guten Max wünscht' ich wenigstens die beiden Henkel zum Anbeißen. -- Gleichwol drückt mich nicht nur meine alte Melancholie -- die salomonische Hektik -- sondern auch die Sehnsucht nach Hause und nach Stille. Große Reisen mach' ich künftig nie mehr ohne etwas Lebendiges aus dem Hause. Vorgestern und gestern war ich nicht5 recht froh; nur jetzo labt mich hier oben der freie blaue Tag*). Frankfurt hatte mich durch Liebe und Mitternächte Nachtwachen erschöpft. Hier erst schafft' ich das morgendliche Erbrechen wieder ab, ob ich gleich auch dort zehnmal mäßiger getrunken (aber nicht ge- sprochen) als bei euch oder als Wangenheim. Die Wennersche10 Familie ist eine seelenherrliche; der Mann weinte, und ein Lotto- direktor Malz; Weiber Mütter kamen auf mein Zimmer zum Scheiden. Emanuel muß einst unter diese Seelen hinein. In Offenbach trat eine schöne Mutter von 6 Kindern mir bei meiner Ankunft (zu einem Konzert bei dem schlaggelähmten Ewald15 ((Nachfolger des Bertrand)), dem nichts vom Leben noch geblieben als das Ohr) geradezu entgegen und drückte mir ein Blatt des Danks für die Levana in die Hand und nie blickten weibliche Augen mich liebender an -- nur deine ausgenommen -- als ihre. Sie war eine Freundin von Villers. Mündlich zehnmal mehr. Welche offne20 schöne Gesichter in diesem Offenbach! -- Das Lieben der Menschen ist der einzige Thau noch für meine Seelendürre. -- Gerade unter jene liebenden Scheidungen in Frankfurt traf dein letzter Brief, der mit seinem erfreuenden Anfange und Mittel (von der Herzogin und deinem Frohsein) mich nicht auf die Schmerzen des letzten Blattes25 vorbereitete, wo du auf einmal von der unmöglichen Möglichkeit sprachst ohne dich und meine Kinder und mit den nachgeschickten Sachen in der Fremde zu leben. Ich nahm die Schmerzen auf meinem ganzen Nachmittags-Weg mit. Es ist zu hart, wenn ein Mund, der nie unwahr gewesen gegen dich, nur einen kurzen und immer30 unterbrochnen Glauben findet. -- Schwerlich bleib ich hier so lange wie in Fr[ankfurt]; vielleicht geh ich nicht einmal nach Manheim, weil die Oper der Gesang schlechter sein soll. -- Frage doch nach, ob das Pferd des Einspänners Krotsch wiederhergestellt ist, und
*) Von heute an hab' ich nun die Regel: daß ich gegen mein drückendes Sehnen35 an der freien Natur meine Heilkünstlerin finde. Eine schöne Mondscheinnacht halt' ich kaum im Zimmer aus.
guten Max wünſcht’ ich wenigſtens die beiden Henkel zum Anbeißen. — Gleichwol drückt mich nicht nur meine alte Melancholie — die ſalomoniſche Hektik — ſondern auch die Sehnſucht nach Hauſe und nach Stille. Große Reiſen mach’ ich künftig nie mehr ohne etwas Lebendiges aus dem Hauſe. Vorgeſtern und geſtern war ich nicht5 recht froh; nur jetzo labt mich hier oben der freie blaue Tag*). Frankfurt hatte mich durch Liebe und Mitternächte 〈Nachtwachen〉 erſchöpft. Hier erſt ſchafft’ ich das morgendliche Erbrechen wieder ab, ob ich gleich auch dort zehnmal mäßiger getrunken (aber nicht ge- ſprochen) als bei euch oder als Wangenheim. Die Wennersche10 Familie iſt eine ſeelenherrliche; der Mann weinte, und ein Lotto- direktor Malz; Weiber 〈Mütter〉 kamen auf mein Zimmer zum Scheiden. Emanuel muß einſt unter dieſe Seelen hinein. In Offenbach trat eine ſchöne Mutter von 6 Kindern mir bei meiner Ankunft (zu einem Konzert bei dem ſchlaggelähmten Ewald15 ((Nachfolger des Bertrand)), dem nichts vom Leben noch geblieben als das Ohr) geradezu entgegen und drückte mir ein Blatt des Danks für die Levana in die Hand und nie blickten weibliche Augen mich liebender an — nur deine ausgenommen — als ihre. Sie war eine Freundin von Villers. Mündlich zehnmal mehr. Welche