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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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Kentnis der Sünde ist ja im Moment in jedem Sünder (sonst wär'
er keiner) gleichviel ob er nun dabei handle oder schreibe; und im
kleinsten ächten Fehler ist der dümste Matrose ein Hippel -- H. wird
sagen, sol ich denn noch unmoralisch schreiben und fühlen, da ich schon
so handle? -- 2. Bei einer grossen Kraft ist das Gefühl der Freiheit,5
also der möglichen Umkehrung stärker; sie fühlt sich dem Himmel und
der Hölle näher -- Und doch da bei derselben Kraft der Freiheit auch
die niederziehende Einwirkung des unmoralischen Gegengewichts kleiner
sein müste, und der Mensch doch sündigt -- und Helle des Bliks eben
so stark für als gegen Tugend wirkt; so wie auch die Stärke, die10
Schwäche, die Sinlichkeit und alle Prinzipien der Heteronomie: so
bleibt nichts zur Erklärung der Unmoralität übrig als das Unerklär-
liche, das Radikalböse, der Teufel. Etwas, was wir -- nicht an andern
sondern -- an uns selber hassen und finden ohne Beziehung und Grad,
mus doch etwas Positives *) sein, oder die Tugend wäre selber nichts15
Positives.

[gestrichen: Apropos! neulich fand ich zu meiner Freude, daß nicht
das irdische]

Was ich schreiben wolte, wäre zu lang geworden. -- Verzeih den[104]
-- nach dir -- eilenden Brief. Schicke mir bald etwas von dir, nicht20
blos an mich. Auch schreibe mir sogleich das Dasein des 3. Rein-
holdischen Hefts, auf das ich seiner Antagonisten wegen, sehr lauere. --
Lebe wohl, Herlicher! Vergieb mir Reden und Schweigen. Gieb deinen
Schwestern einen rechten wahren Grus von mir.

R.25

Mein Schwiegervater schikte mir Fichte's Schreiben auf seines --
oder meinen Sieg, wodurch ich Champagne nicht verlor -- gieb es
aber niemand als mir bald. -- Schreibe mir etwas über meine
Scripta novissima. -- Ich wolte dir einen viel gescheutern Brief,
zumal über Hippel, zufertigen; aber die Eile -- die Flügel am30
Musenpferd helfen nicht zugleich zur Schnelle und zur Höhe. --
Adio carissimo!

*) dem ich gleichwohl meinen alten Einwand entgegenseze, daß wir zwar
das Gute als Gutes, aber nicht das Böse als Böses wollen, sondern dieses nur
als fatale Bedingung des an sich neutralen Glüks.35

Kentnis der Sünde iſt ja im Moment in jedem Sünder (ſonſt wär’
er keiner) gleichviel ob er nun dabei handle oder ſchreibe; und im
kleinſten ächten Fehler iſt der dümſte Matroſe ein Hippel — H. wird
ſagen, ſol ich denn noch unmoraliſch ſchreiben und fühlen, da ich ſchon
ſo handle? — 2. Bei einer groſſen Kraft iſt das Gefühl der Freiheit,5
alſo der möglichen Umkehrung ſtärker; ſie fühlt ſich dem Himmel und
der Hölle näher — Und doch da bei derſelben Kraft der Freiheit auch
die niederziehende Einwirkung des unmoraliſchen Gegengewichts kleiner
ſein müſte, und der Menſch doch ſündigt — und Helle des Bliks eben
ſo ſtark für als gegen Tugend wirkt; ſo wie auch die Stärke, die10
Schwäche, die Sinlichkeit und alle Prinzipien der Heteronomie: ſo
bleibt nichts zur Erklärung der Unmoralität übrig als das Unerklär-
liche, das Radikalböſe, der Teufel. Etwas, was wir — nicht an andern
ſondern — an uns ſelber haſſen und finden ohne Beziehung und Grad,
mus doch etwas Poſitives *) ſein, oder die Tugend wäre ſelber nichts15
Poſitives.

