Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

Bild:
<< vorherige Seite
754. An Emanuel.

Guten Morgen, geliebter Emanuel! Welche Weltgeschichte
steht zwischen Ihrer Abreise und Ihrer Ankunft! -- Hier ein Brief,
dessen Verfasserin die Tochter des Lux ist, den ich in der Corday5
(S. Katzenberger B. 2. S. 248 etc.) so gelobt. Sie werden sich
laben. -- Und hier meine Aesthetik.

755. An Otto.

Lieber Alter! Ich hätt' es früher einsehen sollen, daß die Briefe10
Mariannens durchaus nur von 1) dir und 2) Emanuel gelesen
werden können; schon aus meiner alten Regel, daß man blos in
höchster Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem
eignen mittheilen dürfe; und diese Gewißheit existiert nur unter uns
dreien. -- Du wirst im Briefe eine erhabene Ansicht finden, welche15
niederquetscht nicht zum Petrus, sondern tiefer; aber welche Gestalt
in der Geschichte besteht vor Christus?

756. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.

Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich20
eben so sehr überrascht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch
deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verstimmung
der Zeit. Wie? Du Belisar sprichst einen Mitkrieger unter deinem
Kommando um einen Obulus an? Freilich wer wird unter dem
jetzigen Erdgeist nicht der alte Belisar?25

Auch ich habe ähnliche Verstimmungen des Augenblicks -- und
dergleichen ist schon zuviel für uns bloße Augenblickmenschen -- aber
der Glaube an die längere ausgleichende und aussöhnende Zukunft
kehrt mir sehr bald zurück; und ich wünschte nur, ich hätte über den
Menschen-Gang hinter unserer Erdkugel so viele Gewißheit als30
über den Völker-Fortgang auf derselben. Die Zweifelstelle aus
meinem Briefe in dem deinigen, bezog sich blos auf das elende kalte
Mondlicht der Metaphysik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond-
hoflicht ist, das oft so erbärmlich nach Zurückstrahlungen von Zurück-

754. An Emanuel.

Guten Morgen, geliebter Emanuel! Welche Weltgeſchichte
ſteht zwiſchen Ihrer Abreiſe und Ihrer Ankunft! — Hier ein Brief,
deſſen Verfaſſerin die Tochter des Lux iſt, den ich in der Corday5
(S. Katzenberger B. 2. S. 248 ꝛc.) ſo gelobt. Sie werden ſich
laben. — Und hier meine Aeſthetik.

755. An Otto.

Lieber Alter! Ich hätt’ es früher einſehen ſollen, daß die Briefe10
Mariannens durchaus nur von 1) dir und 2) Emanuel geleſen
werden können; ſchon aus meiner alten Regel, daß man blos in
höchſter Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem
eignen mittheilen dürfe; und dieſe Gewißheit exiſtiert nur unter uns
dreien. — Du wirſt im Briefe eine erhabene Anſicht finden, welche15
niederquetſcht nicht zum Petrus, ſondern tiefer; aber welche Geſtalt
in der Geſchichte beſteht vor Chriſtus?

756. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.

Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich20
eben ſo ſehr überraſcht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch
deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verſtimmung
der Zeit. Wie? Du Beliſar ſprichſt einen Mitkrieger unter deinem
Kommando um einen Obulus an? Freilich wer wird unter dem
jetzigen Erdgeiſt nicht der alte Beliſar?25