offne20 ſchöne Geſichter in dieſem Offenbach! — Das Lieben der Menſchen iſt der einzige Thau noch für meine Seelendürre. — Gerade unter jene liebenden Scheidungen in Frankfurt traf dein letzter Brief, der mit ſeinem erfreuenden Anfange und Mittel (von der Herzogin und deinem Frohſein) mich nicht auf die Schmerzen des letzten Blattes25 vorbereitete, wo du auf einmal von der unmöglichen Möglichkeit ſprachſt ohne dich und meine Kinder und mit den nachgeſchickten Sachen in der Fremde zu leben. Ich nahm die Schmerzen auf meinem ganzen Nachmittags-Weg mit. Es iſt zu hart, wenn ein Mund, der nie unwahr geweſen gegen dich, nur einen kurzen und immer30 unterbrochnen Glauben findet. — Schwerlich bleib ich hier ſo lange wie in Fr[ankfurt]; vielleicht geh ich nicht einmal nach Manheim, weil die Oper 〈der Geſang〉 ſchlechter ſein ſoll. — Frage doch nach, ob das Pferd des Einſpänners Krotsch wiederhergeſtellt iſt, und
*) Von heute an hab’ ich nun die Regel: daß ich gegen mein drückendes Sehnen35 an der freien Natur meine Heilkünſtlerin finde. Eine ſchöne Mondſcheinnacht halt’ ich kaum im Zimmer aus.
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guten Max wünſcht’ ich wenigſtens die beiden Henkel zum Anbeißen.
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ſalomoniſche Hektik — ſondern auch die Sehnſucht nach Hauſe und
nach Stille. Große Reiſen mach’ ich künftig nie mehr ohne etwas
Lebendiges aus dem Hauſe. Vorgeſtern und geſtern war ich nicht 5
recht froh; nur jetzo labt mich hier oben der freie blaue Tag *).
Frankfurt hatte mich durch Liebe und Mitternächte 〈Nachtwachen〉
erſchöpft. Hier erſt ſchafft’ ich das morgendliche Erbrechen wieder ab,
ob ich gleich auch dort zehnmal mäßiger getrunken (aber nicht ge-
ſprochen) als bei euch oder als Wangenheim. Die Wennersche 10
Familie iſt eine ſeelenherrliche; der Mann weinte, und ein Lotto-
direktor Malz; Weiber 〈Mütter〉 kamen auf mein Zimmer zum
Scheiden. Emanuel muß einſt unter dieſe Seelen hinein. In
Offenbach trat eine ſchöne Mutter von 6 Kindern mir bei meiner
Ankunft (zu einem Konzert bei dem ſchlaggelähmten Ewald 15
((Nachfolger des Bertrand)), dem nichts vom Leben noch geblieben
als das Ohr) geradezu entgegen und drückte mir ein Blatt des Danks
für die Levana in die Hand und nie blickten weibliche Augen mich
liebender an — nur deine ausgenommen — als ihre. Sie war eine
Freundin von Villers. Mündlich zehnmal mehr. Welche offne 20
ſchöne Geſichter in dieſem Offenbach! — Das Lieben der Menſchen
iſt der einzige Thau noch für meine Seelendürre. — Gerade unter
jene liebenden Scheidungen in Frankfurt traf dein letzter Brief, der
mit ſeinem erfreuenden Anfange und Mittel (von der Herzogin und
deinem Frohſein) mich nicht auf die Schmerzen des letzten Blattes 25
vorbereitete, wo du auf einmal von der unmöglichen Möglichkeit
ſprachſt ohne dich und meine Kinder und mit den nachgeſchickten
Sachen in der Fremde zu leben. Ich nahm die Schmerzen auf meinem
ganzen Nachmittags-Weg mit. Es iſt zu hart, wenn ein Mund,
der nie unwahr geweſen gegen dich, nur einen kurzen und immer 30
unterbrochnen Glauben findet. — Schwerlich bleib ich hier ſo lange
wie in Fr[ankfurt]; vielleicht geh ich nicht einmal nach Manheim,
weil die Oper 〈der Geſang〉 ſchlechter ſein ſoll. — Frage doch nach,
ob das Pferd des Einſpänners Krotsch wiederhergeſtellt iſt, und
*) Von heute an hab’ ich nun die Regel: daß ich gegen mein drückendes Sehnen 35
an der freien Natur meine Heilkünſtlerin finde. Eine ſchöne Mondſcheinnacht halt’
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/214>, abgerufen am 16.07.2024.
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