Nächte sind wohlthätiger als fremde Tage; aber möge die Vorsicht Ihnen jene schöner geben und das feurige Auge zugleich schliessen und heilen. Die Freude meiner Karoline, die bis zur Rührung gieng, wäre Ihnen der schönste Dank gewesen, da Sie der meinige, den Sie schon zu oft erlebten, nicht überraschet hätte. Guter Gleim! Ihr edles5 heisses Herz tröste sich, daß es in den gemeinen Stunden des Lebens so geschlagen wie sonst leider das menschliche nur in den lezten; und so sehr auch der sinkende Körper Ihnen das Aussen verhülle, so denke[169] der bedekte unsterbliche Geist daran, daß er in sich das ewige Licht, die Gottheit, nämlich die Liebe zu ihr, trage. --10
(*) 279. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Meiningen, 4. Juni 1802]
Sie haben Ihre Wurzeln in 2 Herzen, Sie werden unter meinem Dache 2mal verstanden und geliebt [-- und Sie wissen nicht wie so sehr. Wir müssen beisammen bleiben, auch weis ich nicht, was bei15 solchen äussern Lagen und bei solcher gegenseitigen inneren Erkennung noch Trennung erlauben könte]. Mein poetischer Krater giebt immer vollere Flammen. Die Seele liebt rükwärts (vorige Menschen), da sie es nicht mehr vorwärts thut. Der adeliche und adelnde Herder.
280. An Emanuel.20
M[einingen] d. 4. Jun. 1802.
Eben hab' ich Ihren Papier- und Ollapotridas Kasten -- d. h. 301 Hofnungen -- ausgepakt. Dank, Alter, Rechter! Der nur 1 Fehler hat, den ich Ihm einmal sage; indes vor mir niemand lange -- ich gar nicht -- aushält, ohne erbärmlich zu zergehen in viele Schlacken.25 Z. B. Unser geliebter Thieriot thut mir wehe und schmilzt vor mir durch eine gränzenlose Eitelkeit, die ich ihm einmal nebst andern Fehlern des Fragmentarischen, der Wissenskälte u. s. w. vorhalten wil. Sie haben die seltenere Kraft, keine Tugend, aber nicht die ge- meinere, keinen Fehler zu übersehen. --30
Auch in der Musik verdirbt ihn das Lob, und nur das tonreiche Paris heilt ihn vielleicht -- Höheres giebt es nichts, Emanuel, als Freude zu geben, ohne ihren Wiederschein zu geniessen -- Sie thun Ihre gute That gegen O[tto] doppelt, wenn Sie allein darüber froh zu sein vermögen. Ich kan Ihnen nicht sagen, wie mich Ihre wehmüthig-35
Nächte ſind wohlthätiger als fremde Tage; aber möge die Vorſicht Ihnen jene ſchöner geben und das feurige Auge zugleich ſchlieſſen und heilen. Die Freude meiner Karoline, die bis zur Rührung gieng, wäre Ihnen der ſchönſte Dank geweſen, da Sie der meinige, den Sie ſchon zu oft erlebten, nicht überraſchet hätte. Guter Gleim! Ihr edles5 heiſſes Herz tröſte ſich, daß es in den gemeinen Stunden des Lebens ſo geſchlagen wie ſonſt leider das menſchliche nur in den lezten; und ſo ſehr auch der ſinkende Körper Ihnen das Auſſen verhülle, ſo denke[169] der bedekte unſterbliche Geiſt daran, daß er in ſich das ewige Licht, die Gottheit, nämlich die Liebe zu ihr, trage. —10
(*) 279. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Meiningen, 4. Juni 1802]
Sie haben Ihre Wurzeln in 2 Herzen, Sie werden unter meinem Dache 2mal verſtanden und geliebt [— und Sie wiſſen nicht wie ſo ſehr. Wir müſſen beiſammen bleiben, auch weis ich nicht, was bei15 ſolchen äuſſern Lagen und bei ſolcher gegenſeitigen inneren Erkennung noch Trennung erlauben könte]. Mein poetiſcher Krater giebt immer vollere Flammen. Die Seele liebt rükwärts (vorige Menſchen), da ſie es nicht mehr vorwärts thut. Der adeliche und adelnde Herder.
