Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

Bild:
<< vorherige Seite

Adelbert war sehr gefasset -- wie er denn auch fassend ist -- und legte
auf seine Bienen-Wunde den ökonomischen Mist. Als ich sagte, daß
blos die 2 weiblichen Seelen gewis am tiefsten gebogen wären: so
fiel er mir bei und erklärte sich den mehr stoischen Stand der mänlichen
daraus, daß diese weniger an den Vater gewöhnt gewesen. -- Noch5
einmal geh' ich nach Meiningen und Weimar; dan nie mehr, nie. Der
blosse Rinaldo, oder der D[oktor] ist mir jezt lieber, -- ja schon des
Grossen Stube -- als der Gesamt-Parnas da. Auch meine Gesund-
heit muste ein wenig mittrauern. Was Er als Geist mir war, das war
Er vielleicht niemand so; und ein hübsches Stük meines Innern und10
Lebens wurd' ihm mit in den Sarg gegeben, und ich kan einmal mein
Parzial-Grab besuchen. Himmel! wie schön wäre das Leben, wenn die
Natur die Menschen nach Schlägen fälte, allemal nur einen Pak
Freunde! In der Ehe ist es ein bitterer Gedanke, die Gewisheit, den
höchsten Schmerz einmal entweder zu geben oder zu empfangen. --15

Wangenheim hat seinen einzigen Sohn verloren und seinen halben
Vaterhimmel.


Es ist meine Pflicht, Sie nicht lange in vergeblicher Mühe oder
Sorge zu lassen, sondern Sie zu benachrichtigen, daß ich erstlich nicht20
recht einen Einspänner kriegen konte und zweitens wahrscheinlich noch
schwerer dessen Her-Fracht und drittens auch keinen Schubkärner von
mehr als 1 Eimer. Ich warte daher -- eh' ich leztern mit einem
Ziehschlitlein sende -- bis einiger Schnee zu lezterem da ist, um so
mehr, da das Kretschm[ansche] Bier in Rüksicht der Stärke treflich25
ist, die mir freilich nie den Geschmak ersezt. Doch bleibt Ihnen un-
verwehrt, mir so viele Keller zuzuschicken als Sie zufällig Fuhr-Räder
[302]dazu finden, oder so viele aufzuheben als Sie schon angeschaft. Ver-
geben Sie mir die Noth, in die ich Sie etwa solte gesezt haben durch
meine. Adio, Lieber!30

N. S. Wie die Ministerin meiner Frau sagte, sol der Minister
über meinen Wasser-Fal sehr erstaunt und in sich gegangen sein. Blos
die Doppel-Sünde -- wenn nämlich jemand auf der Strasse auf beiden
Seiten sündigt -- ich weis die Sache nicht recht delikat auszudrücken --
kurz wenn ein Mensch dabei nicht steht -- das wäre seine Gesezes-35
Meinung, erklärt er jezt das Gesez. Und es kan also sein, daß ich den
Koburgern wenigstens auf der Seite durch die meinige, mehr Pres-

Adelbert war ſehr gefaſſet — wie er denn auch faſſend iſt — und legte
auf ſeine Bienen-Wunde den ökonomiſchen Miſt. Als ich ſagte, daß
blos die 2 weiblichen Seelen gewis am tiefſten gebogen wären: ſo
fiel er mir bei und erklärte ſich den mehr ſtoiſchen Stand der mänlichen
daraus, daß dieſe weniger an den Vater gewöhnt geweſen. — Noch5
einmal geh’ ich nach Meiningen und Weimar; dan nie mehr, nie. Der
bloſſe Rinaldo, oder der D[oktor] iſt mir jezt lieber, — ja ſchon des
Groſſen Stube — als der Geſamt-Parnas da. Auch meine Geſund-
heit muſte ein wenig mittrauern. Was Er als Geiſt mir war, das war
Er vielleicht niemand ſo; und ein hübſches Stük meines Innern und10
Lebens wurd’ ihm mit in den Sarg gegeben, und ich kan einmal mein
Parzial-Grab beſuchen. Himmel! wie ſchön wäre das Leben, wenn die
Natur die Menſchen nach Schlägen fälte, allemal nur einen Pak
Freunde! In der Ehe iſt es ein bitterer Gedanke, die Gewisheit, den
höchſten Schmerz einmal entweder zu geben oder zu empfangen. —15

Wangenheim hat ſeinen einzigen Sohn verloren und ſeinen halben
Vaterhimmel.


