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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

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zuweilen wünschen: schweige, damit ich dich sehe. Denn nach der
schönen Erkennung einer reichen Seele durch ihr Sprechen gibt es
blos noch eine schönere -- ihr Schweigen.

135. An K. L. von Knebel in Jena.
5

In Briefen bezieht man sich Kürze halber, auf künftiges Sprechen
-- und wenn endlich dieses dagewesen: hat man wieder Briefe
nöthig, um zu klagen. Denn ich schreibe diesen, um mich zu be-
klagen, daß wir in zwei Tagen kaum angefangen haben, guten Abend
zu sagen. Sie kamen mir als freundlicher Repräsentant meiner schö-10
nen alten Kunstzeit in diese weniger Sand- als Eiswüste herüber,
wo man nichts säet als Schneeflocken; -- und doch hab' ich über
1000 Dinge nicht mit Ihnen gesprochen, und über 1000 zu kurz. Ich
hätte Sie mehr über meine Vorschule fragen sollen -- über Ihre
neuesten Gedichte -- über die Herzogin Mutter -- über die Erb-15
prinzessin -- über den guten Hof-Einsiedel -- über Göthes natür-
liche Tochter -- über Falk -- über den Titan -- über Schillers
letzte Zeit -- -- -- sogar über die Flegeljahre und ob Jacobi bei
Goethe gewesen. ... Sie rauschten aber als eine Freude und wie eine
Freude vorüber. So hätt' ich wieder Ihnen von der Frau v. Kalb,20
von Fichte, ja vom Herzog Paul aus Würtenberg erzählen sollen,
den ich aber erst vor einigen Tagen zum ersten male gesehen und den
ich wirklich der schönen Braut in Hildburghausen würdig halte.

Geben Sie Ihrer erfrischenden Erscheinung bald einen Nach-
frühling durch ein Blättchen an mich. Der Mensch genießt über-25
haupt mehr nur die Nachsachen, den Nachsommer, die Nachkirch-
weihe etc. als die Originale selber, so wie man leichter den Brief
als die Nachschrift vergißt.

Ich und meine Frau grüssen Sie sammt Ihren zwei Ihrigen recht
herzlich. Leben Sie wol!30

J. P. F. Richter

N. S. Schreiben Sie!

136. An Karl Julius Lange in Berlin.

4 Ld'or -- Meister und Postmeister des nordischen Merkurs --35

zuweilen wünſchen: ſchweige, damit ich dich ſehe. Denn nach der
ſchönen Erkennung einer reichen Seele durch ihr Sprechen gibt es
blos noch eine ſchönere — ihr Schweigen.

135. An K. L. von Knebel in Jena.
5

In Briefen bezieht man ſich Kürze halber, auf künftiges Sprechen
— und wenn endlich dieſes dageweſen: hat man wieder Briefe
nöthig, um zu klagen. Denn ich ſchreibe dieſen, um mich zu be-
klagen, daß wir in zwei Tagen kaum angefangen haben, guten Abend
zu ſagen. Sie kamen mir als freundlicher Repräſentant meiner ſchö-10
nen alten Kunſtzeit in dieſe weniger Sand- als Eiswüſte herüber,
wo man nichts ſäet als Schneeflocken; — und doch hab’ ich über
1000 Dinge nicht mit Ihnen geſprochen, und über 1000 zu kurz. Ich
hätte Sie mehr über meine Vorſchule fragen ſollen — über Ihre
neueſten Gedichte — über die Herzogin Mutter — über die Erb-15
prinzeſſin — über den guten Hof-Einſiedel — über Göthes natür-
liche Tochter — über Falk — über den Titan — über Schillers
letzte Zeit — — — ſogar über die Flegeljahre und ob Jacobi bei
Goethe geweſen. ... Sie rauſchten aber als eine Freude und wie eine
Freude vorüber. So hätt’ ich wieder Ihnen von der Frau v. Kalb,20
von Fichte, ja vom Herzog Paul aus Würtenberg erzählen ſollen,
den ich aber erſt vor einigen Tagen zum erſten male geſehen und den
ich wirklich der ſchönen Braut in Hildburghauſen würdig halte.

Geben Sie Ihrer erfriſchenden Erſcheinung bald einen Nach-
frühling durch ein Blättchen an mich. Der Menſch genießt über-25
haupt mehr nur die Nachſachen, den Nachſommer, die Nachkirch-
weihe ꝛc. als die Originale ſelber, ſo wie man leichter den Brief
als die Nachſchrift vergißt.

Ich und meine Frau grüſſen Sie ſammt Ihren zwei Ihrigen recht
herzlich. Leben Sie wol!30

J. P. F. Richter

N. S. Schreiben Sie!

136. An Karl Julius Lange in Berlin.

4 Ld’or — Meiſter und Poſtmeiſter des nordiſchen Merkurs —35

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[55/0069] zuweilen wünſchen: ſchweige, damit ich dich ſehe. Denn nach der ſchönen Erkennung einer reichen Seele durch ihr Sprechen gibt es blos noch eine ſchönere — ihr Schweigen. 135. An K. L. von Knebel in Jena. Bayreuth d. 9 Sept. 1805. 5 In Briefen bezieht man ſich Kürze halber, auf künftiges Sprechen — und wenn endlich dieſes dageweſen: hat man wieder Briefe nöthig, um zu klagen. Denn ich ſchreibe dieſen, um mich zu be- klagen, daß wir in zwei Tagen kaum angefangen haben, guten Abend zu ſagen. Sie kamen mir als freundlicher Repräſentant meiner ſchö- 10 nen alten Kunſtzeit in dieſe weniger Sand- als Eiswüſte herüber, wo man nichts ſäet als Schneeflocken; — und doch hab’ ich über 1000 Dinge nicht mit Ihnen geſprochen, und über 1000 zu kurz. Ich hätte Sie mehr über meine Vorſchule fragen ſollen — über Ihre neueſten Gedichte — über die Herzogin Mutter — über die Erb- 15 prinzeſſin — über den guten Hof-Einſiedel — über Göthes natür- liche Tochter — über Falk — über den Titan — über Schillers letzte Zeit — — — ſogar über die Flegeljahre und ob Jacobi bei Goethe geweſen. ... Sie rauſchten aber als eine Freude und wie eine Freude vorüber. So hätt’ ich wieder Ihnen von der Frau v. Kalb, 20 von Fichte, ja vom Herzog Paul aus Würtenberg erzählen ſollen, den ich aber erſt vor einigen Tagen zum erſten male geſehen und den ich wirklich der ſchönen Braut in Hildburghauſen würdig halte. Geben Sie Ihrer erfriſchenden Erſcheinung bald einen Nach- frühling durch ein Blättchen an mich. Der Menſch genießt über- 25 haupt mehr nur die Nachſachen, den Nachſommer, die Nachkirch- weihe ꝛc. als die Originale ſelber, ſo wie man leichter den Brief als die Nachſchrift vergißt. Ich und meine Frau grüſſen Sie ſammt Ihren zwei Ihrigen recht herzlich. Leben Sie wol! 30 J. P. F. Richter N. S. Schreiben Sie! 136. An Karl Julius Lange in Berlin. [Kopie][Bayreuth, 10. Sept. 1805] 4 Ld’or — Meiſter und Poſtmeiſter des nordiſchen Merkurs — 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/69>, abgerufen am 14.05.2024.