Auch ich habe ähnliche Verſtimmungen des Augenblicks — und
dergleichen iſt ſchon zuviel für uns bloße Augenblickmenſchen — aber
der Glaube an die längere ausgleichende und ausſöhnende Zukunft
kehrt mir ſehr bald zurück; und ich wünſchte nur, ich hätte über den
Menſchen-Gang hinter unſerer Erdkugel ſo viele Gewißheit als30
über den Völker-Fortgang auf derſelben. Die Zweifelſtelle aus
meinem Briefe in dem deinigen, bezog ſich blos auf das elende kalte
Mondlicht der Metaphyſik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond-
hoflicht iſt, das oft ſo erbärmlich nach Zurückſtrahlungen von Zurück-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0337" n="322"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>754. An <hi rendition="#g">Emanuel.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 2. Hälfte Mai 1813]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Guten Morgen, geliebter <hi rendition="#aq">Emanuel!</hi> Welche Weltge&#x017F;chichte<lb/>
&#x017F;teht zwi&#x017F;chen Ihrer Abrei&#x017F;e und Ihrer Ankunft! &#x2014; Hier ein Brief,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Verfa&#x017F;&#x017F;erin die Tochter des <hi rendition="#aq">Lux</hi> i&#x017F;t, den ich in der <hi rendition="#aq">Corday</hi><lb n="5"/>
(S. <hi rendition="#aq">Katzenberger</hi> B. 2. S. 248 &#xA75B;c.) &#x017F;o gelobt. Sie werden &#x017F;ich<lb/>
laben. &#x2014; Und hier meine Ae&#x017F;thetik.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>755. An <hi rendition="#g">Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, Mai (?) 1813]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Lieber Alter! Ich hätt&#x2019; es früher ein&#x017F;ehen &#x017F;ollen, daß die Briefe<lb n="10"/> <hi rendition="#aq">Mariannens</hi> durchaus <hi rendition="#g">nur</hi> von 1) dir und 2) <hi rendition="#aq">Emanuel</hi> gele&#x017F;en<lb/>
werden können; &#x017F;chon aus meiner alten Regel, daß man blos in<lb/>
höch&#x017F;ter Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem<lb/>
eignen mittheilen dürfe; und die&#x017F;e Gewißheit exi&#x017F;tiert nur unter uns<lb/>
dreien. &#x2014; Du wir&#x017F;t im Briefe eine erhabene An&#x017F;icht finden, welche<lb n="15"/>
niederquet&#x017F;cht nicht zum Petrus, &#x017F;ondern tiefer; aber welche Ge&#x017F;talt<lb/>
in der Ge&#x017F;chichte be&#x017F;teht vor Chri&#x017F;tus?</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>756. An <hi rendition="#g">Friedrich Heinrich Jacobi in München.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Baireuth</hi> d. 21 Mai 1813</hi> </dateline><lb/>
        <p>Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich<lb n="20"/>
eben &#x017F;o &#x017F;ehr überra&#x017F;cht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch<lb/>
deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Ver&#x017F;timmung<lb/>
der Zeit. Wie? Du Beli&#x017F;ar &#x017F;prich&#x017F;t einen Mitkrieger unter deinem<lb/>
Kommando um einen <hi rendition="#aq">Obulus</hi> an? Freilich wer wird unter dem<lb/>
jetzigen Erdgei&#x017F;t nicht der alte Beli&#x017F;ar?<lb n="25"/>
</p>
        <p>Auch ich habe ähnliche Ver&#x017F;timmungen des Augenblicks &#x2014; und<lb/>
dergleichen i&#x017F;t &#x017F;chon zuviel für uns bloße Augenblickmen&#x017F;chen &#x2014; aber<lb/>
der Glaube an die längere ausgleichende und aus&#x017F;öhnende Zukunft<lb/>
kehrt mir &#x017F;ehr bald zurück; und ich wün&#x017F;chte nur, ich hätte über den<lb/>
Men&#x017F;chen-Gang <hi rendition="#g">hinter</hi> un&#x017F;erer Erdkugel &#x017F;o viele Gewißheit als<lb n="30"/>
über den Völker-Fortgang <hi rendition="#g">auf</hi> der&#x017F;elben. Die Zweifel&#x017F;telle aus<lb/>
meinem Briefe in dem deinigen, bezog &#x017F;ich blos auf das elende kalte<lb/>
Mondlicht der Metaphy&#x017F;ik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond-<lb/>
hoflicht i&#x017F;t, das oft &#x017F;o erbärmlich nach Zurück&#x017F;trahlungen von Zurück-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0337] 754. An Emanuel. [Bayreuth, 2. Hälfte Mai 1813] Guten Morgen, geliebter Emanuel! Welche Weltgeſchichte ſteht zwiſchen Ihrer Abreiſe und Ihrer Ankunft! — Hier ein Brief, deſſen Verfaſſerin die Tochter des Lux iſt, den ich in der Corday 5 (S. Katzenberger B. 2. S. 248 ꝛc.) ſo gelobt. Sie werden ſich laben. — Und hier meine Aeſthetik. 755. An Otto. [Bayreuth, Mai (?) 1813] Lieber Alter! Ich hätt’ es früher einſehen ſollen, daß die Briefe 10 Mariannens durchaus nur von 1) dir und 2) Emanuel geleſen werden können; ſchon aus meiner alten Regel, daß man blos in höchſter Gewißheit der Einerleiheit des fremden Urtheils mit dem eignen mittheilen dürfe; und dieſe Gewißheit exiſtiert nur unter uns dreien. — Du wirſt im Briefe eine erhabene Anſicht finden, welche 15 niederquetſcht nicht zum Petrus, ſondern tiefer; aber welche Geſtalt in der Geſchichte beſteht vor Chriſtus? 756. An Friedrich Heinrich Jacobi in München. Baireuth d. 21 Mai 1813 Mein alt- und neu-geliebter Heinrich! Dein Herzbrief hat mich 20 eben ſo ſehr überraſcht und erfreuet als doch betrübt. Letztes durch deine, gewis nur augenblickliche Stimmung über die Verſtimmung der Zeit. Wie? Du Beliſar ſprichſt einen Mitkrieger unter deinem Kommando um einen Obulus an? Freilich wer wird unter dem jetzigen Erdgeiſt nicht der alte Beliſar? 25 Auch ich habe ähnliche Verſtimmungen des Augenblicks — und dergleichen iſt ſchon zuviel für uns bloße Augenblickmenſchen — aber der Glaube an die längere ausgleichende und ausſöhnende Zukunft kehrt mir ſehr bald zurück; und ich wünſchte nur, ich hätte über den Menſchen-Gang hinter unſerer Erdkugel ſo viele Gewißheit als 30 über den Völker-Fortgang auf derſelben. Die Zweifelſtelle aus meinem Briefe in dem deinigen, bezog ſich blos auf das elende kalte Mondlicht der Metaphyſik, das ein Nebenmondlicht, ja ein Mond- hoflicht iſt, das oft ſo erbärmlich nach Zurückſtrahlungen von Zurück-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/337
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/337>, abgerufen am 22.11.2024.