Ich werde Ihre Post-Hoffnung so oft getäuscht haben, bis Sie endlich dann keine mehr hatten, da sie erfüllt wurde. So wenig Zeit mir zu Briefen bleibt, so gewinnt mir doch die Erinnerung an meine5 einsamen Jünglingjahre Briefe an Jünglinge ab, welche durch ihre innere Aufmunterung äußere verdienen wie Sie.
Dichtend nehmen Sie die Welt in sich auf; nur aber gehört noch dazu, daß Sie sie dichtend aus sich herausstellen.
Am meisten -- um mit der Sonnenseite anzufangen -- gelangen10 Ihnen die Elegien und Epigramme, worunter ich die Elegie Seite 222 am höchsten auszeichne, dann auch die Seite 230 bis 232, 238 und 239; -- darauf die Romanzen und Balladen, worunter die auf S. 187 die trefflichste, dann S. 202 und "die Nachtfahrt" S. 171, -- Schwächer sind die Lieder; doch ist "der Bergmann", Seite 106,15 kräftig, dann Seite 21, 116, 109, 6, 123, 96 (letztes nach einigen Verkürzungen).
Einem Briefe und meinem Zeitmangel ist keine motivierte Kritik möglich. Kürzen Sie künftig Ihre Lieder mehr ab -- denn ein ewiges ist Prose -- ringen Sie bei Ihrer Korrektheit, bei Ihrem20 dichterischen Sinne und Ihrer Verskunst nach noch größerer Ge- danken- und Bilderfülle -- und ahmen Sie nicht Einem nach (Göthe), sondern allen großen Dichtern, weil eine allseitige Nachahmung alles Schönen zur Selberständigkeit reift -- und leben Sie dadurch für die Dichtkunst, daß Sie auch für das Leben leben und für die25 Wissenschaften, welche beide die unscheinbaren, bedeckten, schweren Wurzeln der leichten bunten Blüten der Dichtkunst sind; so wird das Schicksal künftig Ihre Dichtkunst eben so belohnen, wie jetzo Sie der Genuß derselben.
Dieß sind meine herzlichsten Wünsche für Sie und Ihr Leben!30
Ihr Jean Paul Fr. Richter
40. An Cotta in Stuttgart.
Baireuth d. 13. März 1815
Hier, mein guter Cotta, schon wieder etwas für das Morgenblatt. Man wird doch nicht den Angriff des Nachdrucks in St-t für einen35
*39. An Karl Schellhorn in Saalfeld.
Baireuth d. 12 März 1815
Ich werde Ihre Poſt-Hoffnung ſo oft getäuſcht haben, bis Sie endlich dann keine mehr hatten, da ſie erfüllt wurde. So wenig Zeit mir zu Briefen bleibt, ſo gewinnt mir doch die Erinnerung an meine5 einſamen Jünglingjahre Briefe an Jünglinge ab, welche durch ihre innere Aufmunterung äußere verdienen wie Sie.
Dichtend nehmen Sie die Welt in ſich auf; nur aber gehört noch dazu, daß Sie ſie dichtend aus ſich herausſtellen.
Am meiſten — um mit der Sonnenſeite anzufangen — gelangen10 Ihnen die Elegien und Epigramme, worunter ich die Elegie Seite 222 am höchſten auszeichne, dann auch die Seite 230 bis 232, 238 und 239; — darauf die Romanzen und Balladen, worunter die auf S. 187 die trefflichſte, dann S. 202 und „die Nachtfahrt“ S. 171, — Schwächer ſind die Lieder; doch iſt „der Bergmann“, Seite 106,15 kräftig, dann Seite 21, 116, 109, 6, 123, 96 (letztes nach einigen Verkürzungen).
