Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.Sie mich lesen, weil Sie jetzt bloß Manuskripte d. h. Briefe lesen Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas schöneres und Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünschen J. P. Fr. Richter 443. An Friedrich Wilhelm Hagen in Selb.25 [Bayreuth, 12. Dez. 1807]Gerade die Menschen, die später nicht von Büchern erzogen werden, Sie mich leſen, weil Sie jetzt bloß Manuſkripte d. h. Briefe leſen Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas ſchöneres und Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünſchen J. P. Fr. Richter 443. An Friedrich Wilhelm Hagen in Selb.25 [Bayreuth, 12. Dez. 1807]Gerade die Menſchen, die ſpäter nicht von Büchern erzogen werden, <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0200" n="185"/> Sie mich leſen, weil Sie jetzt bloß Manuſkripte d. h. Briefe leſen<lb/> und folglich meine Aufſätze für das Morgenblatt ſo wol bei dem<lb/> Zenſor als Setzer in Studtgart vorfinden. Aber ernſthaft: Ihrem<lb/> geiſtigen Leben iſt wie jedem der zuſammenhaltende Antagoniſmus<lb/> eines beſtimmenden Amtes nöthig. Nichts gibt mehr Kräfte als die<lb n="5"/> Nothwendigkeit, welche vom ſchwankenden Umhergleiten auf gei-<lb/> ſtigen, zumal muſikaliſchen Genüſſen erlöſet. Die beſten Werke des<lb/> Geiſtes ſind durch Noth und dringende Gelegenheit entſtanden.<lb/> Auch ich habe meine Aemter; jedes neue Buch iſt ein Amtspoſten,<lb/> den ich ſo lange bekleide bis es fertig iſt, um bei der Nachwelt und<lb n="10"/> (mit vier Mägen mehr) jetzt ſchon zu leben.</p><lb/> <p>Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas ſchöneres und<lb/> längeres treten als in ein Amt; damit das andere Weſen, von dem<lb/> mir leider Emanuel nur die Berichte, nicht aber die in Händen<lb/> habenden Dokumente des Werthes gibt, jene wie Gift das weibliche<lb n="15"/> Herz zerfreſſende Unbeſtimmtheit des Sehnens nicht mehr zu er-<lb/> dulden habe. Die Ehe zeitigt den Mann; aber nur einer kann ſich<lb/> dazu entſchließen. Schöne Gelegenheiten, Seinen Liebling-Peſtalozzi<lb/> zu treiben und zu dozieren, weiß ein <hi rendition="#g">Mann</hi> mit der Zeit ſchon zu<lb/> finden und zu machen und er wird es zuletzt gar nicht ſatt, dieſe<lb n="20"/> Erziehungs-Methode immer weiter zu verbreiten.</p><lb/> <p>Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünſchen<lb/> für Ihr Glück. Bringen Sie Eva meinen achtenden Gruß!</p><lb/> <closer> <salute> <hi rendition="#right">J. P. Fr. Richter</hi> </salute> </closer> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>443. An <hi rendition="#g">Friedrich Wilhelm Hagen in Selb.</hi><lb n="25"/> </head> <byline>[Kopie]</byline> <dateline> <hi rendition="#right">[Bayreuth, 12. Dez. 1807]</hi> </dateline><lb/> <p>Gerade die Menſchen, die ſpäter nicht von Büchern erzogen werden,<lb/> die breiteſte und daher gedrückteſte Unterlage des Staats, befeſtigt<lb/> und ründet ein Peſtalozzi am ſchönſten. Das Volk, als der geiſtig<lb/> ungeſchwächte Theil, iſt des Enthuſiaſmus am fähigſten, ſobald er es<lb n="30"/> nur weiß, [daß] man mehr ſein Herz füllen als ſeinen Beutel leeren<lb/> will. Das Schulhaus iſt die rechte und ſechstägige Kanzel des Pre-<lb/> digers — die wahre Kirche des Staats und der Gottheit. Und hätte<lb/> man in jedem Dorf einen Schulprediger, ſo wäre die Menſchheit<lb/> erlöſet; denn der Dörfer ſind mehr als der Städte und dieſe würden<lb n="35"/> am Ende durch jene bekehrt.</p> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [185/0200]
Sie mich leſen, weil Sie jetzt bloß Manuſkripte d. h. Briefe leſen
und folglich meine Aufſätze für das Morgenblatt ſo wol bei dem
Zenſor als Setzer in Studtgart vorfinden. Aber ernſthaft: Ihrem
geiſtigen Leben iſt wie jedem der zuſammenhaltende Antagoniſmus
eines beſtimmenden Amtes nöthig. Nichts gibt mehr Kräfte als die 5
Nothwendigkeit, welche vom ſchwankenden Umhergleiten auf gei-
ſtigen, zumal muſikaliſchen Genüſſen erlöſet. Die beſten Werke des
Geiſtes ſind durch Noth und dringende Gelegenheit entſtanden.
Auch ich habe meine Aemter; jedes neue Buch iſt ein Amtspoſten,
den ich ſo lange bekleide bis es fertig iſt, um bei der Nachwelt und 10
(mit vier Mägen mehr) jetzt ſchon zu leben.
Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas ſchöneres und
längeres treten als in ein Amt; damit das andere Weſen, von dem
mir leider Emanuel nur die Berichte, nicht aber die in Händen
habenden Dokumente des Werthes gibt, jene wie Gift das weibliche 15
Herz zerfreſſende Unbeſtimmtheit des Sehnens nicht mehr zu er-
dulden habe. Die Ehe zeitigt den Mann; aber nur einer kann ſich
dazu entſchließen. Schöne Gelegenheiten, Seinen Liebling-Peſtalozzi
zu treiben und zu dozieren, weiß ein Mann mit der Zeit ſchon zu
finden und zu machen und er wird es zuletzt gar nicht ſatt, dieſe 20
Erziehungs-Methode immer weiter zu verbreiten.
Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünſchen
für Ihr Glück. Bringen Sie Eva meinen achtenden Gruß!
J. P. Fr. Richter
443. An Friedrich Wilhelm Hagen in Selb. 25
[Kopie][Bayreuth, 12. Dez. 1807]
Gerade die Menſchen, die ſpäter nicht von Büchern erzogen werden,
die breiteſte und daher gedrückteſte Unterlage des Staats, befeſtigt
und ründet ein Peſtalozzi am ſchönſten. Das Volk, als der geiſtig
ungeſchwächte Theil, iſt des Enthuſiaſmus am fähigſten, ſobald er es 30
nur weiß, [daß] man mehr ſein Herz füllen als ſeinen Beutel leeren
will. Das Schulhaus iſt die rechte und ſechstägige Kanzel des Pre-
digers — die wahre Kirche des Staats und der Gottheit. Und hätte
man in jedem Dorf einen Schulprediger, ſo wäre die Menſchheit
erlöſet; denn der Dörfer ſind mehr als der Städte und dieſe würden 35
am Ende durch jene bekehrt.
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(2016-11-22T15:13:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:13:57Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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