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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

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politisch, als hätt' ich 60 Frühlinge hinter mir; und fast den nächst
vergangenen rechn' ich noch in die alte weit entrückte nachschimmernde
Aue hinüber. Gott sei nur Dank, daß man die Leidtragenden der
langen Leiche des deutschen Reichskörpers nur noch hat! --
Himmel! jeder Briefschreiber hat jetzt mehr Stoff als Brief-5
papier, und sogar jener ist theuerer!

Über unser Bayr[euther] Land zog die Kriegs-Hagelwolke nur
als eine flüchtige Regenwolke, ohne Schloßen oder Blitze zu
werfen. -- Aber die jetzige Menschheit bedurfte des stärkenden
Kriegs früher als des Friedens, der erst hinter jenem stählt*).10
Denken Sie sich ein jetziges Europa ein Säkulum fortstehend oder
fortfaulend ohne Krieg -- -- Jetzt hingegen wirken Friede und
Bücher tüchtiger ein.

Ihr Lob der Levana hat mich fast noch stärker erfreuet als Ihr
Tadel. Ihre gütige Voraussetzung meiner Gleichgültigkeit gegen15
Lob (höchstens mündliches ausgenommen) kann ich ohne Unbescheiden-
heit nicht zugeben; und in der That, ich wüßte nichts was ich lieber
läse als einen Rieß Papier, das mich unendlich prieße; -- und ich
hätte keine andere Mühe dabei, als die Sache zu glauben. Aber
(ernstlich) Ihr ausgesprochener Tadel, zumal eines besten, ja fast20
ersten Lesers, den keine Einseitigkeit der Aesthetiken gefangen nimmt,
ist für mich so wichtig, daß ich seinem reinen ganzen Eindruck
mehr glaube als meiner Einsicht, und mit Recht; daher ich Ihnen bei
meinen bald erfolgenden opera omnia außer dem Freiexemplar noch
einen besondern Dank in der Autobiographie gelobe, wenn Sie vorher25
noch einmal alles lesen, was ich wieder edieren und wiedergebären
will, und wenn Sie (der höchstens die Nachsicht übertreiben kann)
alle Schärfe der Kraft an befreundeten Werken zeigen wollten. --
Aber Sie sollen!

Nie hab' ich gesuchten Witz, sondern nur suchenden; die zwei30
Brennpunkte meiner närrischen Ellipse, Hesperus-Rührung und
Schoppens-Wildheit, sind meine ewig ziehenden Punkte; und nur
gequält geh' ich zwischen beiden, entweder blos erzählend oder blos
philosophierend, erkältet auf und ab. Ich kann ein Kapitel, das Sie

*) Tägliches Plagen und Nagen mattet ab; ein tapferer Kriegs-Stoß weckt35
auf.


politiſch, als hätt’ ich 60 Frühlinge hinter mir; und faſt den nächſt
vergangenen rechn’ ich noch in die alte weit entrückte nachſchimmernde
Aue hinüber. Gott ſei nur Dank, daß man die Leidtragenden der
langen Leiche des deutſchen Reichskörpers nur noch hat! —
Himmel! jeder Briefſchreiber hat jetzt mehr Stoff als Brief-5
papier, und ſogar jener iſt theuerer!

Über unſer Bayr[euther] Land zog die Kriegs-Hagelwolke nur
als eine flüchtige Regenwolke, ohne Schloßen oder Blitze zu
werfen. — Aber die jetzige Menſchheit bedurfte des ſtärkenden
Kriegs früher als des Friedens, der erſt hinter jenem ſtählt*).10
Denken Sie ſich ein jetziges Europa ein Säkulum fortſtehend oder
fortfaulend ohne Krieg — — Jetzt hingegen wirken Friede und
Bücher tüchtiger ein.

