der noch ungedruckt bleibt -- zugeschickt, nämlich über das Ent- stehen der ersten Pflanzen, Thiere und Menschen; -- in welchem ich das fast allgemein angenommene, mir abscheuliche atomistische Entstehen- und Konglomerieren-Lassen lebendiger Wesen mit philo- sophischen und physiologischen etc. etc. Gründen angefallen. Vielleicht5 bring' ich dir eine Abschrift mit. Packe auch recht viele Papiere ein für mich.
Über dein Buch und deinen Feind, der mir oft beinahe körperlich weh gethan, mündlich das Mehrere! Er findet es selber -- wie er zu Kraser sagte -- zu hart. In unserem Jahrhundert gibt es keine10 Dankbarkeit mehr, weder der Schüler, noch der Eroberer. Mich ekeln ordentlich jetzt die Philosophen, welche wie Schelling und Fichte, immer eine neue Philosophie aus der Tasche spielen und vorhalten, wenn man ihre alte angreift, und welche sich als um- gekehrte Proteuse, erst verwandeln, wenn man sie gebunden15 hat zum Antwort geben. Wer Henker -- nicht einmal seine An- hänger -- konnte wissen, daß er die Endlichkeit zweimal setzt, ein- mal in,*) einmal außer Gott? Er konnte eben so gut die Göttlich- keit zweimal setzen, einmal außen, einmal innen.
Lebe wol, lieber Bruder! Dein20 J. P. F. Richter
Lasse ja, der Sicherheit wegen, deine Antwort unfrankiert.
641. An Professor Schweigger in Nürnberg.
[Kopie][Bayreuth, 10. Mai 1812]
-- mein Poet-Mathematik[us] und Philolog-Physikus -- Nur25 helfen Sie mir zu [einer] Stube, die ich zusperre, um Jacobi zu sehen, oder auch aufsperre, eben deßhalb etc. -- Aber eine Kardinal- frage -- und Ihre Antwort darauf ist eine Kardinaltugend -- ist, ob Doppel-Bier zu finden ist; fehlte dieser Bier-Dualismus: so müßt' ich vorher mir Messias, der mit Feuer tauft, den Johannes30 Vorläufer und Täufer, nämlich ein Erlanger Faß voraus schicken, das mich fleißig tauft... Ich freue mich, nach vielen fremden Ein- quartierungen bei mir, selber eine zu sein im altdeutsch-schönen Nürnberg.
*) eben fallen mir die zwei Naturen in Christo ein; aber die menschliche war35 doch nicht wider die göttliche.
der noch ungedruckt bleibt — zugeſchickt, nämlich über das Ent- ſtehen der erſten Pflanzen, Thiere und Menſchen; — in welchem ich das faſt allgemein angenommene, mir abſcheuliche atomiſtiſche Entſtehen- und Konglomerieren-Laſſen lebendiger Weſen mit philo- ſophiſchen und phyſiologiſchen ꝛc. ꝛc. Gründen angefallen. Vielleicht5 bring’ ich dir eine Abſchrift mit. Packe auch recht viele Papiere ein für mich.
Über dein Buch und deinen Feind, der mir oft beinahe körperlich weh gethan, mündlich das Mehrere! Er findet es ſelber — wie er zu Kraser ſagte — zu hart. In unſerem Jahrhundert gibt es keine10 Dankbarkeit mehr, weder der Schüler, noch der Eroberer. Mich ekeln ordentlich jetzt die Philoſophen, welche wie Schelling und Fichte, immer eine neue Philoſophie aus der Taſche ſpielen und vorhalten, wenn man ihre alte angreift, und welche ſich als um- gekehrte Proteuſe, erſt verwandeln, wenn man ſie gebunden15 hat zum Antwort geben. Wer Henker — nicht einmal ſeine An- hänger — konnte wiſſen, daß er die Endlichkeit zweimal ſetzt, ein- mal in,*) einmal außer Gott? Er konnte eben ſo gut die Göttlich- keit zweimal ſetzen, einmal außen, einmal innen.
