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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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quält oft bei meiner Rast-Sucht diese unerlaßliche Marsch-Pflicht.
-- Morgen bekomm ich gewiß wieder einen Brief von dir, der mir
wol thun wird.

5

Wie oft dacht' ich gestern abends auf dem Wasser unter dem
Nachthimmel an dich und wünschte, könnte doch meine Karoline
diesen Vorabend ihres Festes mit genießen. Und heute erwacht ich
traurig, daß du Gute immer allein, nur mit den Kindern dein Leben
feierst. Aber glaube mir, ich brauche keine heiligen Festtage des
Lebens, um an dich und deine Liebe zu denken. Die Wäschkommode,10
die sorgfältig zubereiteten und eingewickelten Wäschstücke und sogar
die neuen Bändchen an den Hemden zeigen mir jeden Morgen die
gute fromme Hand, die alles so liebend geordnet und mitgegeben.
Mögen die lieben Kinder und meine Freunde dir mich ersetzen und
deinen Tag verschönern.15

Jetzo will ich dir die gestrige Überraschung malen. Wenners
fragten mich einige Tage vorher, ob es abends schön bliebe, damit
man ein wenig auf dem Wasser führe. Wir gingen um 61/2 Uhr
in ein großes Haus eines Verwandten, wo wir eine Menge junge
Leute abholten, ein langer Zug von Anverwandten, Frauen, Jung-20
frauen, Kaufmanndienern, zwei Aerzten etc. etc. Über eine Stunde lang
gingen wir durch herrliche Saaten -- die Glanz-Stadt und den
Main immer unten zur Linken -- nach einem Dorfe Großrad, um
einzusteigen und vom hinabgehenden Main uns heimführen zu
lassen. Gegen 9 Uhr ruderte sich endlich unser Schiff (eigentlich war25
noch eines angemacht und ein Nachen dazu) am dunkeln Ufer herauf.
Es war mit Epheuzweigen überlaubt -- hängende Laternen -- auf
dem einen Nachen Proviant -- auf dem andern Schiffe Musik-
anstalten. Ich mußte mich mitten unter die Frauen setzen und erst
dann errieth ich die nähere Beziehung auf mich. Mit Einem Worte:30
das Heidelberg wiederholte sich. Ein herrlicher Tenorist sang wie
ein Arion auf der Schiffspitze -- meine Hausfrau im andern Schiffe
-- Violinen -- Guitarren -- Wein -- Essen -- die Mondsichel neben
dem Abendstern -- der Rheinbreite Main von der späten Abendröthe
nachschillernd -- Im Schiffe Pechfackeln, welche die Überlaubung35
zu einer Zauberwohnung erleuchteten -- Allgemeiner Gesang --

quält oft bei meiner Raſt-Sucht dieſe unerlaßliche Marſch-Pflicht.
— Morgen bekomm ich gewiß wieder einen Brief von dir, der mir
wol thun wird.

5

Wie oft dacht’ ich geſtern abends auf dem Waſſer unter dem
Nachthimmel an dich und wünſchte, könnte doch meine Karoline
dieſen Vorabend ihres Feſtes mit genießen. Und heute erwacht ich
traurig, daß du Gute immer allein, nur mit den Kindern dein Leben
feierſt. Aber glaube mir, ich brauche keine heiligen Feſttage des
Lebens, um an dich und deine Liebe zu denken. Die Wäſchkommode,10
die ſorgfältig zubereiteten und eingewickelten Wäſchſtücke und ſogar
die neuen Bändchen an den Hemden zeigen mir jeden Morgen die
gute fromme Hand, die alles ſo liebend geordnet und mitgegeben.
Mögen die lieben Kinder und meine Freunde dir mich erſetzen und
deinen Tag verſchönern.15

