Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht geniert, einen von der übrigen Summe geschiedenen Schein.
Doch sogar diese Bitte ist eine Narrheit; denn will ich z. B. zu einer
Flucht von Ihnen Geld, so bekomm' ich es ja doch. -- Mein Brief
an Thieriot folgt hier noch unvollendet; seinen erbitte mir zurück. --
Der Brief Mariannens wird Sie erquicken; Sie sollten sie sehen5
und heirathen. So offenherzig war noch kein Weiberherz. Aber,
Guter, meine Antwort darauf kann weder vom wärmsten Gefühl,
noch der furchtsamsten Rechtschaffenheit allein eingegeben werden,
sondern von einem Verstande, von welchem meiner nicht genug be-
kommen hat.10

Allerdings ging Freitags eine fahrende Post nach Stuttgart, und
doch fürchte ich, sehr spät gekommen zu sein für den Almanachdruck.

778. An Marianne Lux in Mainz.
[Kopie]

Liebe Marianne! Die Locke, die meine Frau meinem Glatzkopfe15
abgeschnitten für Sie, ist die beste Widerlegung Ihres letzten Briefes
oder Fürchtens. Besorgen Sie doch nie mehr -- ich bitte Sie darum,
meiner Ruhe wegen -- daß ich irgend einen Ihrer Briefe, er sei
geschrieben wie er wolle, auf Ihre Kosten misverstehe. Ihr letzter
an mich hat an vielen Stellen mich innigst gerührt*) und in andern,20
wo Sie über mich scherzen, mich erheitert. Ich kenne ja Ihr ganzes
warmes reines idealisierendes Herz und dessen große Kraft; wie
sollte mich daran irgend eine Zeile des Augenblicks irre machen
können? Was ich freilich tadle, wenigstens beklage, ist, daß Ihr
Sonnenfeuer Ihnen süße Früchte zwar reift, aber dann auch aus-25
trocknet. -- Ihr Schwur, mich nie zu sehen, gilt nicht -- -- (Jetzo
kommen weise Lehren, die Sie sich verbaten) denn erstlich kann
man nur andern, nicht sich beschwören; und zweitens sich (und
andern) nur das Gute oder das Unterlassen des Bösen (denn diesen
Schwur bringen wir schon mit auf die Welt und kein neuer ver-30
stärkt ihn). Eine andere Sache aber zu beschwören, die nicht im
Gebiete der Sittlichkeit liegt, z. B. ewig eine Stadt, einen Menschen
zu vermeiden, ist ungerecht und dem Schicksal vorgreifend. -- Und
endlich geht wenigstens mich Ihr Schwur nichts an, und ich werde

*) Z. B. Ihr Singen an einem gewissen Abende und das Weinen der Schwester.35

nicht geniert, einen von der übrigen Summe geſchiedenen Schein.
Doch ſogar dieſe Bitte iſt eine Narrheit; denn will ich z. B. zu einer
Flucht von Ihnen Geld, ſo bekomm’ ich es ja doch. — Mein Brief
an Thieriot folgt hier noch unvollendet; ſeinen erbitte mir zurück. —
Der Brief Mariannens wird Sie erquicken; Sie ſollten ſie ſehen5
und heirathen. So offenherzig war noch kein Weiberherz. Aber,
Guter, meine Antwort darauf kann weder vom wärmſten Gefühl,
noch der furchtſamſten Rechtſchaffenheit allein eingegeben werden,
ſondern von einem Verſtande, von welchem meiner nicht genug be-
kommen hat.10

Allerdings ging Freitags eine fahrende Poſt nach Stuttgart, und
doch fürchte ich, ſehr ſpät gekommen zu ſein für den Almanachdruck.

