wachsende Land, auch ohne Anlaß, zu bekriegen. Wie haben nicht Sparta, Rom und London die Welt verwundet, um sich selber in Blutbädern zu stärken und zu heilen! -- Mit dieser politischen Verblendung sollte man manche neuere Härten gegen Ausland wenigstens entschuldigen. Der Machiavellianismus nach außen ist5 in England blos in ein ganzes Ministerium vertheilt, wie sonst in Rom in den Senat; -- und durch dieses Umherschweifen unter einem Kollegium wird der moralische Unwille zertheilt und ent- kräftet --; ist hingegen Ein Mensch ein machiav. Ministerium, so hat der Haß sein Ziel und seinen feurigen Fokalpunkt.10
Niemand kann den Krieg ohne den Frieden, die Saat ohne die Ernte beurtheilen.
Ja gesetzt sogar, ich wäre das, was mich H--r fälschlich nennt, "ein warmer Verehrer": so seh' ich treffliche Menschen um mich, welche jenes und dieses sind; und der wahrhaft edle Graf von15 Benzel-Sternau -- denn er macht noch bessere Sachen als seine Bücher -- ist statt eines Verehrers gar ein Anbeter.
Mir ist jede Meinung eines andern gleichgültig, sobald sie nur nicht aus egoistischen Wünschen abstammt. --
Ihre Aufsätze hab' ich Ihnen alle geschickt. -- Freilich schreib'20 ich kleine Briefe, weil ich viele zu schreiben habe und große Bücher dazu. -- Von Perthes bekam ich seit H--r's Hiersein nichts.
Der Himmel umgebe Sie mit Menschen, welche lieben wie Sie, und mit jedem andern Glück. Ich grüße Sie und Ihre Gattin und Perthes.25
Ihr Jean Paul Fr. Richter
*169. An Stephan Schütze in Weimar.
Bayreuth d. 20. Okt. 1809
Der Himmel weiß, warum Sie so glücklich sind, daß sogar Ihre30 Wirklichkeit -- deren scharfe Spuren überall als Lokalfarben Ihren Wanderungen nachbleiben -- sich in Poesie verklärt. Eh' ich las, wünscht' ich lieber ein zweites Lustspiel von Ihnen in der Hand zu haben. Aber Sie haben diese Entbehrung schön vergütet durch reinen Scherz und reinen Ernst, durch bestimmte Charaktere und35
wachſende Land, auch ohne Anlaß, zu bekriegen. Wie haben nicht Sparta, Rom und London die Welt verwundet, um ſich ſelber in Blutbädern zu ſtärken und zu heilen! — Mit dieſer politiſchen Verblendung ſollte man manche neuere Härten gegen Ausland wenigſtens entſchuldigen. Der Machiavellianiſmus nach außen iſt5 in England blos in ein ganzes Miniſterium vertheilt, wie ſonſt in Rom in den Senat; — und durch dieſes Umherſchweifen unter einem Kollegium wird der moraliſche Unwille zertheilt und ent- kräftet —; iſt hingegen Ein Menſch ein machiav. Miniſterium, ſo hat der Haß ſein Ziel und ſeinen feurigen Fokalpunkt.10
Niemand kann den Krieg ohne den Frieden, die Saat ohne die Ernte beurtheilen.
Ja geſetzt ſogar, ich wäre das, was mich H—r fälſchlich nennt, „ein warmer Verehrer“: ſo ſeh’ ich treffliche Menſchen um mich, welche jenes und dieſes ſind; und der wahrhaft edle Graf von15 Benzel-Sternau — denn er macht noch beſſere Sachen als ſeine Bücher — iſt ſtatt eines Verehrers gar ein Anbeter.
Mir iſt jede Meinung eines andern gleichgültig, ſobald ſie nur nicht aus egoiſtiſchen Wünſchen abſtammt. —
Ihre Aufſätze hab’ ich Ihnen alle geſchickt. — Freilich ſchreib’20 ich kleine Briefe, weil ich viele zu ſchreiben habe und große Bücher dazu. — Von Perthes bekam ich ſeit H—r’s Hierſein nichts.
Der Himmel umgebe Sie mit Menſchen, welche lieben wie Sie, und mit jedem andern Glück. Ich grüße Sie und Ihre Gattin und Perthes.25
Ihr Jean Paul Fr. Richter
*169. An Stephan Schütze in Weimar.
Bayreuth d. 20. Okt. 1809
Der Himmel weiß, warum Sie ſo glücklich ſind, daß ſogar Ihre30 Wirklichkeit — deren ſcharfe Spuren überall als Lokalfarben Ihren Wanderungen nachbleiben — ſich in Poeſie verklärt. Eh’ ich las, wünſcht’ ich lieber ein zweites Luſtſpiel von Ihnen in der Hand zu haben. Aber Sie haben dieſe Entbehrung ſchön vergütet durch reinen Scherz und reinen Ernſt, durch beſtimmte Charaktere und35
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[61/0070]
wachſende Land, auch ohne Anlaß, zu bekriegen. Wie haben nicht
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Verblendung ſollte man manche neuere Härten gegen Ausland
wenigſtens entſchuldigen. Der Machiavellianiſmus nach außen iſt 5
in England blos in ein ganzes Miniſterium vertheilt, wie ſonſt in
Rom in den Senat; — und durch dieſes Umherſchweifen unter
einem Kollegium wird der moraliſche Unwille zertheilt und ent-
kräftet —; iſt hingegen Ein Menſch ein machiav. Miniſterium,
ſo hat der Haß ſein Ziel und ſeinen feurigen Fokalpunkt. 10
Niemand kann den Krieg ohne den Frieden, die Saat ohne die
Ernte beurtheilen.
Ja geſetzt ſogar, ich wäre das, was mich H—r fälſchlich nennt,
„ein warmer Verehrer“: ſo ſeh’ ich treffliche Menſchen um mich,
welche jenes und dieſes ſind; und der wahrhaft edle Graf von 15
Benzel-Sternau — denn er macht noch beſſere Sachen als ſeine
Bücher — iſt ſtatt eines Verehrers gar ein Anbeter.
Mir iſt jede Meinung eines andern gleichgültig, ſobald ſie nur
nicht aus egoiſtiſchen Wünſchen abſtammt. —
Ihre Aufſätze hab’ ich Ihnen alle geſchickt. — Freilich ſchreib’ 20
ich kleine Briefe, weil ich viele zu ſchreiben habe und große Bücher
dazu. — Von Perthes bekam ich ſeit H—r’s Hierſein nichts.
Der Himmel umgebe Sie mit Menſchen, welche lieben wie Sie,
und mit jedem andern Glück. Ich grüße Sie und Ihre Gattin
und Perthes. 25
Ihr
Jean Paul Fr. Richter
*169. An Stephan Schütze in Weimar.
Bayreuth d. 20. Okt. 1809
Der Himmel weiß, warum Sie ſo glücklich ſind, daß ſogar Ihre 30
Wirklichkeit — deren ſcharfe Spuren überall als Lokalfarben Ihren
Wanderungen nachbleiben — ſich in Poeſie verklärt. Eh’ ich las,
wünſcht’ ich lieber ein zweites Luſtſpiel von Ihnen in der Hand
zu haben. Aber Sie haben dieſe Entbehrung ſchön vergütet durch
reinen Scherz und reinen Ernſt, durch beſtimmte Charaktere und 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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