brächte; aber nur jenen hab' ich erlebt. -- Was hier den Brief- wechsel versüsset und erleichtert, ist daß er wenig zu tragen hat; was kan ich hier erleben als das was ich erleben lasse, nämlich meine Schreib-Szenen? -- Jezt könt' ich, ohne Ungestüm, nicht in deinem Falle sein; früher war ich in manchen noch schlimmern. Ich knirschte5 zu sehr a la Giannozzo. -- Samuels neues Betragen und Schreiben gefält mir; mehr aber geben kan ich nicht; ich wil endlich, so oft be- trogen, sparen, wenigstens für meine C., die ich lieber mit ihrem zweiten Namen, Leopoldine nennen solte. Sie hat -- was ich von keiner weiblichen Seele weiter sagen kan -- gar keinen morali-10 schen Fet- oder Rostflecken; ich habe also, zumal da sie eben so sehr die Liebe (Aufopferung) selber ist als die Tugend, alles von und an ihr, was der Eigensin nur wil. Das bessert mich. Sie fehlt blos mit der Phantasie oder dem Verstande, hat zuviel poetische Trunkenheit und gutmüthige Voraussezung. Aber mein kleinstes Bereden -- nicht Be-15 zanken -- drükt sie schon zu sehr. Noch immer bin ich ihr ein J. P.,[106] nicht R. Und sie lieb' ich in der Ehe blos romantischer, heisser, ewiger als vorher. --
Eben wurd' ich durch Theegeselschaft bei mir gehindert. -- Gleim schikte mir ein Silberschreibzeug mit Versen, die stat des Giannozzo20 mehr Liebe begehren. -- Herders beiliegender Brief *) war eine grüne Anhöhe vol herabrinnender Quellen; ich kam ohne Hofnung der alten Liebe zu ihm -- wegen meines Umgangs mit den Schlegelisten -- und erhielt eine wärmere, am meisten durch meine Frau. -- Der Herzog war einmal hier, ich muste Mittags und Abends bei ihm essen25 und er wird mich immer angeln wollen; er hat viel Sin und Kentnis und Güte; aber -- und hier niemand -- keine Poesie und Philosophie; indes ist doch hier nicht rohe Kanzlei- oder Komtoir-Verbildung wie in Bayreuth und H[of]. -- Schreibe mir doch über die Rudolstädter Konkursmassa, damit ich mich wenigstens von Monat zu Monat30 bezahlen lasse. -- Amönens trefliche Version -- so weit sie sich aus sich selber erklärt -- hab' ich an niemand geschikt, weil Monats- schriften für Versionen nichts geben und weil die ossianischen schon viel zu oft da waren -- einen Theil darin noch dazu abgerechnet, den schon Göthe im Werther übersezte. -- Aber bringe ihre gute recht35
*) Sende ihn gleich wieder ohne die andern.
brächte; aber nur jenen hab’ ich erlebt. — Was hier den Brief- wechſel verſüſſet und erleichtert, iſt daß er wenig zu tragen hat; was kan ich hier erleben als das was ich erleben laſſe, nämlich meine Schreib-Szenen? — Jezt könt’ ich, ohne Ungeſtüm, nicht in deinem Falle ſein; früher war ich in manchen noch ſchlimmern. Ich knirſchte5 zu ſehr à la Giannozzo. — Samuels neues Betragen und Schreiben gefält mir; mehr aber geben kan ich nicht; ich wil endlich, ſo oft be- trogen, ſparen, wenigſtens für meine C., die ich lieber mit ihrem zweiten Namen, Leopoldine nennen ſolte. Sie hat — was ich von keiner weiblichen Seele weiter ſagen kan — gar keinen morali-10 ſchen Fet- oder Roſtflecken; ich habe alſo, zumal da ſie eben ſo ſehr die Liebe (Aufopferung) ſelber iſt als die Tugend, alles von und an ihr, was der Eigenſin nur wil. Das beſſert mich. Sie fehlt blos mit der Phantaſie oder dem Verſtande, hat zuviel poetiſche Trunkenheit und gutmüthige Vorausſezung. Aber mein kleinſtes Bereden — nicht Be-15 zanken — drükt ſie ſchon zu ſehr. Noch immer bin ich ihr ein J. P.,[106] nicht R. Und ſie lieb’ ich in der Ehe blos romantiſcher, heiſſer, ewiger als vorher. —
