Ihre Zeit-Ansichten thun meinem Verstande und Herzen wol, um so mehr, da ich mich über jeden Deutschen freue, welcher sagt: "ihr Leute, was bebt ihr denn da so? Kommt doch zu euch selber!"
Was meine gedruckten Urtheile über Englands Ministerium --5 nicht Volk -- anlangt, so halt' ich Hamburg für eine der Vor- städte Londons, welche leider bei Belagerungen zuerst abgebrannt werden, sogar vom Freunde. Aber Parteilichkeit mitten im festen Lande gegen Engländer hebt sich vielleicht mit Parteilichkeit an Küsten für sie gewisser massen auf; Bücher sind auch "Realien"10 und lassen um so reiner schließen, je weniger man auf der Bühne untergehender Realien steht. Alle gut meinende und denkende Menschen, die einander widersprechen, dürfen sich gegenseitig der Parteilichkeit anklagen und der Unparteilichkeit rühmen.
Ich grüße von ganzem Herzen unsern Beneke. Nur nehme nie-15 mand einem von eignen und fremden Büchern und Briefen übel geplagten Menschen Schweigen übel. Dasselbe sagen Sie auch unserem deutschen Villers, dem ich aber mit dem Mspt an Sie, eine Antwort sammt meinem französischen Bittschreiben an Ber- nadotte senden werde.20
Leben Sie wol, geliebter Perthes! Das künftige Jahr befriedige Ihr deutsches Herz!
Ihr Jean Paul Fr. Richter
212. An Emanuel.25
[Bayreuth, 26. Dez. 1809]
Dank für den herrlichen Brief; es ist wenigstens (gegen Otto) Einer für meine vielen geliehenen. Sie behandelt Mariens Heftig- keit trefflich; nur 2 Punkte ausgenommen; 1) nämlich sie soll sie nicht durch Erzählungen weinen machen -- denn der Thränen-Regen30 kommt auch von Sturm und es ist einerlei, worin ein Kind heftig ist, in Freude, Schmerz oder Zorn -- 2) keine Mutterhärte; diese weckt die Heftigkeit, wenn sich diese auch verstecken muß. Feste Sanftmuth und Entfernen aller aufreizenden Anläße sind jetzt die
Ihre Zeit-Anſichten thun meinem Verſtande und Herzen wol, um ſo mehr, da ich mich über jeden Deutſchen freue, welcher ſagt: „ihr Leute, was bebt ihr denn da ſo? Kommt doch zu euch ſelber!“
Was meine gedruckten Urtheile über Englands Miniſterium —5 nicht Volk — anlangt, ſo halt’ ich Hamburg für eine der Vor- ſtädte Londons, welche leider bei Belagerungen zuerſt abgebrannt werden, ſogar vom Freunde. Aber Parteilichkeit mitten im feſten Lande gegen Engländer hebt ſich vielleicht mit Parteilichkeit an Küſten für ſie gewiſſer maſſen auf; Bücher ſind auch „Realien“10 und laſſen um ſo reiner ſchließen, je weniger man auf der Bühne untergehender Realien ſteht. Alle gut meinende und denkende Menſchen, die einander widerſprechen, dürfen ſich gegenſeitig der Parteilichkeit anklagen und der Unparteilichkeit rühmen.
Ich grüße von ganzem Herzen unſern Beneke. Nur nehme nie-15 mand einem von eignen und fremden Büchern und Briefen übel geplagten Menſchen Schweigen übel. Daſſelbe ſagen Sie auch unſerem deutſchen Villers, dem ich aber mit dem Mſpt an Sie, eine Antwort ſammt meinem franzöſiſchen Bittſchreiben an Ber- nadotte ſenden werde.20
Leben Sie wol, geliebter Perthes! Das künftige Jahr befriedige Ihr deutſches Herz!
Ihr Jean Paul Fr. Richter
212. An Emanuel.25
[Bayreuth, 26. Dez. 1809]
Dank für den herrlichen Brief; es iſt wenigſtens (gegen Otto) Einer für meine vielen geliehenen. Sie behandelt Mariens Heftig- keit trefflich; nur 2 Punkte ausgenommen; 1) nämlich ſie ſoll ſie nicht durch Erzählungen weinen machen — denn der Thränen-Regen30 kommt auch von Sturm und es iſt einerlei, worin ein Kind heftig iſt, in Freude, Schmerz oder Zorn — 2) keine Mutterhärte; dieſe weckt die Heftigkeit, wenn ſich dieſe auch verſtecken muß. Feſte Sanftmuth und Entfernen aller aufreizenden Anläße ſind jetzt die
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Ihre Zeit-Anſichten thun meinem Verſtande und Herzen wol,
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ſelber!“
Was meine gedruckten Urtheile über Englands Miniſterium — 5
nicht Volk — anlangt, ſo halt’ ich Hamburg für eine der Vor-
ſtädte Londons, welche leider bei Belagerungen zuerſt abgebrannt
werden, ſogar vom Freunde. Aber Parteilichkeit mitten im feſten
Lande gegen Engländer hebt ſich vielleicht mit Parteilichkeit an
Küſten für ſie gewiſſer maſſen auf; Bücher ſind auch „Realien“ 10
und laſſen um ſo reiner ſchließen, je weniger man auf der Bühne
untergehender Realien ſteht. Alle gut meinende und denkende
Menſchen, die einander widerſprechen, dürfen ſich gegenſeitig der
Parteilichkeit anklagen und der Unparteilichkeit rühmen.
Ich grüße von ganzem Herzen unſern Beneke. Nur nehme nie- 15
mand einem von eignen und fremden Büchern und Briefen übel
geplagten Menſchen Schweigen übel. Daſſelbe ſagen Sie auch
unſerem deutſchen Villers, dem ich aber mit dem Mſpt an Sie,
eine Antwort ſammt meinem franzöſiſchen Bittſchreiben an Ber-
nadotte ſenden werde. 20
Leben Sie wol, geliebter Perthes! Das künftige Jahr befriedige
Ihr deutſches Herz!
Ihr
Jean Paul Fr. Richter
212. An Emanuel. 25
[Bayreuth, 26. Dez. 1809]
Dank für den herrlichen Brief; es iſt wenigſtens (gegen Otto)
Einer für meine vielen geliehenen. Sie behandelt Mariens Heftig-
keit trefflich; nur 2 Punkte ausgenommen; 1) nämlich ſie ſoll ſie
nicht durch Erzählungen weinen machen — denn der Thränen-Regen 30
kommt auch von Sturm und es iſt einerlei, worin ein Kind heftig
iſt, in Freude, Schmerz oder Zorn — 2) keine Mutterhärte; dieſe
weckt die Heftigkeit, wenn ſich dieſe auch verſtecken muß. Feſte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/93>, abgerufen am 21.11.2024.
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