlafenden wieder auf, die blos vorbereitet werden. Der Blinde in der Ecke bleibt in ſeinem Schlafe. Dann kommt Md. Schelver mit Papier und Dinte und allmählig fängt er an, für die Kranken, die er wählt oder die ihm genannt oder 30 verbunden werden, die Rezepte zu diktieren mit der höchſten Pünkt- lichkeit der Doſen, aber mit ſchrecklichen herauswürgenden Gebehr- den, im Wachen immer freundlich, aber im Schlafen wild und alles hervorknirſchend, und doch mit frommen Äußerungen überall. Ein Offizier mit Orden kam und noch ein Fremder und Schelver verband 35 die 4 oder 6 Hände und er entſchied. Gewöhnlich verſchiebt er die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/215
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/215>, abgerufen am 25.11.2024.