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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954.

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358. An Emanuel.

Guten Morgen, mein Emanuel! Voß wird Sie wieder laben;
wie ich ihn mit Ihrem Blättchen, das erst leider morgen abgeht,
da ich bisher durchaus dazu schreiben wollte und nicht konnte. --5
Thieriot ist auch schon da. Ich habe weder von seinem Ehe Glück
noch Unglück einen Begriff. Einen Morgengruß an die Wieder-
auferstandne!

359. An Heinrich Voß in Heidelberg.
10

Mein geliebter Heinrich! Etwas muß ich doch deinen schönen
Briefen beantworten -- wenn ich auch in der Eile ihren ästhetischen
Werth nicht vergelte --, nämlich die Fragen. Thieriot schrieb als
ein noch 18jähriger Anhänger Schüler Hermanns wirklich den
Homer und seine Scholiasten. Er ist mehr als Liebhaber in der15
griechischen und in der englischen Sprache, welcher letzten er schon
als Jüngling einen stückweisen deutschen Shakspeare abzwang,
übrigens voll Liebe, Reinheit, Redlichkeit, Eitelkeit, Unbesonnenheit
und Außen-Idiotismen. -- Calderon spielte auf den alten Glauben
an, daß nur Bockblut den Diamanten weich mache. -- Übrigens ist20
spanische Klang-Poesie uns unübersetzbar; und zum Theil die italie-
nische; der Dante von Bachenschwanz ist mir in anderer Hinsicht
1000 [mal] lieber als der von Kannegießer. Aber den Homer und
Virgil brachte doch dein Vater mit schweren klingenden Schätzen
zu uns herüber. -- Yngur[d] ist im bösen Sinne eine Müllners Schuld25
selber; ist weder zu sehen, noch zu lesen; aber er rechnet wie all' das
neue Schreibvolk seinen Schatten zu seiner Statur. -- Roberts
Gedichte gegen Napoleon sind mir ein leeres Sonnetten-Feuerwerk
ohne Wärme; aber seine Jephta scheint mir trefflich. Rückert
steht lyrisch hoch über ihm; nur übertäubt die Instrumentalmusik30
der Sonnette seine dichterische Vokalmusik. Die meisten jetzigen
Sangvögel singen nach einer Drehorgel von Mustern, nicht aus
heissem Bruttrieb, wie die Nachtigall. -- Dem lieben Geib kann ich
nichts geben. Mit jeder neuen Monat- etc. etc. schrift bekomm' ich
einen neuen Feind, weil ich Mitarbeiter sein soll und nie kann und35

358. An Emanuel.

Guten Morgen, mein Emanuel! Voß wird Sie wieder laben;
wie ich ihn mit Ihrem Blättchen, das erſt leider morgen abgeht,
da ich bisher durchaus dazu ſchreiben wollte und nicht konnte. —5
Thieriot iſt auch ſchon da. Ich habe weder von ſeinem Ehe Glück
noch Unglück einen Begriff. Einen Morgengruß an die Wieder-
auferſtandne!

