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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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mit Zimmerchen, -- obwohl nicht hinter einander -- wäre so recht.
Ich glaub' aber nicht, daß ers jetzt vermiethet. So sehr viele Zimmer
brauch' ich nicht; denn in Bayreuth hab' ich nur Taggäste zu logieren.
-- Herzlich erfreuet mich Thieriots Ankunft im July; er soll Spaß
hören und leiden. Wenn er nur bleibt bis ich komme, da er sonst selten5
an einem Orte länger verharrt als 1 Monat oder so, nämlich als
Gast! Vielleicht kommt er später und erst den 2 July. -- Ich danke
Otto für seine schnelle Belehrung, der ich Folge geleistet. Die Un-
richtigkeiten in meinem ersten Briefe waren Folgen des vergeßnen
und damals noch unsichtbaren Wechsels*) und des Weißmachens von[330]10
Holzapfel, der am Jammer schuld ist; denn er wollte den Wechsel
8 Tage eher holen lassen. -- Daß ich keinen Spitzbuben-Fuhrmann
für die Fässer auftrieb, ungeachtet alles fremden Versprechens und
eignen Schickens, sehen Sie ja daraus, daß ich auch keinen für das
Bier auffand -- -- Aber bin ich nur einmal in Bayreuth: so soll ein15
ganz anderes Mäßigkeits-System anfangen. Himmel, wie werd'
ich trinken, und doch mäßig! -- Ich hatte auf meiner letzten Reise
weniger Götterlust als ich mir versprochen; die Lebens-Poesie vor der
Ehe blüht zwar in der Ehe noch auf dem Papiere nach und vielleicht
reicher und wahrer, aber ins Leben, wenigstens ins Reisen ist sie20
schwer mehr zu treiben. In Italien vielleicht könnt' ich noch außer mir
kommen -- und doch zöge mich Familien-Sehnsucht wieder zu sehr. --
Warum ist mir denn meine gute Brüningk gestorben? Sie und die
Jüdin Gad (die Domeier) waren unter meinen Freundinnen die red-
lichsten und uneigennützigsten; dann kommt die Kalb; spät die andern.25
-- Ich arbeite jetzt wie ein Vieh, nämlich in sofern der arme Körper
doch auch mit an meiner Aesthetik helfen und schreiben muß, indem er
dabei seine Schreibfinger und seinen Hintern und selber seinen Schlund
hergeben muß, sogar seine Paar Füsse, um den Geist jeden Morgen
auf den Adamiberg zu tragen, wo solcher tief sinnt und ausarbeitet30
und den Leib als einen gemeinen Lakaien, unter seinen höhern Be-
geisterungen zum Bier oder Weine fortgehen lässet. Ich fürchte Ende
Monats einigen und durch den ganzen künftigen vielen Regen. --

*) Unrichtig bleibts indeß immer, nach Sicht (statt a dato) einen Tag zu setzen,
auch nach des Bankdirektor Wagners Spruche. Allerdings gestand mir Cotta35
Schuldlosigkeit zu, da er mir nach dem Verluste des Wechsels noch eben so viel
schuldig zu sein rechnete als vor der Abgabe desselben.

mit Zimmerchen, — obwohl nicht hinter einander — wäre ſo recht.
Ich glaub’ aber nicht, daß ers jetzt vermiethet. So ſehr viele Zimmer
brauch’ ich nicht; denn in Bayreuth hab’ ich nur Taggäſte zu logieren.
— Herzlich erfreuet mich Thieriots Ankunft im July; er ſoll Spaß
hören und leiden. Wenn er nur bleibt bis ich komme, da er ſonſt ſelten5
an einem Orte länger verharrt als 1 Monat oder ſo, nämlich als
Gaſt! Vielleicht kommt er ſpäter und erſt den 2 July. — Ich danke
Otto für ſeine ſchnelle Belehrung, der ich Folge geleiſtet. Die Un-
richtigkeiten in meinem erſten Briefe waren Folgen des vergeßnen
und damals noch unſichtbaren Wechſels*) und des Weißmachens von[330]10
Holzapfel, der am Jammer ſchuld iſt; denn er wollte den Wechſel
8 Tage eher holen laſſen. — Daß ich keinen Spitzbuben-Fuhrmann
für die Fäſſer auftrieb, ungeachtet alles fremden Verſprechens und
eignen Schickens, ſehen Sie ja daraus, daß ich auch keinen für das
Bier auffand — — Aber bin ich nur einmal in Bayreuth: ſo ſoll ein15
ganz anderes Mäßigkeits-Syſtem anfangen. Himmel, wie werd’
ich trinken, und doch mäßig! — Ich hatte auf meiner letzten Reiſe
weniger Götterluſt als ich mir verſprochen; die Lebens-Poeſie vor der
Ehe blüht zwar in der Ehe noch auf dem Papiere nach und vielleicht
reicher und wahrer, aber ins Leben, wenigſtens ins Reiſen iſt ſie20
ſchwer mehr zu treiben. In Italien vielleicht könnt’ ich noch außer mir
kommen — und doch zöge mich Familien-Sehnſucht wieder zu ſehr. —
Warum iſt mir denn meine gute Brüningk geſtorben? Sie und die
Jüdin Gad (die Domeier) waren unter meinen Freundinnen die red-
lichſten und uneigennützigſten; dann kommt die Kalb; ſpät die andern.25
— Ich arbeite jetzt wie ein Vieh, nämlich in ſofern der arme Körper
doch auch mit an meiner Aeſthetik helfen und ſchreiben muß, indem er
dabei ſeine Schreibfinger und ſeinen Hintern und ſelber ſeinen Schlund
hergeben muß, ſogar ſeine Paar Füſſe, um den Geiſt jeden Morgen
auf den Adamiberg zu tragen, wo ſolcher tief ſinnt und ausarbeitet30
und den Leib als einen gemeinen Lakaien, unter ſeinen höhern Be-
geiſterungen zum Bier oder Weine fortgehen läſſet. Ich fürchte Ende
Monats einigen und durch den ganzen künftigen vielen Regen. —