[gestrichen: Apropos! neulich fand ich zu meiner Freude, daß nicht
das irdiſche]

Was ich ſchreiben wolte, wäre zu lang geworden. — Verzeih den[104]
— nach dir — eilenden Brief. Schicke mir bald etwas von dir, nicht20
blos an mich. Auch ſchreibe mir ſogleich das Daſein des 3. Rein-
holdiſchen Hefts, auf das ich ſeiner Antagoniſten wegen, ſehr lauere. —
Lebe wohl, Herlicher! Vergieb mir Reden und Schweigen. Gieb deinen
Schweſtern einen rechten wahren Grus von mir.

R.25

Mein Schwiegervater ſchikte mir Fichte’s Schreiben auf ſeines —
oder meinen Sieg, wodurch ich Champagne nicht verlor — gieb es
aber niemand als mir bald. — Schreibe mir etwas über meine
Scripta novissima. — Ich wolte dir einen viel geſcheutern Brief,
zumal über Hippel, zufertigen; aber die Eile — die Flügel am30
Muſenpferd helfen nicht zugleich zur Schnelle und zur Höhe.
Adio carissimo!

*) dem ich gleichwohl meinen alten Einwand entgegenſeze, daß wir zwar
das Gute als Gutes, aber nicht das Böſe als Böſes wollen, ſondern dieſes nur
als fatale Bedingung des an ſich neutralen Glüks.35
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[91/0097] Kentnis der Sünde iſt ja im Moment in jedem Sünder (ſonſt wär’ er keiner) gleichviel ob er nun dabei handle oder ſchreibe; und im kleinſten ächten Fehler iſt der dümſte Matroſe ein Hippel — H. wird ſagen, ſol ich denn noch unmoraliſch ſchreiben und fühlen, da ich ſchon ſo handle? — 2. Bei einer groſſen Kraft iſt das Gefühl der Freiheit, 5 alſo der möglichen Umkehrung ſtärker; ſie fühlt ſich dem Himmel und der Hölle näher — Und doch da bei derſelben Kraft der Freiheit auch die niederziehende Einwirkung des unmoraliſchen Gegengewichts kleiner ſein müſte, und der Menſch doch ſündigt — und Helle des Bliks eben ſo ſtark für als gegen Tugend wirkt; ſo wie auch die Stärke, die 10 Schwäche, die Sinlichkeit und alle Prinzipien der Heteronomie: ſo bleibt nichts zur Erklärung der Unmoralität übrig als das Unerklär- liche, das Radikalböſe, der Teufel. Etwas, was wir — nicht an andern ſondern — an uns ſelber haſſen und finden ohne Beziehung und Grad, mus doch etwas Poſitives *) ſein, oder die Tugend wäre ſelber nichts 15 Poſitives. [gestrichen: Apropos! neulich fand ich zu meiner Freude, daß nicht das irdiſche] Was ich ſchreiben wolte, wäre zu lang geworden. — Verzeih den — nach dir — eilenden Brief. Schicke mir bald etwas von dir, nicht 20 blos an mich. Auch ſchreibe mir ſogleich das Daſein des 3. Rein- holdiſchen Hefts, auf das ich ſeiner Antagoniſten wegen, ſehr lauere. — Lebe wohl, Herlicher! Vergieb mir Reden und Schweigen. Gieb deinen Schweſtern einen rechten wahren Grus von mir. [104] R. 25 Mein Schwiegervater ſchikte mir Fichte’s Schreiben auf ſeines — oder meinen Sieg, wodurch ich Champagne nicht verlor — gieb es aber niemand als mir bald. — Schreibe mir etwas über meine Scripta novissima. — Ich wolte dir einen viel geſcheutern Brief, zumal über Hippel, zufertigen; aber die Eile — die Flügel am 30 Muſenpferd helfen nicht zugleich zur Schnelle und zur Höhe. — Adio carissimo! *) dem ich gleichwohl meinen alten Einwand entgegenſeze, daß wir zwar das Gute als Gutes, aber nicht das Böſe als Böſes wollen, ſondern dieſes nur als fatale Bedingung des an ſich neutralen Glüks. 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/97>, abgerufen am 23.11.2024.