359. An Heinrich Voß in Heidelberg.
10

Mein geliebter Heinrich! Etwas muß ich doch deinen ſchönen
Briefen beantworten — wenn ich auch in der Eile ihren äſthetiſchen
Werth nicht vergelte —, nämlich die Fragen. Thieriot ſchrieb als
ein noch 18jähriger Anhänger 〈Schüler〉 Hermanns wirklich den
Homer und ſeine Scholiaſten. Er iſt mehr als Liebhaber in der15
griechiſchen und in der engliſchen Sprache, welcher letzten er ſchon
als Jüngling einen ſtückweiſen deutſchen Shakſpeare abzwang,
übrigens voll Liebe, Reinheit, Redlichkeit, Eitelkeit, Unbeſonnenheit
und Außen-Idiotiſmen. — Calderon ſpielte auf den alten Glauben
an, daß nur Bockblut den Diamanten weich mache. — Übrigens iſt20
ſpaniſche Klang-Poeſie uns unüberſetzbar; und zum Theil die italie-
niſche; der Dante von Bachenſchwanz iſt mir in anderer Hinſicht
1000 [mal] lieber als der von Kannegießer. Aber den Homer und
Virgil brachte doch dein Vater mit ſchweren klingenden Schätzen
zu uns herüber. — Yngur[d] iſt im böſen Sinne eine Müllners Schuld25
ſelber; iſt weder zu ſehen, noch zu leſen; aber er rechnet wie all’ das
neue Schreibvolk ſeinen Schatten zu ſeiner Statur. — Roberts
Gedichte gegen Napoleon ſind mir ein leeres Sonnetten-Feuerwerk
ohne Wärme; aber ſeine Jephta ſcheint mir trefflich. Rückert
ſteht lyriſch hoch über ihm; nur übertäubt die Inſtrumentalmuſik30
der Sonnette ſeine dichteriſche Vokalmuſik. Die meiſten jetzigen
Sangvögel ſingen nach einer Drehorgel von Muſtern, nicht aus
heiſſem Bruttrieb, wie die Nachtigall. — Dem lieben Geib kann ich
nichts geben. Mit jeder neuen Monat- ꝛc. ꝛc. ſchrift bekomm’ ich
einen neuen Feind, weil ich Mitarbeiter ſein ſoll und nie kann und35

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[162/0169] 358. An Emanuel. [Bayreuth, 15. Dez. 1817] Guten Morgen, mein Emanuel! Voß wird Sie wieder laben; wie ich ihn mit Ihrem Blättchen, das erſt leider morgen abgeht, da ich bisher durchaus dazu ſchreiben wollte und nicht konnte. — 5 Thieriot iſt auch ſchon da. Ich habe weder von ſeinem Ehe Glück noch Unglück einen Begriff. Einen Morgengruß an die Wieder- auferſtandne! 359. An Heinrich Voß in Heidelberg. Baireut d. 15. Dez. 1817 10 Mein geliebter Heinrich! Etwas muß ich doch deinen ſchönen Briefen beantworten — wenn ich auch in der Eile ihren äſthetiſchen Werth nicht vergelte —, nämlich die Fragen. Thieriot ſchrieb als ein noch 18jähriger Anhänger 〈Schüler〉 Hermanns wirklich den Homer und ſeine Scholiaſten. Er iſt mehr als Liebhaber in der 15 griechiſchen und in der engliſchen Sprache, welcher letzten er ſchon als Jüngling einen ſtückweiſen deutſchen Shakſpeare abzwang, übrigens voll Liebe, Reinheit, Redlichkeit, Eitelkeit, Unbeſonnenheit und Außen-Idiotiſmen. — Calderon ſpielte auf den alten Glauben an, daß nur Bockblut den Diamanten weich mache. — Übrigens iſt 20 ſpaniſche Klang-Poeſie uns unüberſetzbar; und zum Theil die italie- niſche; der Dante von Bachenſchwanz iſt mir in anderer Hinſicht 1000 [mal] lieber als der von Kannegießer. Aber den Homer und Virgil brachte doch dein Vater mit ſchweren klingenden Schätzen zu uns herüber. — Yngur[d] iſt im böſen Sinne eine Müllners Schuld 25 ſelber; iſt weder zu ſehen, noch zu leſen; aber er rechnet wie all’ das neue Schreibvolk ſeinen Schatten zu ſeiner Statur. — Roberts Gedichte gegen Napoleon ſind mir ein leeres Sonnetten-Feuerwerk ohne Wärme; aber ſeine Jephta ſcheint mir trefflich. Rückert ſteht lyriſch hoch über ihm; nur übertäubt die Inſtrumentalmuſik 30 der Sonnette ſeine dichteriſche Vokalmuſik. Die meiſten jetzigen Sangvögel ſingen nach einer Drehorgel von Muſtern, nicht aus heiſſem Bruttrieb, wie die Nachtigall. — Dem lieben Geib kann ich nichts geben. Mit jeder neuen Monat- ꝛc. ꝛc. ſchrift bekomm’ ich einen neuen Feind, weil ich Mitarbeiter ſein ſoll und nie kann und 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:19:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:19:52Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 7. Berlin, 1954, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe07_1954/169>, abgerufen am 02.05.2024.