Es iſt meine Pflicht, Sie nicht lange in vergeblicher Mühe oder
Sorge zu laſſen, ſondern Sie zu benachrichtigen, daß ich erſtlich nicht20
recht einen Einſpänner kriegen konte und zweitens wahrſcheinlich noch
ſchwerer deſſen Her-Fracht und drittens auch keinen Schubkärner von
mehr als 1 Eimer. Ich warte daher — eh’ ich leztern mit einem
Ziehſchlitlein ſende — bis einiger Schnee zu lezterem da iſt, um ſo
mehr, da das Kretschm[ansche] Bier in Rükſicht der Stärke treflich25
iſt, die mir freilich nie den Geſchmak erſezt. Doch bleibt Ihnen un-
verwehrt, mir ſo viele Keller zuzuſchicken als Sie zufällig Fuhr-Räder
[302]dazu finden, oder ſo viele aufzuheben als Sie ſchon angeſchaft. Ver-
geben Sie mir die Noth, in die ich Sie etwa ſolte geſezt haben durch
meine. Adio, Lieber!30

N. S. Wie die Miniſterin meiner Frau ſagte, ſol der Miniſter
über meinen Waſſer-Fal ſehr erſtaunt und in ſich gegangen ſein. Blos
die Doppel-Sünde — wenn nämlich jemand auf der Straſſe auf beiden
Seiten ſündigt — ich weis die Sache nicht recht delikat auszudrücken —
kurz wenn ein Menſch dabei nicht ſteht — das wäre ſeine Geſezes-35
Meinung, erklärt er jezt das Geſez. Und es kan alſo ſein, daß ich den
Koburgern wenigſtens auf der Seite durch die meinige, mehr Pres-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0282" n="270"/>
Adelbert war &#x017F;ehr gefa&#x017F;&#x017F;et &#x2014; wie er denn auch fa&#x017F;&#x017F;end i&#x017F;t &#x2014; und legte<lb/>
auf &#x017F;eine Bienen-Wunde den ökonomi&#x017F;chen Mi&#x017F;t. Als ich &#x017F;agte, daß<lb/>
blos die 2 weiblichen Seelen gewis am tief&#x017F;ten gebogen wären: &#x017F;o<lb/>
fiel er mir bei und erklärte &#x017F;ich den mehr &#x017F;toi&#x017F;chen Stand der mänlichen<lb/>
daraus, daß die&#x017F;e weniger an den Vater gewöhnt gewe&#x017F;en. &#x2014; Noch<lb n="5"/>
einmal geh&#x2019; ich nach <hi rendition="#aq">Meiningen</hi> und <hi rendition="#aq">Weimar;</hi> dan nie mehr, nie. Der<lb/>
blo&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">Rinaldo,</hi> oder der <hi rendition="#aq">D[oktor]</hi> i&#x017F;t mir jezt lieber, &#x2014; ja &#x017F;chon des<lb/>
Gro&#x017F;&#x017F;en Stube &#x2014; als der Ge&#x017F;amt-Parnas da. Auch meine Ge&#x017F;und-<lb/>
heit mu&#x017F;te ein wenig mittrauern. Was Er als Gei&#x017F;t mir war, das war<lb/>
Er vielleicht niemand &#x017F;o; und ein hüb&#x017F;ches Stük meines Innern und<lb n="10"/>
Lebens wurd&#x2019; ihm mit in den Sarg gegeben, und ich kan einmal mein<lb/>
Parzial-Grab be&#x017F;uchen. Himmel! wie &#x017F;chön wäre das Leben, wenn die<lb/>
Natur die Men&#x017F;chen nach <hi rendition="#g">Schlägen</hi> fälte, allemal nur einen Pak<lb/>
Freunde! In der Ehe i&#x017F;t es ein bitterer Gedanke, die Gewisheit, den<lb/>
höch&#x017F;ten Schmerz einmal entweder zu geben oder zu empfangen. &#x2014;<lb n="15"/>
</p>
        <p><hi rendition="#aq">Wangenheim</hi> hat &#x017F;einen einzigen Sohn verloren und &#x017F;einen halben<lb/>
Vaterhimmel.</p><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Coburg</hi> d. 21. Jenn.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t meine Pflicht, Sie nicht lange in vergeblicher Mühe oder<lb/>
Sorge zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern Sie zu benachrichtigen, daß ich er&#x017F;tlich nicht<lb n="20"/>
recht einen Ein&#x017F;pänner kriegen konte und zweitens wahr&#x017F;cheinlich noch<lb/>
&#x017F;chwerer de&#x017F;&#x017F;en Her-Fracht und drittens auch keinen Schubkärner von<lb/>
mehr als 1 Eimer. Ich warte daher &#x2014; eh&#x2019; ich leztern mit einem<lb/>
Zieh&#x017F;chlitlein &#x017F;ende &#x2014; bis einiger Schnee zu lezterem da i&#x017F;t, um &#x017F;o<lb/>
mehr, da das <hi rendition="#aq">Kretschm[ansche]</hi> Bier in Rük&#x017F;icht der Stärke treflich<lb n="25"/>
