wenig wie Hume sagt, blos eine blos lebhaftere Vorstellung ist,[71] da ja an der Überzeugung die Lebhaftigkeit selber wechselt und wieder an der Vorstellung oft ist, die man nicht glaubt und da Glauben und Nichtglauben ja nicht im Grade verschieden sind. Auf den 2ten Beitrag harr' ich deinetwegen wie auf den Frieden. -- Fichte, mit dem ich sehr5 gut stehe obwohl unser ganzer Dialog ein Janein ist, sagte mir, er nehme über und ausser dem absoluten Ich, worin ich bisher seinen Gott fand, in seiner neuesten Darstellung noch etwas an, Gott. "Aber so philosophieren Sie sich zulezt aus der Philosophie heraus" sagt ich zu ihm. Du hast ihn wahrscheinlich dahinauf gepeinigt. Aber10 dan zerbricht das Gebäude und das Deduzieren und Philosophieren höret bei dem auf, was er nicht geschaffen und nur ein Dualismus anderer Art trit ein. Ich sagt' ihm, dan hab' ihn Schelling, Reinhold und alle nicht recht dargestelt; und er lies es lieber zu, "seine Philo- sophie sei eben noch nicht fertig gewesen." Was sagst du? --15
Der Mensch selber ist gut und tolerant; das siehst du aus seiner Amnestie für den Clavis Schmidt.
Ich lese jezt den Jakob Böhme. Da wo er nur philosophiert und nicht chemisch ist: da (z. B. in der Beschaulichkeit Gottes, in den 40 Fragen über die Seele) ist er tief und edel, sogar ein Prä-Fichtianer20 (stat Entgegengesezt sagt er blos "die Natur ist ein Gegenwurf der "Gottheit oder Freiheit") Sein poetisches Liebkosen der ganzen Natur und sein heiliges Leben im Allerhöchsten reinigt und hebt mich selber. Dunkel ist er wenig.
Ich habe wieder einmal vor dir, als dein blosser adjunctus philo-25 sophiae philosophiert; aber der Mensch hat, z. B. vom schönen Wetter kommend, einen besondern Trieb, den andern davon zu be- nachrichtigen, ob dieser gleich dasselbe schon sehr gut selber durchs Fenster sieht.
d. 10. Apr.30
Wahrscheinlich hat dich die Fluth des Kriegs, du Guter, wieder fortgetrieben. Gehst du wieder nach Düsseldorf: so bin ich dir näher in Meiningen, wohin ich in der Mitte des Maies mit meiner Lieben ziehe. Couvertiere den Brief an Herder; oder noch besser, an mich[72] hier, indem du früher schreibst.35
Poesie und Philosophie sind ein Paar Anhöhen, die hier mit allen andern fehlen. Ich bin in vielen geselligen Zirkeln hier selber ein
wenig wie Hume ſagt, blos eine blos lebhaftere Vorſtellung iſt,[71] da ja an der Überzeugung die Lebhaftigkeit ſelber wechſelt und wieder an der Vorſtellung oft iſt, die man nicht glaubt und da Glauben und Nichtglauben ja nicht im Grade verſchieden ſind. Auf den 2ten Beitrag harr’ ich deinetwegen wie auf den Frieden. — Fichte, mit dem ich ſehr5 gut ſtehe obwohl unſer ganzer Dialog ein Janein iſt, ſagte mir, er nehme über und auſſer dem abſoluten Ich, worin ich bisher ſeinen Gott fand, in ſeiner neueſten Darſtellung noch etwas an, Gott. „Aber ſo philoſophieren Sie ſich zulezt aus der Philoſophie heraus“ ſagt ich zu ihm. Du haſt ihn wahrſcheinlich dahinauf gepeinigt. Aber10 dan zerbricht das Gebäude und das Deduzieren und Philoſophieren höret bei dem auf, was er nicht geſchaffen und nur ein Dualiſmus anderer Art trit ein. Ich ſagt’ ihm, dan hab’ ihn Schelling, Reinhold und alle nicht recht dargeſtelt; und er lies es lieber zu, „ſeine Philo- ſophie ſei eben noch nicht fertig geweſen.“ Was ſagſt du? —15
Der Menſch ſelber iſt gut und tolerant; das ſiehſt du aus ſeiner Amneſtie für den Clavis Schmidt.
