Tendenz, etwas zu behaupten -- bezaubern wird oder wenig, steht dahin; doch fehlet es auch nicht an Scherzen, so wie an Wortfügun- gen, die den Philologen heftig fassen.
Bloß zu Entwürfen und Erfindungen hab' ich Gewalt; 1 Taschen- buch für Weiber, 1 für Männer entwarf ich -- ging dann wieder5 zum 7ten Bogen der Flegeljahre zurück -- entwarf wieder ein Buch voll Kasualpredigten -- arbeitete aber heute ein Kapitel der Flegel- jahre zu Ende -- und mit diesen wird entschieden fortgefahren. Meine philosophischen Darstellungen haben mich durch ihre Leichtigkeit von den poetischen entwöhnt. -- Komme nur du einmal, köstlicher Lenz!10 Ich will dann schon schreiben und gebären wie du nicht nur, sondern auch ganz besonders ein wenig flott leben -- ein wenig in guten Händen sein, nämlich in deinen, Lenz, d. h. auf dem Lande, und wärs nur zwei Maiwochen lange. Ich verstäube sonst, eh' ich versterbe.
Lesen Sie doch die Nachtwachen von Bonaventura, d. h. von15 Schelling. Es ist eine treffliche Nachahmung meines Giannozzo; doch mit zu vielen Reminißenzen und Lizenzen zugleich. Es verräth und benimmt viele Kraft dem Leser. -- Selten les' ich neuerer Zeiten etwas sehr Gutes oder sehr Schlechtes, ohne daß mir meine Be- scheidenheit sagt: hier bist du denn wieder nachgeahmt. Am Ende20 glaub' ich, haben auch die Alten mich fliegend durchblättert und mir Sachen gestohlen, die ich lieber nicht hätte schreiben sollen nachher.
Behaltet Euer Amt; doch höchstens so, daß Ihr im Mai, wo die gefleckten Meerschwalben von uns nördlich fortziehen und über- haupt das Nord-Gevögel, aus Süden mit dem Versprechen ausreiset,25 mit den Schnepfen und mit dem, was man an und in ihnen und Ihnen so schätzt und aufstreicht als Delikatesse, wieder zu kommen für Winterkonzerte. Ich thäts. Die Schuckmann schrieb viel hieher von Ihrem dortigen Glück und Ruhm und wie die ganze Welt Sie schätze, die in Offenbach ist.30
O wie leicht ists an Sie zu schreiben, da Ihnen schon Unleserlich- keit genügt und man an nichts zu denken braucht, nicht einmal an Sie, geschweige an Verstand.
War Göde in Leipzig in England? Seine Reisebeschreibung davon ist herrlich. Sie würden ihm in diesem Fache das Wasser nicht35 reichen, das er durchschiffte, um nur anzulanden. Wie Corneille Racinen das Tragödienmachen abrieth, so möcht' ich zu Ihnen sagen:
Tendenz, etwas zu behaupten — bezaubern wird oder wenig, ſteht dahin; doch fehlet es auch nicht an Scherzen, ſo wie an Wortfügun- gen, die den Philologen heftig faſſen.
Bloß zu Entwürfen und Erfindungen hab’ ich Gewalt; 1 Taſchen- buch für Weiber, 1 für Männer entwarf ich — ging dann wieder5 zum 7ten Bogen der Flegeljahre zurück — entwarf wieder ein Buch voll Kaſualpredigten — arbeitete aber heute ein Kapitel der Flegel- jahre zu Ende — und mit dieſen wird entſchieden fortgefahren. Meine philoſophiſchen Darſtellungen haben mich durch ihre Leichtigkeit von den poetiſchen entwöhnt. — Komme nur du einmal, köſtlicher Lenz!10 Ich will dann ſchon ſchreiben und gebären wie du nicht nur, ſondern auch ganz beſonders ein wenig flott leben — ein wenig in guten Händen ſein, nämlich in deinen, Lenz, d. h. auf dem Lande, und wärs nur zwei Maiwochen lange. Ich verſtäube ſonſt, eh’ ich verſterbe.