Jetzo will ich dir die geſtrige Überraſchung malen. Wenners
fragten mich einige Tage vorher, ob es abends ſchön bliebe, damit
man ein wenig auf dem Waſſer führe. Wir gingen um 6½ Uhr
in ein großes Haus eines Verwandten, wo wir eine Menge junge
Leute abholten, ein langer Zug von Anverwandten, Frauen, Jung-20
frauen, Kaufmanndienern, zwei Aerzten ꝛc. ꝛc. Über eine Stunde lang
gingen wir durch herrliche Saaten — die Glanz-Stadt und den
Main immer unten zur Linken — nach einem Dorfe Großrad, um
einzuſteigen und vom hinabgehenden Main uns heimführen zu
laſſen. Gegen 9 Uhr ruderte ſich endlich unſer Schiff (eigentlich war25
noch eines angemacht und ein Nachen dazu) am dunkeln Ufer herauf.
Es war mit Epheuzweigen überlaubt — hängende Laternen — auf
dem einen Nachen Proviant — auf dem andern Schiffe Muſik-
anſtalten. Ich mußte mich mitten unter die Frauen ſetzen und erſt
dann errieth ich die nähere Beziehung auf mich. Mit Einem Worte:30
das Heidelberg wiederholte ſich. Ein herrlicher Tenoriſt ſang wie
ein Arion auf der Schiffſpitze — meine Hausfrau im andern Schiffe
— Violinen — Guitarren — Wein — Eſſen — die Mondſichel neben
dem Abendſtern — der Rheinbreite Main von der ſpäten Abendröthe
nachſchillernd — Im Schiffe Pechfackeln, welche die Überlaubung35
zu einer Zauberwohnung erleuchteten — Allgemeiner Geſang —

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[197/0204] quält oft bei meiner Raſt-Sucht dieſe unerlaßliche Marſch-Pflicht. — Morgen bekomm ich gewiß wieder einen Brief von dir, der mir wol thun wird. d. 7. Jun. 5 Wie oft dacht’ ich geſtern abends auf dem Waſſer unter dem Nachthimmel an dich und wünſchte, könnte doch meine Karoline dieſen Vorabend ihres Feſtes mit genießen. Und heute erwacht ich traurig, daß du Gute immer allein, nur mit den Kindern dein Leben feierſt. Aber glaube mir, ich brauche keine heiligen Feſttage des Lebens, um an dich und deine Liebe zu denken. Die Wäſchkommode, 10 die ſorgfältig zubereiteten und eingewickelten Wäſchſtücke und ſogar die neuen Bändchen an den Hemden zeigen mir jeden Morgen die gute fromme Hand, die alles ſo liebend geordnet und mitgegeben. Mögen die lieben Kinder und meine Freunde dir mich erſetzen und deinen Tag verſchönern. 15 Jetzo will ich dir die geſtrige Überraſchung malen. Wenners fragten mich einige Tage vorher, ob es abends ſchön bliebe, damit man ein wenig auf dem Waſſer führe. Wir gingen um 6½ Uhr in ein großes Haus eines Verwandten, wo wir eine Menge junge Leute abholten, ein langer Zug von Anverwandten, Frauen, Jung- 20 frauen, Kaufmanndienern, zwei Aerzten ꝛc. ꝛc. Über eine Stunde lang gingen wir durch herrliche Saaten — die Glanz-Stadt und den Main immer unten zur Linken — nach einem Dorfe Großrad, um einzuſteigen und vom hinabgehenden Main uns heimführen zu laſſen. Gegen 9 Uhr ruderte ſich endlich unſer Schiff (eigentlich war 25 noch eines angemacht und ein Nachen dazu) am dunkeln Ufer herauf. Es war mit Epheuzweigen überlaubt — hängende Laternen — auf dem einen Nachen Proviant — auf dem andern Schiffe Muſik- anſtalten. Ich mußte mich mitten unter die Frauen ſetzen und erſt dann errieth ich die nähere Beziehung auf mich. Mit Einem Worte: 30 das Heidelberg wiederholte ſich. Ein herrlicher Tenoriſt ſang wie ein Arion auf der Schiffſpitze — meine Hausfrau im andern Schiffe — Violinen — Guitarren — Wein — Eſſen — die Mondſichel neben dem Abendſtern — der Rheinbreite Main von der ſpäten Abendröthe nachſchillernd — Im Schiffe Pechfackeln, welche die Überlaubung 35 zu einer Zauberwohnung erleuchteten — Allgemeiner Geſang —

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/204>, abgerufen am 05.05.2024.