Ihr Lob der Levana hat mich faſt noch ſtärker erfreuet als Ihr
Tadel. Ihre gütige Vorausſetzung meiner Gleichgültigkeit gegen15
Lob (höchſtens mündliches ausgenommen) kann ich ohne Unbeſcheiden-
heit nicht zugeben; und in der That, ich wüßte nichts was ich lieber
läſe als einen Rieß Papier, das mich unendlich prieße; — und ich
hätte keine andere Mühe dabei, als die Sache zu glauben. Aber
(ernſtlich) Ihr ausgeſprochener Tadel, zumal eines beſten, ja faſt20
erſten Leſers, den keine Einſeitigkeit der Aeſthetiken gefangen nimmt,
iſt für mich ſo wichtig, daß ich ſeinem reinen ganzen Eindruck
mehr glaube als meiner Einſicht, und mit Recht; daher ich Ihnen bei
meinen bald erfolgenden opera omnia außer dem Freiexemplar noch
einen beſondern Dank in der Autobiographie gelobe, wenn Sie vorher25
noch einmal alles leſen, was ich wieder edieren und wiedergebären
will, und wenn Sie (der höchſtens die Nachſicht übertreiben kann)
alle Schärfe der Kraft an befreundeten Werken zeigen wollten. —
Aber Sie ſollen!

Nie hab’ ich geſuchten Witz, ſondern nur ſuchenden; die zwei30
Brennpunkte meiner närriſchen Ellipſe, Heſperus-Rührung und
Schoppens-Wildheit, ſind meine ewig ziehenden Punkte; und nur
gequält geh’ ich zwiſchen beiden, entweder blos erzählend oder blos
philoſophierend, erkältet auf und ab. Ich kann ein Kapitel, das Sie

*) Tägliches Plagen und Nagen mattet ab; ein tapferer Kriegs-Stoß weckt35
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[126/0141] politiſch, als hätt’ ich 60 Frühlinge hinter mir; und faſt den nächſt vergangenen rechn’ ich noch in die alte weit entrückte nachſchimmernde Aue hinüber. Gott ſei nur Dank, daß man die Leidtragenden der langen Leiche des deutſchen Reichskörpers nur noch hat! — Himmel! jeder Briefſchreiber hat jetzt mehr Stoff als Brief- 5 papier, und ſogar jener iſt theuerer! Über unſer Bayr[euther] Land zog die Kriegs-Hagelwolke nur als eine flüchtige Regenwolke, ohne Schloßen oder Blitze zu werfen. — Aber die jetzige Menſchheit bedurfte des ſtärkenden Kriegs früher als des Friedens, der erſt hinter jenem ſtählt *). 10 Denken Sie ſich ein jetziges Europa ein Säkulum fortſtehend oder fortfaulend ohne Krieg — — Jetzt hingegen wirken Friede und Bücher tüchtiger ein. Ihr Lob der Levana hat mich faſt noch ſtärker erfreuet als Ihr Tadel. Ihre gütige Vorausſetzung meiner Gleichgültigkeit gegen 15 Lob (höchſtens mündliches ausgenommen) kann ich ohne Unbeſcheiden- heit nicht zugeben; und in der That, ich wüßte nichts was ich lieber läſe als einen Rieß Papier, das mich unendlich prieße; — und ich hätte keine andere Mühe dabei, als die Sache zu glauben. Aber (ernſtlich) Ihr ausgeſprochener Tadel, zumal eines beſten, ja faſt 20 erſten Leſers, den keine Einſeitigkeit der Aeſthetiken gefangen nimmt, iſt für mich ſo wichtig, daß ich ſeinem reinen ganzen Eindruck mehr glaube als meiner Einſicht, und mit Recht; daher ich Ihnen bei meinen bald erfolgenden opera omnia außer dem Freiexemplar noch einen beſondern Dank in der Autobiographie gelobe, wenn Sie vorher 25 noch einmal alles leſen, was ich wieder edieren und wiedergebären will, und wenn Sie (der höchſtens die Nachſicht übertreiben kann) alle Schärfe der Kraft an befreundeten Werken zeigen wollten. — Aber Sie ſollen! Nie hab’ ich geſuchten Witz, ſondern nur ſuchenden; die zwei 30 Brennpunkte meiner närriſchen Ellipſe, Heſperus-Rührung und Schoppens-Wildheit, ſind meine ewig ziehenden Punkte; und nur gequält geh’ ich zwiſchen beiden, entweder blos erzählend oder blos philoſophierend, erkältet auf und ab. Ich kann ein Kapitel, das Sie *) Tägliches Plagen und Nagen mattet ab; ein tapferer Kriegs-Stoß weckt 35 auf.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/141>, abgerufen am 28.04.2024.