778. An Marianne Lux in Mainz.
[Kopie]

Liebe Marianne! Die Locke, die meine Frau meinem Glatzkopfe15
abgeſchnitten für Sie, iſt die beſte Widerlegung Ihres letzten Briefes
oder Fürchtens. Beſorgen Sie doch nie mehr — ich bitte Sie darum,
meiner Ruhe wegen — daß ich irgend einen Ihrer Briefe, er ſei
geſchrieben wie er wolle, auf Ihre Koſten misverſtehe. Ihr letzter
an mich hat an vielen Stellen mich innigſt gerührt*) und in andern,20
wo Sie über mich ſcherzen, mich erheitert. Ich kenne ja Ihr ganzes
warmes reines idealiſierendes Herz und deſſen große Kraft; wie
ſollte mich daran irgend eine Zeile des Augenblicks irre machen
können? Was ich freilich tadle, wenigſtens beklage, iſt, daß Ihr
Sonnenfeuer Ihnen ſüße Früchte zwar reift, aber dann auch aus-25
trocknet. — Ihr Schwur, mich nie zu ſehen, gilt nicht — — (Jetzo
kommen weiſe Lehren, die Sie ſich verbaten) denn erſtlich kann
man nur andern, nicht ſich beſchwören; und zweitens ſich (und
andern) nur das Gute oder das Unterlaſſen des Böſen (denn dieſen
Schwur bringen wir ſchon mit auf die Welt und kein neuer ver-30
ſtärkt ihn). Eine andere Sache aber zu beſchwören, die nicht im
Gebiete der Sittlichkeit liegt, z. B. ewig eine Stadt, einen Menſchen
zu vermeiden, iſt ungerecht und dem Schickſal vorgreifend. — Und
endlich geht wenigſtens mich Ihr Schwur nichts an, und ich werde

