Es würde mich schmerzen -- wiewol ich diesen Schmerz verdiente -- wenn Sie mein bisheriges Schweigen für ein Mißurtheil über Ihr Werk genommen hätten. Aber die Liebe, welche Sie darin5 für meine Ansicht gezeigt, und die Absicht und der Werth Ihres Buchs [mußten] Ihnen unsere Zusammenstimmung zusichern. Ihr Enthusiasmus erfreuet mich, er ist das Herz des innern Menschen, ohne welches er leichenkalt umliegt; die warme Sonne des ganzen Lebens, indeß bloße Einsicht der Mond ist, der freilich nicht brennt10 und keine Gewitter erzeugt, aber auch keine Früchte und Frühlinge. Allerdings taugt eine Sonne ohne Mond so wenig als ein Mond ohne Sonne -- für niedere Leser dem Buch mehr Klarheit und eine andere Ordnung wünschen -- Gegen Fichte: denn ja nicht an An- schauungen und Empfindungen fehlts dem Kinde -- darin schwimmt15 sogar das Vieh wie das Kind -- sondern [an] Kräften und Mitteln, dieses allgemeine verworrene Leuchten in bestimmte Sternbilder ab- zutheilen und durch die Auflösung des Ganzen in Theile sich ein Bewußtsein zu verschaffen. Dieß vermag aber nur die Sprache, welche gleichsam die weite einfarbige Weltkarte illuminiert. Und20 daher ist das Pestalozzische Abc der Empfindung die beste Lese- methode des Buchs der Natur. Er hätte zwar statt der Anschauung eben so gut das Anhören wählen können, aber die Meßlehre für das Auge theilt feiner, bleibt länger, kommt öfter und erinnert sich leichter als die für das Ohr (Musik) ... Ermatten Sie nicht25 auf Ihrem Wege bergan. Und kämen Sie sogar nicht hinauf: so tröste Sie das Bewußtsein, recht lange das Auge gegen einen Berg- gipfel gerichtet zu haben, nicht gegen das platte Land des Furchen- Ziehens nach Brod.
353. An Perthes in Hamburg.30
[Kopie][Bayreuth, 17. Sept. 1810]
-- Heeren konnte mich nicht angenehmer loben als daß er meiner Meinung war, eh' er sie gelesen -- Marheinecke gibt ein etwas zu breit geschlagnes Gold. Sehr wirksam für Deutschland würde
352. An Pfarrer Hagen in Dottenheim.
[Kopie][Bayreuth, 16. Sept. 1810]
Es würde mich ſchmerzen — wiewol ich dieſen Schmerz verdiente — wenn Sie mein bisheriges Schweigen für ein Mißurtheil über Ihr Werk genommen hätten. Aber die Liebe, welche Sie darin5 für meine Anſicht gezeigt, und die Abſicht und der Werth Ihres Buchs [mußten] Ihnen unſere Zuſammenſtimmung zuſichern. Ihr Enthuſiaſmus erfreuet mich, er iſt das Herz des innern Menſchen, ohne welches er leichenkalt umliegt; die warme Sonne des ganzen Lebens, indeß bloße Einſicht der Mond iſt, der freilich nicht brennt10 und keine Gewitter erzeugt, aber auch keine Früchte und Frühlinge. Allerdings taugt eine Sonne ohne Mond ſo wenig als ein Mond ohne Sonne — für niedere Leſer dem Buch mehr Klarheit und eine andere Ordnung wünſchen — Gegen Fichte: denn ja nicht an An- ſchauungen und Empfindungen fehlts dem Kinde — darin ſchwimmt15 ſogar das Vieh wie das Kind — ſondern [an] Kräften und Mitteln, dieſes allgemeine verworrene Leuchten in beſtimmte Sternbilder ab- zutheilen und durch die Auflöſung des Ganzen in Theile ſich ein Bewußtſein zu verſchaffen. Dieß vermag aber nur die Sprache, welche gleichſam die weite einfarbige Weltkarte illuminiert. Und20 daher iſt das Peſtalozziſche Abc der Empfindung die beſte Leſe- methode des Buchs der Natur. Er hätte zwar ſtatt der Anſchauung eben ſo gut das Anhören wählen können, aber die Meßlehre für das Auge theilt feiner, bleibt länger, kommt öfter und erinnert ſich leichter als die für das Ohr (Muſik) ... Ermatten Sie nicht25 auf Ihrem Wege bergan. Und kämen Sie ſogar nicht hinauf: ſo tröſte Sie das Bewußtſein, recht lange das Auge gegen einen Berg- gipfel gerichtet zu haben, nicht gegen das platte Land des Furchen- Ziehens nach Brod.
353. An Perthes in Hamburg.30
[Kopie][Bayreuth, 17. Sept. 1810]
— Heeren konnte mich nicht angenehmer loben als daß er meiner Meinung war, eh’ er ſie geleſen — Marheinecke gibt ein etwas zu breit geſchlagnes Gold. Sehr wirkſam für Deutſchland würde
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[137/0150]
352. An Pfarrer Hagen in Dottenheim.
[Bayreuth, 16. Sept. 1810]
Es würde mich ſchmerzen — wiewol ich dieſen Schmerz verdiente
— wenn Sie mein bisheriges Schweigen für ein Mißurtheil über
Ihr Werk genommen hätten. Aber die Liebe, welche Sie darin 5
für meine Anſicht gezeigt, und die Abſicht und der Werth Ihres
Buchs [mußten] Ihnen unſere Zuſammenſtimmung zuſichern. Ihr
Enthuſiaſmus erfreuet mich, er iſt das Herz des innern Menſchen,
ohne welches er leichenkalt umliegt; die warme Sonne des ganzen
Lebens, indeß bloße Einſicht der Mond iſt, der freilich nicht brennt 10
und keine Gewitter erzeugt, aber auch keine Früchte und Frühlinge.
Allerdings taugt eine Sonne ohne Mond ſo wenig als ein Mond
ohne Sonne — für niedere Leſer dem Buch mehr Klarheit und eine
andere Ordnung wünſchen — Gegen Fichte: denn ja nicht an An-
ſchauungen und Empfindungen fehlts dem Kinde — darin ſchwimmt 15
ſogar das Vieh wie das Kind — ſondern [an] Kräften und Mitteln,
dieſes allgemeine verworrene Leuchten in beſtimmte Sternbilder ab-
zutheilen und durch die Auflöſung des Ganzen in Theile ſich ein
Bewußtſein zu verſchaffen. Dieß vermag aber nur die Sprache,
welche gleichſam die weite einfarbige Weltkarte illuminiert. Und 20
daher iſt das Peſtalozziſche Abc der Empfindung die beſte Leſe-
methode des Buchs der Natur. Er hätte zwar ſtatt der Anſchauung
eben ſo gut das Anhören wählen können, aber die Meßlehre für
das Auge theilt feiner, bleibt länger, kommt öfter und erinnert
ſich leichter als die für das Ohr (Muſik) ... Ermatten Sie nicht 25
auf Ihrem Wege bergan. Und kämen Sie ſogar nicht hinauf: ſo
tröſte Sie das Bewußtſein, recht lange das Auge gegen einen Berg-
gipfel gerichtet zu haben, nicht gegen das platte Land des Furchen-
Ziehens nach Brod.
353. An Perthes in Hamburg. 30
[Bayreuth, 17. Sept. 1810]
— Heeren konnte mich nicht angenehmer loben als daß er meiner
Meinung war, eh’ er ſie geleſen — Marheinecke gibt ein etwas
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/150>, abgerufen am 29.11.2024.
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