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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

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Sie mich lesen, weil Sie jetzt bloß Manuskripte d. h. Briefe lesen
und folglich meine Aufsätze für das Morgenblatt so wol bei dem
Zensor als Setzer in Studtgart vorfinden. Aber ernsthaft: Ihrem
geistigen Leben ist wie jedem der zusammenhaltende Antagonismus
eines bestimmenden Amtes nöthig. Nichts gibt mehr Kräfte als die5
Nothwendigkeit, welche vom schwankenden Umhergleiten auf gei-
stigen, zumal musikalischen Genüssen erlöset. Die besten Werke des
Geistes sind durch Noth und dringende Gelegenheit entstanden.
Auch ich habe meine Aemter; jedes neue Buch ist ein Amtsposten,
den ich so lange bekleide bis es fertig ist, um bei der Nachwelt und10
(mit vier Mägen mehr) jetzt schon zu leben.

Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas schöneres und
längeres treten als in ein Amt; damit das andere Wesen, von dem
mir leider Emanuel nur die Berichte, nicht aber die in Händen
habenden Dokumente des Werthes gibt, jene wie Gift das weibliche15
Herz zerfressende Unbestimmtheit des Sehnens nicht mehr zu er-
dulden habe. Die Ehe zeitigt den Mann; aber nur einer kann sich
dazu entschließen. Schöne Gelegenheiten, Seinen Liebling-Pestalozzi
zu treiben und zu dozieren, weiß ein Mann mit der Zeit schon zu
finden und zu machen und er wird es zuletzt gar nicht satt, diese20
Erziehungs-Methode immer weiter zu verbreiten.

Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünschen
für Ihr Glück. Bringen Sie Eva meinen achtenden Gruß!

J. P. Fr. Richter
443. An Friedrich Wilhelm Hagen in Selb.25

Gerade die Menschen, die später nicht von Büchern erzogen werden,
die breiteste und daher gedrückteste Unterlage des Staats, befestigt
und ründet ein Pestalozzi am schönsten. Das Volk, als der geistig
ungeschwächte Theil, ist des Enthusiasmus am fähigsten, sobald er es30
nur weiß, [daß] man mehr sein Herz füllen als seinen Beutel leeren
will. Das Schulhaus ist die rechte und sechstägige Kanzel des Pre-
digers -- die wahre Kirche des Staats und der Gottheit. Und hätte
man in jedem Dorf einen Schulprediger, so wäre die Menschheit
erlöset; denn der Dörfer sind mehr als der Städte und diese würden35
am Ende durch jene bekehrt.

Sie mich leſen, weil Sie jetzt bloß Manuſkripte d. h. Briefe leſen
und folglich meine Aufſätze für das Morgenblatt ſo wol bei dem
Zenſor als Setzer in Studtgart vorfinden. Aber ernſthaft: Ihrem
geiſtigen Leben iſt wie jedem der zuſammenhaltende Antagoniſmus
eines beſtimmenden Amtes nöthig. Nichts gibt mehr Kräfte als die5
Nothwendigkeit, welche vom ſchwankenden Umhergleiten auf gei-
ſtigen, zumal muſikaliſchen Genüſſen erlöſet. Die beſten Werke des
Geiſtes ſind durch Noth und dringende Gelegenheit entſtanden.
Auch ich habe meine Aemter; jedes neue Buch iſt ein Amtspoſten,
den ich ſo lange bekleide bis es fertig iſt, um bei der Nachwelt und10
(mit vier Mägen mehr) jetzt ſchon zu leben.

Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas ſchöneres und
längeres treten als in ein Amt; damit das andere Weſen, von dem
mir leider Emanuel nur die Berichte, nicht aber die in Händen
habenden Dokumente des Werthes gibt, jene wie Gift das weibliche15
Herz zerfreſſende Unbeſtimmtheit des Sehnens nicht mehr zu er-
dulden habe. Die Ehe zeitigt den Mann; aber nur einer kann ſich
dazu entſchließen. Schöne Gelegenheiten, Seinen Liebling-Peſtalozzi
zu treiben und zu dozieren, weiß ein Mann mit der Zeit ſchon zu
finden und zu machen und er wird es zuletzt gar nicht ſatt, dieſe20
Erziehungs-Methode immer weiter zu verbreiten.

Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünſchen
für Ihr Glück. Bringen Sie Eva meinen achtenden Gruß!

J. P. Fr. Richter
443. An Friedrich Wilhelm Hagen in Selb.25

Gerade die Menſchen, die ſpäter nicht von Büchern erzogen werden,
die breiteſte und daher gedrückteſte Unterlage des Staats, befeſtigt
und ründet ein Peſtalozzi am ſchönſten. Das Volk, als der geiſtig
ungeſchwächte Theil, iſt des Enthuſiaſmus am fähigſten, ſobald er es30
nur weiß, [daß] man mehr ſein Herz füllen als ſeinen Beutel leeren
will. Das Schulhaus iſt die rechte und ſechstägige Kanzel des Pre-
digers — die wahre Kirche des Staats und der Gottheit. Und hätte
man in jedem Dorf einen Schulprediger, ſo wäre die Menſchheit
erlöſet; denn der Dörfer ſind mehr als der Städte und dieſe würden35
am Ende durch jene bekehrt.

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[185/0200] Sie mich leſen, weil Sie jetzt bloß Manuſkripte d. h. Briefe leſen und folglich meine Aufſätze für das Morgenblatt ſo wol bei dem Zenſor als Setzer in Studtgart vorfinden. Aber ernſthaft: Ihrem geiſtigen Leben iſt wie jedem der zuſammenhaltende Antagoniſmus eines beſtimmenden Amtes nöthig. Nichts gibt mehr Kräfte als die 5 Nothwendigkeit, welche vom ſchwankenden Umhergleiten auf gei- ſtigen, zumal muſikaliſchen Genüſſen erlöſet. Die beſten Werke des Geiſtes ſind durch Noth und dringende Gelegenheit entſtanden. Auch ich habe meine Aemter; jedes neue Buch iſt ein Amtspoſten, den ich ſo lange bekleide bis es fertig iſt, um bei der Nachwelt und 10 (mit vier Mägen mehr) jetzt ſchon zu leben. Gebe der Himmel, daß Sie zugleich in noch etwas ſchöneres und längeres treten als in ein Amt; damit das andere Weſen, von dem mir leider Emanuel nur die Berichte, nicht aber die in Händen habenden Dokumente des Werthes gibt, jene wie Gift das weibliche 15 Herz zerfreſſende Unbeſtimmtheit des Sehnens nicht mehr zu er- dulden habe. Die Ehe zeitigt den Mann; aber nur einer kann ſich dazu entſchließen. Schöne Gelegenheiten, Seinen Liebling-Peſtalozzi zu treiben und zu dozieren, weiß ein Mann mit der Zeit ſchon zu finden und zu machen und er wird es zuletzt gar nicht ſatt, dieſe 20 Erziehungs-Methode immer weiter zu verbreiten. Leben Sie wol! Ich liebe Sie mit alter Liebe und neuen Wünſchen für Ihr Glück. Bringen Sie Eva meinen achtenden Gruß! J. P. Fr. Richter 443. An Friedrich Wilhelm Hagen in Selb. 25 [Kopie][Bayreuth, 12. Dez. 1807] Gerade die Menſchen, die ſpäter nicht von Büchern erzogen werden, die breiteſte und daher gedrückteſte Unterlage des Staats, befeſtigt und ründet ein Peſtalozzi am ſchönſten. Das Volk, als der geiſtig ungeſchwächte Theil, iſt des Enthuſiaſmus am fähigſten, ſobald er es 30 nur weiß, [daß] man mehr ſein Herz füllen als ſeinen Beutel leeren will. Das Schulhaus iſt die rechte und ſechstägige Kanzel des Pre- digers — die wahre Kirche des Staats und der Gottheit. Und hätte man in jedem Dorf einen Schulprediger, ſo wäre die Menſchheit erlöſet; denn der Dörfer ſind mehr als der Städte und dieſe würden 35 am Ende durch jene bekehrt.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/200>, abgerufen am 24.11.2024.