Einem Briefe und meinem Zeitmangel iſt keine motivierte Kritik möglich. Kürzen Sie künftig Ihre Lieder mehr ab — denn ein ewiges iſt Proſe — ringen Sie bei Ihrer Korrektheit, bei Ihrem20 dichteriſchen Sinne und Ihrer Verskunſt nach noch größerer Ge- danken- und Bilderfülle — und ahmen Sie nicht Einem nach (Göthe), ſondern allen großen Dichtern, weil eine allſeitige Nachahmung alles Schönen zur Selberſtändigkeit reift — und leben Sie dadurch für die Dichtkunſt, daß Sie auch für das Leben leben und für die25 Wiſſenſchaften, welche beide die unſcheinbaren, bedeckten, ſchweren Wurzeln der leichten bunten Blüten der Dichtkunſt ſind; ſo wird das Schickſal künftig Ihre Dichtkunſt eben ſo belohnen, wie jetzo Sie der Genuß derſelben.
Dieß ſind meine herzlichſten Wünſche für Sie und Ihr Leben!30
Ihr Jean Paul Fr. Richter
40. An Cotta in Stuttgart.
Baireuth d. 13. März 1815
Hier, mein guter Cotta, ſchon wieder etwas für das Morgenblatt. Man wird doch nicht den Angriff des Nachdrucks in St-t für einen35
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[15/0020]
*39. An Karl Schellhorn in Saalfeld.
Baireuth d. 12 März 1815
Ich werde Ihre Poſt-Hoffnung ſo oft getäuſcht haben, bis Sie
endlich dann keine mehr hatten, da ſie erfüllt wurde. So wenig Zeit
mir zu Briefen bleibt, ſo gewinnt mir doch die Erinnerung an meine 5
einſamen Jünglingjahre Briefe an Jünglinge ab, welche durch ihre
innere Aufmunterung äußere verdienen wie Sie.
Dichtend nehmen Sie die Welt in ſich auf; nur aber gehört noch
dazu, daß Sie ſie dichtend aus ſich herausſtellen.
Am meiſten — um mit der Sonnenſeite anzufangen — gelangen 10
Ihnen die Elegien und Epigramme, worunter ich die Elegie Seite 222
am höchſten auszeichne, dann auch die Seite 230 bis 232, 238 und
239; — darauf die Romanzen und Balladen, worunter die auf
S. 187 die trefflichſte, dann S. 202 und „die Nachtfahrt“ S. 171,
— Schwächer ſind die Lieder; doch iſt „der Bergmann“, Seite 106, 15
kräftig, dann Seite 21, 116, 109, 6, 123, 96 (letztes nach einigen
Verkürzungen).
Einem Briefe und meinem Zeitmangel iſt keine motivierte
Kritik möglich. Kürzen Sie künftig Ihre Lieder mehr ab — denn
ein ewiges iſt Proſe — ringen Sie bei Ihrer Korrektheit, bei Ihrem 20
dichteriſchen Sinne und Ihrer Verskunſt nach noch größerer Ge-
danken- und Bilderfülle — und ahmen Sie nicht Einem nach (Göthe),
ſondern allen großen Dichtern, weil eine allſeitige Nachahmung
alles Schönen zur Selberſtändigkeit reift — und leben Sie dadurch
für die Dichtkunſt, daß Sie auch für das Leben leben und für die 25
Wiſſenſchaften, welche beide die unſcheinbaren, bedeckten, ſchweren
Wurzeln der leichten bunten Blüten der Dichtkunſt ſind; ſo wird das
Schickſal künftig Ihre Dichtkunſt eben ſo belohnen, wie jetzo Sie
der Genuß derſelben.
Dieß ſind meine herzlichſten Wünſche für Sie und Ihr Leben! 30
Ihr Jean Paul Fr. Richter
40. An Cotta in Stuttgart.
Baireuth d. 13. März 1815
Hier, mein guter Cotta, ſchon wieder etwas für das Morgenblatt.
Man wird doch nicht den Angriff des Nachdrucks in St-t für einen 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:19:52Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/20>, abgerufen am 22.07.2024.
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