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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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Ich will Sie jezt so anreden: warmer guter lieber schwarzäugiger,
langer, scharfer warmer lieber guter Emanuel.

*455. An Emilie Harmes in Boitzenburg.

Ausser der Gewißheit Ihrer Erscheinung konnte mir nichts so über-5
raschend erfreulich sein als Ihr Brief voll alter schöner Zeit, vor-
treffliche Freundin; und er hat mir die reichste Nachfeier meines
Geburtstages gegeben. Mit alter und neuer Entzückung zugleich werd'
ich Sie wiedersehen; und ich glaube schöner und besser als je. So
zerflattert wie in Leipzig bin ich nicht mehr; manche Veränderungen10
sind hoffentlich zu Aehnlichkeiten mit Ihnen geworden; z. B. über die
Mine unter Europa, über Frankreich streit' ich jetzt nicht mehr wie
sonst gegen Sie, sondern für Sie. Ganze Bücher, ein ganzes Leben
haben wir uns zu sagen; und ich freue mich unsäglich auf unsern
Zusammenklang. Meine Frau wird durch die moralische Idealität15
ihres Sinns gewiß Ihre Liebe gewinnen, und dadurch einen Himmel
der Sympathie, welchen die hiesige platte matte Weiberwelt ihr ver-
sperrt. Bei meinem Mädchen und Knaben werden Sie wie der Vater --
(der ein kleiner Kinder- und Erziehungs Narr geworden und in schwer-
sten Arbeiten die Emma um sich hat) -- nicht wissen, welches das20
schönere oder gesundere ist; und ich hoffe, daß ich Ihnen Beweise der
strengen Kunst zu einer rein-menschlichen Erziehung durch meine Emma
geben kann.

Unsere himmlische Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren
Tenne Ihrer Gegend, wie mit Eden-Blütengärten umfangen. Das25
Hauß Ihrer Frau Tochter ist das schönste der Gegend.

Ueber den Titan wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie
schmeicheln nicht sich sondern ihr mit zu vieler Aehnlichkeit. Zu Ostern
kommen von mir Flegeljahre -- zu Michaelis ästhetische Program-
men, welche mehr für Ihre Seele geben werden. Ihren Gemahl wünsch'30
ich unbeschreiblich gern zu sehen, schon weil er der erste Mann ist,
der Sie glücklich gemacht; denn die andern haben immer den Himmel
in einige Hölle gegossen und so eingegeben. Und alle Schilderungen
legen ihm den Ehren-Namen Mann im höheren Sinne bei.

Mit meinem Herder starb mir Weimar und fast die ganze idealische35
Zukunft. Sein Grab wirft nun einen langen Schatten, der mich und

Ich will Sie jezt ſo anreden: warmer guter lieber ſchwarzäugiger,
langer, ſcharfer warmer lieber guter Emanuel.

*455. An Emilie Harmes in Boitzenburg.

Auſſer der Gewißheit Ihrer Erſcheinung konnte mir nichts ſo über-5
raſchend erfreulich ſein als Ihr Brief voll alter ſchöner Zeit, vor-
treffliche Freundin; und er hat mir die reichſte Nachfeier meines
Geburtstages gegeben. Mit alter und neuer Entzückung zugleich werd’
ich Sie wiederſehen; und ich glaube ſchöner und beſſer als je. So
zerflattert wie in Leipzig bin ich nicht mehr; manche Veränderungen10
ſind hoffentlich zu Aehnlichkeiten mit Ihnen geworden; z. B. über die
Mine unter Europa, über Frankreich ſtreit’ ich jetzt nicht mehr wie
ſonſt gegen Sie, ſondern für Sie. Ganze Bücher, ein ganzes Leben
haben wir uns zu ſagen; und ich freue mich unſäglich auf unſern
Zuſammenklang. Meine Frau wird durch die moraliſche Idealität15
ihres Sinns gewiß Ihre Liebe gewinnen, und dadurch einen Himmel
der Sympathie, welchen die hieſige platte matte Weiberwelt ihr ver-
ſperrt. Bei meinem Mädchen und Knaben werden Sie wie der Vater —
(der ein kleiner Kinder- und Erziehungs Narr geworden und in ſchwer-
ſten Arbeiten die Emma um ſich hat) — nicht wiſſen, welches das20
ſchönere oder geſundere iſt; und ich hoffe, daß ich Ihnen Beweiſe der
ſtrengen Kunſt zu einer rein-menſchlichen Erziehung durch meine Emma
geben kann.