*) Unrichtig bleibts indeß immer, nach Sicht (ſtatt a dato) einen Tag zu ſetzen,
auch nach des Bankdirektor Wagners Spruche. Allerdings geſtand mir Cotta35
Schuldloſigkeit zu, da er mir nach dem Verluſte des Wechſels noch eben ſo viel
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[297/0309] mit Zimmerchen, — obwohl nicht hinter einander — wäre ſo recht. Ich glaub’ aber nicht, daß ers jetzt vermiethet. So ſehr viele Zimmer brauch’ ich nicht; denn in Bayreuth hab’ ich nur Taggäſte zu logieren. — Herzlich erfreuet mich Thieriots Ankunft im July; er ſoll Spaß hören und leiden. Wenn er nur bleibt bis ich komme, da er ſonſt ſelten 5 an einem Orte länger verharrt als 1 Monat oder ſo, nämlich als Gaſt! Vielleicht kommt er ſpäter und erſt den 2 July. — Ich danke Otto für ſeine ſchnelle Belehrung, der ich Folge geleiſtet. Die Un- richtigkeiten in meinem erſten Briefe waren Folgen des vergeßnen und damals noch unſichtbaren Wechſels *) und des Weißmachens von 10 Holzapfel, der am Jammer ſchuld iſt; denn er wollte den Wechſel 8 Tage eher holen laſſen. — Daß ich keinen Spitzbuben-Fuhrmann für die Fäſſer auftrieb, ungeachtet alles fremden Verſprechens und eignen Schickens, ſehen Sie ja daraus, daß ich auch keinen für das Bier auffand — — Aber bin ich nur einmal in Bayreuth: ſo ſoll ein 15 ganz anderes Mäßigkeits-Syſtem anfangen. Himmel, wie werd’ ich trinken, und doch mäßig! — Ich hatte auf meiner letzten Reiſe weniger Götterluſt als ich mir verſprochen; die Lebens-Poeſie vor der Ehe blüht zwar in der Ehe noch auf dem Papiere nach und vielleicht reicher und wahrer, aber ins Leben, wenigſtens ins Reiſen iſt ſie 20 ſchwer mehr zu treiben. In Italien vielleicht könnt’ ich noch außer mir kommen — und doch zöge mich Familien-Sehnſucht wieder zu ſehr. — Warum iſt mir denn meine gute Brüningk geſtorben? Sie und die Jüdin Gad (die Domeier) waren unter meinen Freundinnen die red- lichſten und uneigennützigſten; dann kommt die Kalb; ſpät die andern. 25 — Ich arbeite jetzt wie ein Vieh, nämlich in ſofern der arme Körper doch auch mit an meiner Aeſthetik helfen und ſchreiben muß, indem er dabei ſeine Schreibfinger und ſeinen Hintern und ſelber ſeinen Schlund hergeben muß, ſogar ſeine Paar Füſſe, um den Geiſt jeden Morgen auf den Adamiberg zu tragen, wo ſolcher tief ſinnt und ausarbeitet 30 und den Leib als einen gemeinen Lakaien, unter ſeinen höhern Be- geiſterungen zum Bier oder Weine fortgehen läſſet. Ich fürchte Ende Monats einigen und durch den ganzen künftigen vielen Regen. — [330] *) Unrichtig bleibts indeß immer, nach Sicht (ſtatt a dato) einen Tag zu ſetzen, auch nach des Bankdirektor Wagners Spruche. Allerdings geſtand mir Cotta 35 Schuldloſigkeit zu, da er mir nach dem Verluſte des Wechſels noch eben ſo viel ſchuldig zu ſein rechnete als vor der Abgabe deſſelben.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/309>, abgerufen am 08.05.2024.