Ich leſe jezt den Jakob Böhme. Da wo er nur philoſophiert und nicht chemiſch iſt: da (z. B. in der Beſchaulichkeit Gottes, in den 40 Fragen über die Seele) iſt er tief und edel, ſogar ein Prä-Fichtianer20 (ſtat Entgegengeſezt ſagt er blos „die Natur iſt ein Gegenwurf der „Gottheit oder Freiheit“) Sein poetiſches Liebkoſen der ganzen Natur und ſein heiliges Leben im Allerhöchſten reinigt und hebt mich ſelber. Dunkel iſt er wenig.
Ich habe wieder einmal vor dir, als dein bloſſer adjunctus philo-25 sophiae philoſophiert; aber der Menſch hat, z. B. vom ſchönen Wetter kommend, einen beſondern Trieb, den andern davon zu be- nachrichtigen, ob dieſer gleich daſſelbe ſchon ſehr gut ſelber durchs Fenſter ſieht.
d. 10. Apr.30
Wahrſcheinlich hat dich die Fluth des Kriegs, du Guter, wieder fortgetrieben. Gehſt du wieder nach Düsseldorf: ſo bin ich dir näher in Meiningen, wohin ich in der Mitte des Maies mit meiner Lieben ziehe. Couvertiere den Brief an Herder; oder noch beſſer, an mich[72] hier, indem du früher ſchreibſt.35
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wenig wie Hume ſagt, blos eine blos lebhaftere Vorſtellung iſt,
da ja an der Überzeugung die Lebhaftigkeit ſelber wechſelt und wieder
an der Vorſtellung oft iſt, die man nicht glaubt und da Glauben und
Nichtglauben ja nicht im Grade verſchieden ſind. Auf den 2ten Beitrag
harr’ ich deinetwegen wie auf den Frieden. — Fichte, mit dem ich ſehr 5
gut ſtehe obwohl unſer ganzer Dialog ein Janein iſt, ſagte mir, er
nehme über und auſſer dem abſoluten Ich, worin ich bisher ſeinen
Gott fand, in ſeiner neueſten Darſtellung noch etwas an, Gott. „Aber
ſo philoſophieren Sie ſich zulezt aus der Philoſophie heraus“ ſagt
ich zu ihm. Du haſt ihn wahrſcheinlich dahinauf gepeinigt. Aber 10
dan zerbricht das Gebäude und das Deduzieren und Philoſophieren
höret bei dem auf, was er nicht geſchaffen und nur ein Dualiſmus
anderer Art trit ein. Ich ſagt’ ihm, dan hab’ ihn Schelling, Reinhold
und alle nicht recht dargeſtelt; und er lies es lieber zu, „ſeine Philo-
ſophie ſei eben noch nicht fertig geweſen.“ Was ſagſt du? — 15
[71]Der Menſch ſelber iſt gut und tolerant; das ſiehſt du aus ſeiner
Amneſtie für den Clavis Schmidt.
Ich leſe jezt den Jakob Böhme. Da wo er nur philoſophiert und
nicht chemiſch iſt: da (z. B. in der Beſchaulichkeit Gottes, in den
40 Fragen über die Seele) iſt er tief und edel, ſogar ein Prä-Fichtianer 20
(ſtat Entgegengeſezt ſagt er blos „die Natur iſt ein Gegenwurf der
„Gottheit oder Freiheit“) Sein poetiſches Liebkoſen der ganzen Natur
und ſein heiliges Leben im Allerhöchſten reinigt und hebt mich ſelber.
Dunkel iſt er wenig.
Ich habe wieder einmal vor dir, als dein bloſſer adjunctus philo- 25
sophiae philoſophiert; aber der Menſch hat, z. B. vom ſchönen
Wetter kommend, einen beſondern Trieb, den andern davon zu be-
nachrichtigen, ob dieſer gleich daſſelbe ſchon ſehr gut ſelber durchs
Fenſter ſieht.
d. 10. Apr. 30
Wahrſcheinlich hat dich die Fluth des Kriegs, du Guter, wieder
fortgetrieben. Gehſt du wieder nach Düsseldorf: ſo bin ich dir näher
in Meiningen, wohin ich in der Mitte des Maies mit meiner Lieben
ziehe. Couvertiere den Brief an Herder; oder noch beſſer, an mich
hier, indem du früher ſchreibſt. 35
[72]Poeſie und Philoſophie ſind ein Paar Anhöhen, die hier mit allen
andern fehlen. Ich bin in vielen geſelligen Zirkeln hier ſelber ein
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/69>, abgerufen am 16.07.2024.
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