Eben wurd’ ich durch Theegeſelſchaft bei mir gehindert. — Gleim ſchikte mir ein Silberſchreibzeug mit Verſen, die ſtat des Giannozzo20 mehr Liebe begehren. — Herders beiliegender Brief *) war eine grüne Anhöhe vol herabrinnender Quellen; ich kam ohne Hofnung der alten Liebe zu ihm — wegen meines Umgangs mit den Schlegeliſten — und erhielt eine wärmere, am meiſten durch meine Frau. — Der Herzog war einmal hier, ich muſte Mittags und Abends bei ihm eſſen25 und er wird mich immer angeln wollen; er hat viel Sin und Kentnis und Güte; aber — und hier niemand — keine Poeſie und Philoſophie; indes iſt doch hier nicht rohe Kanzlei- oder Komtoir-Verbildung wie in Bayreuth und H[of]. — Schreibe mir doch über die Rudolſtädter Konkursmaſſa, damit ich mich wenigſtens von Monat zu Monat30 bezahlen laſſe. — Amönens trefliche Verſion — ſo weit ſie ſich aus ſich ſelber erklärt — hab’ ich an niemand geſchikt, weil Monats- ſchriften für Verſionen nichts geben und weil die oſſianiſchen ſchon viel zu oft da waren — einen Theil darin noch dazu abgerechnet, den ſchon Göthe im Werther überſezte. — Aber bringe ihre gute recht35
*) Sende ihn gleich wieder ohne die andern.
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brächte; aber nur jenen hab’ ich erlebt. — Was hier den Brief-
wechſel verſüſſet und erleichtert, iſt daß er wenig zu tragen hat;
was kan ich hier erleben als das was ich erleben laſſe, nämlich meine
Schreib-Szenen? — Jezt könt’ ich, ohne Ungeſtüm, nicht in deinem
Falle ſein; früher war ich in manchen noch ſchlimmern. Ich knirſchte 5
zu ſehr à la Giannozzo. — Samuels neues Betragen und Schreiben
gefält mir; mehr aber geben kan ich nicht; ich wil endlich, ſo oft be-
trogen, ſparen, wenigſtens für meine C., die ich lieber mit ihrem
zweiten Namen, Leopoldine nennen ſolte. Sie hat — was ich von
keiner weiblichen Seele weiter ſagen kan — gar keinen morali- 10
ſchen Fet- oder Roſtflecken; ich habe alſo, zumal da ſie eben ſo ſehr die
Liebe (Aufopferung) ſelber iſt als die Tugend, alles von und an ihr,
was der Eigenſin nur wil. Das beſſert mich. Sie fehlt blos mit der
Phantaſie oder dem Verſtande, hat zuviel poetiſche Trunkenheit und
gutmüthige Vorausſezung. Aber mein kleinſtes Bereden — nicht Be- 15
zanken — drükt ſie ſchon zu ſehr. Noch immer bin ich ihr ein J. P.,
nicht R. Und ſie lieb’ ich in der Ehe blos romantiſcher, heiſſer, ewiger
als vorher. —
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Eben wurd’ ich durch Theegeſelſchaft bei mir gehindert. — Gleim
ſchikte mir ein Silberſchreibzeug mit Verſen, die ſtat des Giannozzo 20
mehr Liebe begehren. — Herders beiliegender Brief *) war eine
grüne Anhöhe vol herabrinnender Quellen; ich kam ohne Hofnung der
alten Liebe zu ihm — wegen meines Umgangs mit den Schlegeliſten
— und erhielt eine wärmere, am meiſten durch meine Frau. — Der
Herzog war einmal hier, ich muſte Mittags und Abends bei ihm eſſen 25
und er wird mich immer angeln wollen; er hat viel Sin und Kentnis
und Güte; aber — und hier niemand — keine Poeſie und Philoſophie;
indes iſt doch hier nicht rohe Kanzlei- oder Komtoir-Verbildung wie
in Bayreuth und H[of]. — Schreibe mir doch über die Rudolſtädter
Konkursmaſſa, damit ich mich wenigſtens von Monat zu Monat 30
bezahlen laſſe. — Amönens trefliche Verſion — ſo weit ſie ſich aus
ſich ſelber erklärt — hab’ ich an niemand geſchikt, weil Monats-
ſchriften für Verſionen nichts geben und weil die oſſianiſchen ſchon
viel zu oft da waren — einen Theil darin noch dazu abgerechnet, den
ſchon Göthe im Werther überſezte. — Aber bringe ihre gute recht 35
*) Sende ihn gleich wieder ohne die andern.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/99>, abgerufen am 16.07.2024.
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