Lebe nicht wohl, sondern am besten. Schreibe eilends. Grüsse dein liebes Frizgen und überziehe meinen blassen Namen in ihrem Herzen wieder mit einiger Dinte. -- Meine Frau grüsset euch liebend. --
R.
167. An Gräfin Schlabrendorff in Liebenstein.5
[Kopie][Meiningen, 20. Juli 1801]
Wir stecken wie Krebse in unserm Uferloch und hören nur von Ferne das Wellen Rauschen. -- Du kanst mir zumal mit dem Arme des Herzogs ein Zweiglein reichen, worauf ich ein kurzes Nest machen kan.10
168. An Jacobi.
Meiningen d. 21. Jul. 1801.
Geliebtester Bruder! Gäb' es nur ein anderes Mittel, Briefe von dir zu haben, als durch Briefe -- ich scheuete keine Kosten; und doch schreib' ich dir die längsten und willigsten. Nur versandet meine15 epistolarische Dinte stets -- aus 100 Gründen; wozu die vorige Sandgegend selber gehört, aus der ich mit meiner Frau hieher zwischen diese grünen Berge zog. Diese, der Geld-cours, und das bittere Bier wiesen mich hieher auf -- solange Gott und ich wil. Meine Caroline ist nichts als die pure lautere, gar mit keinem Ich behaftete, eines nicht20 einmal bekriegende Liebe -- troz ihrer philosophischen Bildung durch Kiesewetter, der ein Lehrer des k[ategorischen] Imperativs und lustiger Schüler der Glükseligkeitslehre ist --; ich finde durchaus gar keinen moralischen Flecken an ihr und liebe sie als Man noch mehr denn als Liebhaber. Was helfen solche Wirthshausschildereien? --25 Genug ich habe das bestimt, wornach meine irrende und schmachtende[102] Natur solange sich umhertrieb, daß ich am Ende über eignen und fremden Werth in den zweiten und -- dritten Irthum gerieth und mehr an meiner als fremder Liebe verzagte. -- Die Menschen hier sind anspruchslos und gut. In der Ehe ist eine Einsiedelei schon ein30 Visitenzimmer. Ich diniere und soupiere jezt täglich bei meiner -- Frau; zu Thee und Kaffee werd' ich von -- Büchern gebeten.
Möge mein Aufsaz für das Taschenbuch recht gewählt und ge- macht sein! -- Mit Fichte kralte ich mich oft 6 Stunden lang herum.
Lebe nicht wohl, ſondern am beſten. Schreibe eilends. Grüſſe dein liebes Frizgen und überziehe meinen blaſſen Namen in ihrem Herzen wieder mit einiger Dinte. — Meine Frau grüſſet euch liebend. —
R.
167. An Gräfin Schlabrendorff in Liebenſtein.5
[Kopie][Meiningen, 20. Juli 1801]
Wir ſtecken wie Krebſe in unſerm Uferloch und hören nur von Ferne das Wellen Rauſchen. — Du kanſt mir zumal mit dem Arme des Herzogs ein Zweiglein reichen, worauf ich ein kurzes Neſt machen kan.10
168. An Jacobi.
Meiningen d. 21. Jul. 1801.
Geliebteſter Bruder! Gäb’ es nur ein anderes Mittel, Briefe von dir zu haben, als durch Briefe — ich ſcheuete keine Koſten; und doch ſchreib’ ich dir die längſten und willigſten. Nur verſandet meine15 epiſtolariſche Dinte ſtets — aus 100 Gründen; wozu die vorige Sandgegend ſelber gehört, aus der ich mit meiner Frau hieher zwiſchen dieſe grünen Berge zog. Dieſe, der Geld-cours, und das bittere Bier wieſen mich hieher auf — ſolange Gott und ich wil. Meine Caroline iſt nichts als die pure lautere, gar mit keinem Ich behaftete, eines nicht20 einmal bekriegende Liebe — troz ihrer philoſophiſchen Bildung durch Kiesewetter, der ein Lehrer des k[ategoriſchen] Imperativs und luſtiger Schüler der Glükſeligkeitslehre iſt —; ich finde durchaus gar keinen moraliſchen Flecken an ihr und liebe ſie als Man noch mehr denn als Liebhaber. Was helfen ſolche Wirthshausſchildereien? —25 Genug ich habe das beſtimt, wornach meine irrende und ſchmachtende[102] Natur ſolange ſich umhertrieb, daß ich am Ende über eignen und fremden Werth in den zweiten und — dritten Irthum gerieth und mehr an meiner als fremder Liebe verzagte. — Die Menſchen hier ſind anſpruchslos und gut. In der Ehe iſt eine Einſiedelei ſchon ein30 Viſitenzimmer. Ich diniere und ſoupiere jezt täglich bei meiner — Frau; zu Thee und Kaffee werd’ ich von — Büchern gebeten.
Möge mein Aufſaz für das Taſchenbuch recht gewählt und ge- macht ſein! — Mit Fichte kralte ich mich oft 6 Stunden lang herum.
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Lebe nicht wohl, ſondern am beſten. Schreibe eilends. Grüſſe dein
liebes Frizgen und überziehe meinen blaſſen Namen in ihrem Herzen
wieder mit einiger Dinte. — Meine Frau grüſſet euch liebend. —
R.
167. An Gräfin Schlabrendorff in Liebenſtein. 5
[Meiningen, 20. Juli 1801]
Wir ſtecken wie Krebſe in unſerm Uferloch und hören nur von Ferne
das Wellen Rauſchen. — Du kanſt mir zumal mit dem Arme des
Herzogs ein Zweiglein reichen, worauf ich ein kurzes Neſt machen
kan. 10
168. An Jacobi.
Meiningen d. 21. Jul. 1801.
Geliebteſter Bruder! Gäb’ es nur ein anderes Mittel, Briefe von
dir zu haben, als durch Briefe — ich ſcheuete keine Koſten; und doch
ſchreib’ ich dir die längſten und willigſten. Nur verſandet meine 15
epiſtolariſche Dinte ſtets — aus 100 Gründen; wozu die vorige
Sandgegend ſelber gehört, aus der ich mit meiner Frau hieher zwiſchen
dieſe grünen Berge zog. Dieſe, der Geld-cours, und das bittere Bier
wieſen mich hieher auf — ſolange Gott und ich wil. Meine Caroline iſt
nichts als die pure lautere, gar mit keinem Ich behaftete, eines nicht 20
einmal bekriegende Liebe — troz ihrer philoſophiſchen Bildung durch
Kiesewetter, der ein Lehrer des k[ategoriſchen] Imperativs und
luſtiger Schüler der Glükſeligkeitslehre iſt —; ich finde durchaus gar
keinen moraliſchen Flecken an ihr und liebe ſie als Man noch mehr
denn als Liebhaber. Was helfen ſolche Wirthshausſchildereien? — 25
Genug ich habe das beſtimt, wornach meine irrende und ſchmachtende
Natur ſolange ſich umhertrieb, daß ich am Ende über eignen und
fremden Werth in den zweiten und — dritten Irthum gerieth und
mehr an meiner als fremder Liebe verzagte. — Die Menſchen hier
ſind anſpruchslos und gut. In der Ehe iſt eine Einſiedelei ſchon ein 30
Viſitenzimmer. Ich diniere und ſoupiere jezt täglich bei meiner —
Frau; zu Thee und Kaffee werd’ ich von — Büchern gebeten.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/95>, abgerufen am 16.07.2024.
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