Leſen Sie doch die Nachtwachen von Bonaventura, d. h. von15 Schelling. Es iſt eine treffliche Nachahmung meines Giannozzo; doch mit zu vielen Reminiſzenzen und Lizenzen zugleich. Es verräth und benimmt viele Kraft dem Leſer. — Selten leſ’ ich neuerer Zeiten etwas ſehr Gutes oder ſehr Schlechtes, ohne daß mir meine Be- ſcheidenheit ſagt: hier biſt du denn wieder nachgeahmt. Am Ende20 glaub’ ich, haben auch die Alten mich fliegend durchblättert und mir Sachen geſtohlen, die ich lieber nicht hätte ſchreiben ſollen nachher.
Behaltet Euer Amt; doch höchſtens ſo, daß Ihr im Mai, wo die gefleckten Meerſchwalben von uns nördlich fortziehen und über- haupt das Nord-Gevögel, aus Süden mit dem Verſprechen ausreiſet,25 mit den Schnepfen und mit dem, was man an und in ihnen und Ihnen ſo ſchätzt und aufſtreicht als Delikateſſe, wieder zu kommen für Winterkonzerte. Ich thäts. Die Schuckmann ſchrieb viel hieher von Ihrem dortigen Glück und Ruhm und wie die ganze Welt Sie ſchätze, die in Offenbach iſt.30
O wie leicht iſts an Sie zu ſchreiben, da Ihnen ſchon Unleſerlich- keit genügt und man an nichts zu denken braucht, nicht einmal an Sie, geſchweige an Verſtand.
War Göde in Leipzig in England? Seine Reiſebeſchreibung davon iſt herrlich. Sie würden ihm in dieſem Fache das Waſſer nicht35 reichen, das er durchſchiffte, um nur anzulanden. Wie Corneille Racinen das Tragödienmachen abrieth, ſo möcht’ ich zu Ihnen ſagen:
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0032"n="20"/>
Tendenz, <hirendition="#g">etwas</hi> zu behaupten — bezaubern wird oder wenig, ſteht<lb/>
dahin; doch fehlet es auch nicht an Scherzen, ſo wie an Wortfügun-<lb/>
gen, die den Philologen heftig faſſen.</p><lb/><p>Bloß zu Entwürfen und Erfindungen hab’ ich Gewalt; 1 Taſchen-<lb/>
buch für Weiber, 1 für Männer entwarf ich — ging dann wieder<lbn="5"/>
zum 7<hirendition="#sup">ten</hi> Bogen der Flegeljahre zurück — entwarf wieder ein Buch<lb/>
voll Kaſualpredigten — arbeitete aber heute ein Kapitel der Flegel-<lb/>
jahre zu Ende — und mit dieſen wird entſchieden fortgefahren. Meine<lb/>
philoſophiſchen Darſtellungen haben mich durch ihre Leichtigkeit von<lb/>
den poetiſchen entwöhnt. — Komme nur du einmal, köſtlicher Lenz!<lbn="10"/>
Ich will dann ſchon ſchreiben und gebären wie du nicht nur, ſondern<lb/>
auch ganz beſonders ein wenig flott leben — ein wenig in guten<lb/>
Händen ſein, nämlich in deinen, Lenz, d. h. auf dem Lande, und wärs<lb/>
nur zwei Maiwochen lange. Ich verſtäube ſonſt, eh’ ich verſterbe.</p><lb/><p>Leſen Sie doch die Nachtwachen von <hirendition="#aq">Bonaventura,</hi> d. h. von<lbn="15"/><hirendition="#aq">Schelling.</hi> Es iſt eine treffliche Nachahmung meines Giannozzo;<lb/>
doch mit zu vielen Reminiſzenzen und Lizenzen zugleich. Es verräth<lb/>
und benimmt viele Kraft dem Leſer. — Selten leſ’ ich neuerer Zeiten<lb/>
etwas ſehr Gutes oder ſehr Schlechtes, ohne daß mir meine Be-<lb/>ſcheidenheit ſagt: hier biſt du denn wieder nachgeahmt. Am Ende<lbn="20"/>
glaub’ ich, haben auch die Alten mich fliegend durchblättert und mir<lb/>
Sachen geſtohlen, die ich lieber nicht hätte ſchreiben ſollen nachher.</p><lb/><p>Behaltet Euer Amt; doch höchſtens ſo, daß Ihr im Mai, wo die<lb/>
gefleckten Meerſchwalben von uns nördlich fortziehen und über-<lb/>