i&#x017F;t, die mir freilich nie den Ge&#x017F;chmak er&#x017F;ezt. Doch bleibt Ihnen un-<lb/>
verwehrt, mir &#x017F;o viele Keller zuzu&#x017F;chicken als Sie zufällig Fuhr-Räder<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd4_302">[302]</ref></note>dazu finden, oder &#x017F;o viele aufzuheben als Sie &#x017F;chon ange&#x017F;chaft. Ver-<lb/>
geben Sie mir die Noth, in die ich Sie etwa &#x017F;olte ge&#x017F;ezt haben durch<lb/>
meine. Adio, Lieber!<lb n="30"/>
</p>
          <p>N. S. Wie die Mini&#x017F;terin meiner Frau &#x017F;agte, &#x017F;ol der Mini&#x017F;ter<lb/>
über meinen Wa&#x017F;&#x017F;er-Fal &#x017F;ehr er&#x017F;taunt und in &#x017F;ich gegangen &#x017F;ein. Blos<lb/>
die Doppel-Sünde &#x2014; wenn nämlich jemand auf der Stra&#x017F;&#x017F;e auf beiden<lb/>
Seiten &#x017F;ündigt &#x2014; ich weis die Sache nicht recht delikat auszudrücken &#x2014;<lb/>
kurz wenn ein Men&#x017F;ch dabei nicht &#x017F;teht &#x2014; das wäre &#x017F;eine Ge&#x017F;ezes-<lb n="35"/>
Meinung, erklärt er jezt das Ge&#x017F;ez. Und es kan al&#x017F;o &#x017F;ein, daß ich den<lb/>
Koburgern wenig&#x017F;tens auf <hi rendition="#g">der</hi> Seite durch die <hi rendition="#g">meinige,</hi> mehr <hi rendition="#g">Pres-</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0282] Adelbert war ſehr gefaſſet — wie er denn auch faſſend iſt — und legte auf ſeine Bienen-Wunde den ökonomiſchen Miſt. Als ich ſagte, daß blos die 2 weiblichen Seelen gewis am tiefſten gebogen wären: ſo fiel er mir bei und erklärte ſich den mehr ſtoiſchen Stand der mänlichen daraus, daß dieſe weniger an den Vater gewöhnt geweſen. — Noch 5 einmal geh’ ich nach Meiningen und Weimar; dan nie mehr, nie. Der bloſſe Rinaldo, oder der D[oktor] iſt mir jezt lieber, — ja ſchon des Groſſen Stube — als der Geſamt-Parnas da. Auch meine Geſund- heit muſte ein wenig mittrauern. Was Er als Geiſt mir war, das war Er vielleicht niemand ſo; und ein hübſches Stük meines Innern und 10 Lebens wurd’ ihm mit in den Sarg gegeben, und ich kan einmal mein Parzial-Grab beſuchen. Himmel! wie ſchön wäre das Leben, wenn die Natur die Menſchen nach Schlägen fälte, allemal nur einen Pak Freunde! In der Ehe iſt es ein bitterer Gedanke, die Gewisheit, den höchſten Schmerz einmal entweder zu geben oder zu empfangen. — 15 Wangenheim hat ſeinen einzigen Sohn verloren und ſeinen halben Vaterhimmel. Coburg d. 21. Jenn. Es iſt meine Pflicht, Sie nicht lange in vergeblicher Mühe oder Sorge zu laſſen, ſondern Sie zu benachrichtigen, daß ich erſtlich nicht 20 recht einen Einſpänner kriegen konte und zweitens wahrſcheinlich noch ſchwerer deſſen Her-Fracht und drittens auch keinen Schubkärner von mehr als 1 Eimer. Ich warte daher — eh’ ich leztern mit einem Ziehſchlitlein ſende — bis einiger Schnee zu lezterem da iſt, um ſo mehr, da das Kretschm[ansche] Bier in Rükſicht der Stärke treflich 25 iſt, die mir freilich nie den Geſchmak erſezt. Doch bleibt Ihnen un- verwehrt, mir ſo viele Keller zuzuſchicken als Sie zufällig Fuhr-Räder dazu finden, oder ſo viele aufzuheben als Sie ſchon angeſchaft. Ver- geben Sie mir die Noth, in die ich Sie etwa ſolte geſezt haben durch meine. Adio, Lieber! 30 [302]N. S. Wie die Miniſterin meiner Frau ſagte, ſol der Miniſter über meinen Waſſer-Fal ſehr erſtaunt und in ſich gegangen ſein. Blos die Doppel-Sünde — wenn nämlich jemand auf der Straſſe auf beiden Seiten ſündigt — ich weis die Sache nicht recht delikat auszudrücken — kurz wenn ein Menſch dabei nicht ſteht — das wäre ſeine Geſezes- 35 Meinung, erklärt er jezt das Geſez. Und es kan alſo ſein, daß ich den Koburgern wenigſtens auf der Seite durch die meinige, mehr Pres-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/282
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/282>, abgerufen am 25.11.2024.