Lebe wol, lieber Bruder! Dein20 J. P. F. Richter
Laſſe ja, der Sicherheit wegen, deine Antwort unfrankiert.
641. An Profeſſor Schweigger in Nürnberg.
[Kopie][Bayreuth, 10. Mai 1812]
— mein Poet-Mathematik[us] und Philolog-Phyſikus — Nur25 helfen Sie mir zu [einer] Stube, die ich zuſperre, um Jacobi zu ſehen, oder auch aufſperre, eben deßhalb ꝛc. — Aber eine Kardinal- frage — und Ihre Antwort darauf iſt eine Kardinaltugend — iſt, ob Doppel-Bier zu finden iſt; fehlte dieſer Bier-Dualiſmus: ſo müßt’ ich vorher mir Meſſias, der mit Feuer tauft, den Johannes30 Vorläufer und Täufer, nämlich ein Erlanger Faß voraus ſchicken, das mich fleißig tauft... Ich freue mich, nach vielen fremden Ein- quartierungen bei mir, ſelber eine zu ſein im altdeutſch-ſchönen Nürnberg.
*) eben fallen mir die zwei Naturen in Chriſto ein; aber die menſchliche war35 doch nicht wider die göttliche.
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der noch ungedruckt bleibt — zugeſchickt, nämlich über das Ent-
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Entſtehen- und Konglomerieren-Laſſen lebendiger Weſen mit philo-
ſophiſchen und phyſiologiſchen ꝛc. ꝛc. Gründen angefallen. Vielleicht 5
bring’ ich dir eine Abſchrift mit. Packe auch recht viele Papiere
ein für mich.
Über dein Buch und deinen Feind, der mir oft beinahe körperlich
weh gethan, mündlich das Mehrere! Er findet es ſelber — wie er
zu Kraser ſagte — zu hart. In unſerem Jahrhundert gibt es keine 10
Dankbarkeit mehr, weder der Schüler, noch der Eroberer. Mich
ekeln ordentlich jetzt die Philoſophen, welche wie Schelling und
Fichte, immer eine neue Philoſophie aus der Taſche ſpielen und
vorhalten, wenn man ihre alte angreift, und welche ſich als um-
gekehrte Proteuſe, erſt verwandeln, wenn man ſie gebunden 15
hat zum Antwort geben. Wer Henker — nicht einmal ſeine An-
hänger — konnte wiſſen, daß er die Endlichkeit zweimal ſetzt, ein-
mal in, *) einmal außer Gott? Er konnte eben ſo gut die Göttlich-
keit zweimal ſetzen, einmal außen, einmal innen.
Lebe wol, lieber Bruder! Dein 20
J. P. F. Richter
Laſſe ja, der Sicherheit wegen, deine Antwort unfrankiert.
641. An Profeſſor Schweigger in Nürnberg.
[Bayreuth, 10. Mai 1812]
— mein Poet-Mathematik[us] und Philolog-Phyſikus — Nur 25
helfen Sie mir zu [einer] Stube, die ich zuſperre, um Jacobi zu
ſehen, oder auch aufſperre, eben deßhalb ꝛc. — Aber eine Kardinal-
frage — und Ihre Antwort darauf iſt eine Kardinaltugend — iſt,
ob Doppel-Bier zu finden iſt; fehlte dieſer Bier-Dualiſmus: ſo
müßt’ ich vorher mir Meſſias, der mit Feuer tauft, den Johannes 30
Vorläufer und Täufer, nämlich ein Erlanger Faß voraus ſchicken,
das mich fleißig tauft... Ich freue mich, nach vielen fremden Ein-
quartierungen bei mir, ſelber eine zu ſein im altdeutſch-ſchönen
Nürnberg.
*) eben fallen mir die zwei Naturen in Chriſto ein; aber die menſchliche war 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/278>, abgerufen am 06.07.2024.
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