*) Z. B. Ihr Singen an einem gewiſſen Abende und das Weinen der Schweſter.35
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0352" n="336"/>
nicht geniert, einen von der übrigen Summe ge&#x017F;chiedenen Schein.<lb/>
Doch &#x017F;ogar die&#x017F;e Bitte i&#x017F;t eine Narrheit; denn will ich z. B. zu einer<lb/>
Flucht von Ihnen Geld, &#x017F;o bekomm&#x2019; ich es ja doch. &#x2014; Mein Brief<lb/>
an <hi rendition="#aq">Thieriot</hi> folgt hier noch unvollendet; &#x017F;einen erbitte mir zurück. &#x2014;<lb/>
Der Brief <hi rendition="#aq">Mariannens</hi> wird Sie erquicken; Sie &#x017F;ollten &#x017F;ie &#x017F;ehen<lb n="5"/>
und heirathen. So offenherzig war noch kein Weiberherz. Aber,<lb/>
Guter, meine Antwort darauf kann weder vom wärm&#x017F;ten Gefühl,<lb/>
noch der furcht&#x017F;am&#x017F;ten Recht&#x017F;chaffenheit allein eingegeben werden,<lb/>
&#x017F;ondern von einem Ver&#x017F;tande, von welchem meiner nicht genug be-<lb/>
kommen hat.<lb n="10"/>
</p>
        <p>Allerdings ging Freitags eine fahrende Po&#x017F;t nach <hi rendition="#aq">Stuttgart,</hi> und<lb/>
doch fürchte ich, &#x017F;ehr &#x017F;pät gekommen zu &#x017F;ein für den Almanachdruck.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>778. An <hi rendition="#g">Marianne Lux in Mainz.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 20. Juli 1813]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Liebe Marianne! Die Locke, die meine Frau meinem Glatzkopfe<lb n="15"/>
abge&#x017F;chnitten für Sie, i&#x017F;t die be&#x017F;te Widerlegung Ihres letzten Briefes<lb/>
oder Fürchtens. Be&#x017F;orgen Sie doch nie mehr &#x2014; ich bitte Sie darum,<lb/>
meiner Ruhe wegen &#x2014; daß ich irgend einen Ihrer Briefe, er &#x017F;ei<lb/>
ge&#x017F;chrieben wie er wolle, auf Ihre Ko&#x017F;ten misver&#x017F;tehe. Ihr letzter<lb/>
an mich hat an vielen Stellen mich innig&#x017F;t gerührt<note place="foot" n="*)">Z. B. Ihr Singen an einem gewi&#x017F;&#x017F;en Abende und das Weinen der Schwe&#x017F;ter.<note place="right">35</note></note> und in andern,<lb n="20"/>
wo Sie über mich &#x017F;cherzen, mich erheitert. Ich kenne ja Ihr ganzes<lb/>
warmes reines ideali&#x017F;ierendes Herz und de&#x017F;&#x017F;en große Kraft; wie<lb/>
&#x017F;ollte mich daran irgend eine Zeile des Augenblicks irre machen<lb/>
können? Was ich freilich tadle, wenig&#x017F;tens beklage, i&#x017F;t, daß Ihr<lb/>
Sonnenfeuer Ihnen &#x017F;üße Früchte zwar reift, aber dann auch aus-<lb n="25"/>
trocknet. &#x2014; Ihr Schwur, mich nie zu &#x017F;ehen, gilt nicht &#x2014; &#x2014; (Jetzo<lb/>
kommen wei&#x017F;e Lehren, die Sie &#x017F;ich verbaten) denn er&#x017F;tlich kann<lb/>
man nur andern, nicht &#x017F;ich be&#x017F;chwören; und zweitens &#x017F;ich (und<lb/>
andern) nur das Gute oder das Unterla&#x017F;&#x017F;en des Bö&#x017F;en (denn die&#x017F;en<lb/>
Schwur bringen wir &#x017F;chon mit auf die Welt und kein neuer ver-<lb n="30"/>
&#x017F;tärkt ihn). Eine andere Sache aber zu be&#x017F;chwören, die nicht im<lb/>
Gebiete der Sittlichkeit liegt, z. B. ewig eine Stadt, einen Men&#x017F;chen<lb/>
zu vermeiden, i&#x017F;t ungerecht und dem Schick&#x017F;al vorgreifend. &#x2014; Und<lb/>
endlich geht wenig&#x017F;tens <hi rendition="#g">mich</hi> Ihr Schwur nichts an, und ich werde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0352] nicht geniert, einen von der übrigen Summe geſchiedenen Schein. Doch ſogar dieſe Bitte iſt eine Narrheit; denn will ich z. B. zu einer Flucht von Ihnen Geld, ſo bekomm’ ich es ja doch. — Mein Brief an Thieriot folgt hier noch unvollendet; ſeinen erbitte mir zurück. — Der Brief Mariannens wird Sie erquicken; Sie ſollten ſie ſehen 5 und heirathen. So offenherzig war noch kein Weiberherz. Aber, Guter, meine Antwort darauf kann weder vom wärmſten Gefühl, noch der furchtſamſten Rechtſchaffenheit allein eingegeben werden, ſondern von einem Verſtande, von welchem meiner nicht genug be- kommen hat. 10 Allerdings ging Freitags eine fahrende Poſt nach Stuttgart, und doch fürchte ich, ſehr ſpät gekommen zu ſein für den Almanachdruck. 778. An Marianne Lux in Mainz. [Bayreuth, 20. Juli 1813] Liebe Marianne! Die Locke, die meine Frau meinem Glatzkopfe 15 abgeſchnitten für Sie, iſt die beſte Widerlegung Ihres letzten Briefes oder Fürchtens. Beſorgen Sie doch nie mehr — ich bitte Sie darum, meiner Ruhe wegen — daß ich irgend einen Ihrer Briefe, er ſei geſchrieben wie er wolle, auf Ihre Koſten misverſtehe. Ihr letzter an mich hat an vielen Stellen mich innigſt gerührt *) und in andern, 20 wo Sie über mich ſcherzen, mich erheitert. Ich kenne ja Ihr ganzes warmes reines idealiſierendes Herz und deſſen große Kraft; wie ſollte mich daran irgend eine Zeile des Augenblicks irre machen können? Was ich freilich tadle, wenigſtens beklage, iſt, daß Ihr Sonnenfeuer Ihnen ſüße Früchte zwar reift, aber dann auch aus- 25 trocknet. — Ihr Schwur, mich nie zu ſehen, gilt nicht — — (Jetzo kommen weiſe Lehren, die Sie ſich verbaten) denn erſtlich kann man nur andern, nicht ſich beſchwören; und zweitens ſich (und andern) nur das Gute oder das Unterlaſſen des Böſen (denn dieſen Schwur bringen wir ſchon mit auf die Welt und kein neuer ver- 30 ſtärkt ihn). Eine andere Sache aber zu beſchwören, die nicht im Gebiete der Sittlichkeit liegt, z. B. ewig eine Stadt, einen Menſchen zu vermeiden, iſt ungerecht und dem Schickſal vorgreifend. — Und endlich geht wenigſtens mich Ihr Schwur nichts an, und ich werde *) Z. B. Ihr Singen an einem gewiſſen Abende und das Weinen der Schweſter.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/352
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/352>, abgerufen am 25.11.2024.