haupt das Nord-Gevögel, aus Süden mit dem Verſprechen ausreiſet,<lbn="25"/>
mit den Schnepfen und mit dem, was man an und in ihnen und Ihnen<lb/>ſo ſchätzt und aufſtreicht als Delikateſſe, wieder zu kommen für<lb/>
Winterkonzerte. Ich thäts. Die Schuckmann ſchrieb viel hieher von<lb/>
Ihrem dortigen Glück und Ruhm und wie die ganze Welt Sie<lb/>ſchätze, die in Offenbach iſt.<lbn="30"/></p><p>O wie leicht iſts an Sie zu ſchreiben, da Ihnen ſchon Unleſerlich-<lb/>
keit genügt und man an nichts zu denken braucht, nicht einmal an<lb/>
Sie, geſchweige an Verſtand.</p><lb/><p>War <hirendition="#aq">Göde</hi> in Leipzig in England? Seine Reiſebeſchreibung davon<lb/>
iſt herrlich. Sie würden ihm in dieſem Fache das Waſſer nicht<lbn="35"/>
reichen, das er durchſchiffte, um nur anzulanden. Wie Corneille<lb/>
Racinen das Tragödienmachen abrieth, ſo möcht’ ich zu Ihnen ſagen:<lb/></p></div></body></text></TEI>
[20/0032]
Tendenz, etwas zu behaupten — bezaubern wird oder wenig, ſteht
dahin; doch fehlet es auch nicht an Scherzen, ſo wie an Wortfügun-
gen, die den Philologen heftig faſſen.
Bloß zu Entwürfen und Erfindungen hab’ ich Gewalt; 1 Taſchen-
buch für Weiber, 1 für Männer entwarf ich — ging dann wieder 5
zum 7ten Bogen der Flegeljahre zurück — entwarf wieder ein Buch
voll Kaſualpredigten — arbeitete aber heute ein Kapitel der Flegel-
jahre zu Ende — und mit dieſen wird entſchieden fortgefahren. Meine
philoſophiſchen Darſtellungen haben mich durch ihre Leichtigkeit von
den poetiſchen entwöhnt. — Komme nur du einmal, köſtlicher Lenz! 10
Ich will dann ſchon ſchreiben und gebären wie du nicht nur, ſondern
auch ganz beſonders ein wenig flott leben — ein wenig in guten
Händen ſein, nämlich in deinen, Lenz, d. h. auf dem Lande, und wärs
nur zwei Maiwochen lange. Ich verſtäube ſonſt, eh’ ich verſterbe.
Leſen Sie doch die Nachtwachen von Bonaventura, d. h. von 15
Schelling. Es iſt eine treffliche Nachahmung meines Giannozzo;
doch mit zu vielen Reminiſzenzen und Lizenzen zugleich. Es verräth
und benimmt viele Kraft dem Leſer. — Selten leſ’ ich neuerer Zeiten
etwas ſehr Gutes oder ſehr Schlechtes, ohne daß mir meine Be-
ſcheidenheit ſagt: hier biſt du denn wieder nachgeahmt. Am Ende 20
glaub’ ich, haben auch die Alten mich fliegend durchblättert und mir
Sachen geſtohlen, die ich lieber nicht hätte ſchreiben ſollen nachher.
Behaltet Euer Amt; doch höchſtens ſo, daß Ihr im Mai, wo die
gefleckten Meerſchwalben von uns nördlich fortziehen und über-
haupt das Nord-Gevögel, aus Süden mit dem Verſprechen ausreiſet, 25
mit den Schnepfen und mit dem, was man an und in ihnen und Ihnen
ſo ſchätzt und aufſtreicht als Delikateſſe, wieder zu kommen für
Winterkonzerte. Ich thäts. Die Schuckmann ſchrieb viel hieher von
Ihrem dortigen Glück und Ruhm und wie die ganze Welt Sie
ſchätze, die in Offenbach iſt. 30
O wie leicht iſts an Sie zu ſchreiben, da Ihnen ſchon Unleſerlich-
keit genügt und man an nichts zu denken braucht, nicht einmal an
Sie, geſchweige an Verſtand.
War Göde in Leipzig in England? Seine Reiſebeſchreibung davon
iſt herrlich. Sie würden ihm in dieſem Fache das Waſſer nicht 35
reichen, das er durchſchiffte, um nur anzulanden. Wie Corneille
Racinen das Tragödienmachen abrieth, ſo möcht’ ich zu Ihnen ſagen:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/32>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.