Unſere himmliſche Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren
Tenne Ihrer Gegend, wie mit Eden-Blütengärten umfangen. Das25
Hauß Ihrer Frau Tochter iſt das ſchönſte der Gegend.

Ueber den Titan wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie
ſchmeicheln nicht ſich ſondern ihr mit zu vieler Aehnlichkeit. Zu Oſtern
kommen von mir Flegeljahre — zu Michaelis äſthetiſche Program-
men, welche mehr für Ihre Seele geben werden. Ihren Gemahl wünſch’30
ich unbeſchreiblich gern zu ſehen, ſchon weil er der erſte Mann iſt,
der Sie glücklich gemacht; denn die andern haben immer den Himmel
in einige Hölle gegoſſen und ſo eingegeben. Und alle Schilderungen
legen ihm den Ehren-Namen Mann im höheren Sinne bei.

Mit meinem Herder ſtarb mir Weimar und faſt die ganze idealiſche35
Zukunft. Sein Grab wirft nun einen langen Schatten, der mich und

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[285/0297] Ich will Sie jezt ſo anreden: warmer guter lieber ſchwarzäugiger, langer, ſcharfer warmer lieber guter Emanuel. *455. An Emilie Harmes in Boitzenburg. Coburg d. 27 März 1804. Auſſer der Gewißheit Ihrer Erſcheinung konnte mir nichts ſo über- 5 raſchend erfreulich ſein als Ihr Brief voll alter ſchöner Zeit, vor- treffliche Freundin; und er hat mir die reichſte Nachfeier meines Geburtstages gegeben. Mit alter und neuer Entzückung zugleich werd’ ich Sie wiederſehen; und ich glaube ſchöner und beſſer als je. So zerflattert wie in Leipzig bin ich nicht mehr; manche Veränderungen 10 ſind hoffentlich zu Aehnlichkeiten mit Ihnen geworden; z. B. über die Mine unter Europa, über Frankreich ſtreit’ ich jetzt nicht mehr wie ſonſt gegen Sie, ſondern für Sie. Ganze Bücher, ein ganzes Leben haben wir uns zu ſagen; und ich freue mich unſäglich auf unſern Zuſammenklang. Meine Frau wird durch die moraliſche Idealität 15 ihres Sinns gewiß Ihre Liebe gewinnen, und dadurch einen Himmel der Sympathie, welchen die hieſige platte matte Weiberwelt ihr ver- ſperrt. Bei meinem Mädchen und Knaben werden Sie wie der Vater — (der ein kleiner Kinder- und Erziehungs Narr geworden und in ſchwer- ſten Arbeiten die Emma um ſich hat) — nicht wiſſen, welches das 20 ſchönere oder geſundere iſt; und ich hoffe, daß ich Ihnen Beweiſe der ſtrengen Kunſt zu einer rein-menſchlichen Erziehung durch meine Emma geben kann. Unſere himmliſche Gegend wird Sie, zumal nach der kalten leeren Tenne Ihrer Gegend, wie mit Eden-Blütengärten umfangen. Das 25 Hauß Ihrer Frau Tochter iſt das ſchönſte der Gegend. Ueber den Titan wollen wir viel reden. Linda mußte fallen; und Sie ſchmeicheln nicht ſich ſondern ihr mit zu vieler Aehnlichkeit. Zu Oſtern kommen von mir Flegeljahre — zu Michaelis äſthetiſche Program- men, welche mehr für Ihre Seele geben werden. Ihren Gemahl wünſch’ 30 ich unbeſchreiblich gern zu ſehen, ſchon weil er der erſte Mann iſt, der Sie glücklich gemacht; denn die andern haben immer den Himmel in einige Hölle gegoſſen und ſo eingegeben. Und alle Schilderungen legen ihm den Ehren-Namen Mann im höheren Sinne bei. Mit meinem Herder ſtarb mir Weimar und faſt die ganze idealiſche 35 Zukunft. Sein Grab wirft nun einen langen Schatten, der mich und

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/297>, abgerufen am 01.05.2024.