gefallen, noch individuelle Klarheit erhalten. -- Jeder Geist -- er stehe so hoch als er wolle -- gleicht ein wenig dem Tynnichos *) und hat am Ende wie die Sonne doch auf seiner poetischen Weltkugel nur ein Ländchen, ein Quito oder dergleichen (so wie sein Feuerland ohnehin) wo alle Kräfte und Stralen seines Lebens vereinigt am5 besten treffen und alles hervortreiben zu Einem Garten. Jeder hat einen andern Grad der Länge (nicht der Breite). Ich glaube nun, eine idyllische Darstellung des vornehmen Lebens, das so gut als das niedere durch Absonderungen poetisch zu verklären ist, müßte Ihnen sehr gelingen -- jetzt, nicht sonst. Denn mit der Überschätzung desselben10 beginnt man, darauf kommt die verkennende Verachtung, endlich bleibt man im Tag- und Nacht-Ausgleichen stehen.
Mein Hoffnungs-Axiom war bisher: "ich begegne am Ende jedem, und wär' er in Eutin, wohin mich die siberische Haide gewiß nie lässet" Und ich hatte Recht; denn Jacobi zieht nach München.15 Eben so werd' ich Wandervogel doch wol einmal mit einem wie Sie mich kreutzen, dessen linker Flügel einem Tropik-, dessen rechter einem Eis-Vogel angehört; das Gegentheil wäre ja närrischer als der Zufall.
Frau v. Kalb aus Weimar, welche ich wie Descartes die Erde,20 eine inkrustierte Sonne nennen möchte, ist in Berlin. Fichte oder mein Schwiegervater sagt Ihnen ihre Wohnung.
Es würde mich in jedem Falle sehr erfreuen, wenn Sie etwas über mich entweder dem Publikum gäben oder mir oder beiden.
Je mehr die Leute das Leben nur zu einem Anhängsel der Lebens-25 Mittel machen: desto mehr erfreuete mich Ihre Versicherung, daß Sie das Leben selber zu einem Kunstwerk machen und folglich das Übergewicht der Individualität im Rein-Menschlichen theils vernichten theils ausgleichen theils benützen. Die Aufgabe aber ist gerade so schwer als die der Annäherung des Endlichen ans Unend-30 liche --; denn es ist eigentlich dieselbe.
Was hätte man noch zu sagen, wäre Papier und Zeit nicht so theuer, eigne und fremde? Aber wie gesagt, ich begegne Ihnen.
Es geh' Ihnen wol!
Jean Paul Fr. Richter35
*)Plat. Jon. 534.
gefallen, noch individuelle Klarheit erhalten. — Jeder Geiſt — er ſtehe ſo hoch als er wolle — gleicht ein wenig dem Tynnichos *) und hat am Ende wie die Sonne doch auf ſeiner poetiſchen Weltkugel nur ein Ländchen, ein Quito oder dergleichen (ſo wie ſein Feuerland ohnehin) wo alle Kräfte und Stralen ſeines Lebens vereinigt am5 beſten treffen und alles hervortreiben zu Einem Garten. Jeder hat einen andern Grad der Länge (nicht der Breite). Ich glaube nun, eine idylliſche Darſtellung des vornehmen Lebens, das ſo gut als das niedere durch Abſonderungen poetiſch zu verklären iſt, müßte Ihnen ſehr gelingen — jetzt, nicht ſonſt. Denn mit der Überſchätzung deſſelben10 beginnt man, darauf kommt die verkennende Verachtung, endlich bleibt man im Tag- und Nacht-Ausgleichen ſtehen.
Mein Hoffnungs-Axiom war bisher: „ich begegne am Ende jedem, und wär’ er in Eutin, wohin mich die ſiberiſche Haide gewiß nie läſſet“ Und ich hatte Recht; denn Jacobi zieht nach München.15 Eben ſo werd’ ich Wandervogel doch wol einmal mit einem wie Sie mich kreutzen, deſſen linker Flügel einem Tropik-, deſſen rechter einem Eis-Vogel angehört; das Gegentheil wäre ja närriſcher als der Zufall.
Frau v. Kalb aus Weimar, welche ich wie Descartes die Erde,20 eine inkruſtierte Sonne nennen möchte, iſt in Berlin. Fichte oder mein Schwiegervater ſagt Ihnen ihre Wohnung.
Es würde mich in jedem Falle ſehr erfreuen, wenn Sie etwas über mich entweder dem Publikum gäben oder mir oder beiden.
Je mehr die Leute das Leben nur zu einem Anhängſel der Lebens-25 Mittel machen: deſto mehr erfreuete mich Ihre Verſicherung, daß Sie das Leben ſelber zu einem Kunſtwerk machen und folglich das Übergewicht der Individualität im Rein-Menſchlichen theils vernichten theils ausgleichen theils benützen. Die Aufgabe aber iſt gerade ſo ſchwer als die der Annäherung des Endlichen ans Unend-30 liche —; denn es iſt eigentlich dieſelbe.
Was hätte man noch zu ſagen, wäre Papier und Zeit nicht ſo theuer, eigne und fremde? Aber wie geſagt, ich begegne Ihnen.
Es geh’ Ihnen wol!
Jean Paul Fr. Richter35
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nur ein Ländchen, ein Quito oder dergleichen (ſo wie ſein Feuerland
ohnehin) wo alle Kräfte und Stralen ſeines Lebens vereinigt am 5
beſten treffen und alles hervortreiben zu Einem Garten. Jeder hat
einen andern Grad der Länge (nicht der Breite). Ich glaube nun,
eine idylliſche Darſtellung des vornehmen Lebens, das ſo gut als das
niedere durch Abſonderungen poetiſch zu verklären iſt, müßte Ihnen
ſehr gelingen — jetzt, nicht ſonſt. Denn mit der Überſchätzung deſſelben 10
beginnt man, darauf kommt die verkennende Verachtung, endlich
bleibt man im Tag- und Nacht-Ausgleichen ſtehen.
Mein Hoffnungs-Axiom war bisher: „ich begegne am Ende
jedem, und wär’ er in Eutin, wohin mich die ſiberiſche Haide gewiß
nie läſſet“ Und ich hatte Recht; denn Jacobi zieht nach München. 15
Eben ſo werd’ ich Wandervogel doch wol einmal mit einem wie Sie
mich kreutzen, deſſen linker Flügel einem Tropik-, deſſen rechter einem
Eis-Vogel angehört; das Gegentheil wäre ja närriſcher als der
Zufall.
Frau v. Kalb aus Weimar, welche ich wie Descartes die Erde, 20
eine inkruſtierte Sonne nennen möchte, iſt in Berlin. Fichte oder
mein Schwiegervater ſagt Ihnen ihre Wohnung.
Es würde mich in jedem Falle ſehr erfreuen, wenn Sie etwas über
mich entweder dem Publikum gäben oder mir oder beiden.
Je mehr die Leute das Leben nur zu einem Anhängſel der Lebens- 25
Mittel machen: deſto mehr erfreuete mich Ihre Verſicherung,
daß Sie das Leben ſelber zu einem Kunſtwerk machen und folglich
das Übergewicht der Individualität im Rein-Menſchlichen theils
vernichten theils ausgleichen theils benützen. Die Aufgabe aber iſt
gerade ſo ſchwer als die der Annäherung des Endlichen ans Unend- 30
liche —; denn es iſt eigentlich dieſelbe.
Was hätte man noch zu ſagen, wäre Papier und Zeit nicht ſo
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/47>, abgerufen am 16.02.2025.
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