280. An Emanuel.20
M[einingen] d. 4. Jun. 1802.
Eben hab’ ich Ihren Papier- und Ollapotridas Kaſten — d. h. 301 Hofnungen — ausgepakt. Dank, Alter, Rechter! Der nur 1 Fehler hat, den ich Ihm einmal ſage; indes vor mir niemand lange — ich gar nicht — aushält, ohne erbärmlich zu zergehen in viele Schlacken.25 Z. B. Unſer geliebter Thieriot thut mir wehe und ſchmilzt vor mir durch eine gränzenloſe Eitelkeit, die ich ihm einmal nebſt andern Fehlern des Fragmentariſchen, der Wiſſenskälte u. ſ. w. vorhalten wil. Sie haben die ſeltenere Kraft, keine Tugend, aber nicht die ge- meinere, keinen Fehler zu überſehen. —30
Auch in der Muſik verdirbt ihn das Lob, und nur das tonreiche Paris heilt ihn vielleicht — Höheres giebt es nichts, Emanuel, als Freude zu geben, ohne ihren Wiederſchein zu genieſſen — Sie thun Ihre gute That gegen O[tto] doppelt, wenn Sie allein darüber froh zu ſein vermögen. Ich kan Ihnen nicht ſagen, wie mich Ihre wehmüthig-35
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Nächte ſind wohlthätiger als fremde Tage; aber möge die Vorſicht
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Ihnen der ſchönſte Dank geweſen, da Sie der meinige, den Sie ſchon
zu oft erlebten, nicht überraſchet hätte. Guter Gleim! Ihr edles 5
heiſſes Herz tröſte ſich, daß es in den gemeinen Stunden des Lebens
ſo geſchlagen wie ſonſt leider das menſchliche nur in den lezten; und ſo
ſehr auch der ſinkende Körper Ihnen das Auſſen verhülle, ſo denke
der bedekte unſterbliche Geiſt daran, daß er in ſich das ewige Licht, die
Gottheit, nämlich die Liebe zu ihr, trage. — 10
[169](*) 279. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Meiningen, 4. Juni 1802]
Sie haben Ihre Wurzeln in 2 Herzen, Sie werden unter meinem
Dache 2mal verſtanden und geliebt [— und Sie wiſſen nicht wie ſo
ſehr. Wir müſſen beiſammen bleiben, auch weis ich nicht, was bei 15
ſolchen äuſſern Lagen und bei ſolcher gegenſeitigen inneren Erkennung
noch Trennung erlauben könte]. Mein poetiſcher Krater giebt immer
vollere Flammen. Die Seele liebt rükwärts (vorige Menſchen), da
ſie es nicht mehr vorwärts thut. Der adeliche und adelnde Herder.
280. An Emanuel. 20
M[einingen] d. 4. Jun. 1802.
Eben hab’ ich Ihren Papier- und Ollapotridas Kaſten — d. h.
301 Hofnungen — ausgepakt. Dank, Alter, Rechter! Der nur 1 Fehler
hat, den ich Ihm einmal ſage; indes vor mir niemand lange — ich
gar nicht — aushält, ohne erbärmlich zu zergehen in viele Schlacken. 25
Z. B. Unſer geliebter Thieriot thut mir wehe und ſchmilzt vor mir
durch eine gränzenloſe Eitelkeit, die ich ihm einmal nebſt andern
Fehlern des Fragmentariſchen, der Wiſſenskälte u. ſ. w. vorhalten
wil. Sie haben die ſeltenere Kraft, keine Tugend, aber nicht die ge-
meinere, keinen Fehler zu überſehen. — 30
Auch in der Muſik verdirbt ihn das Lob, und nur das tonreiche
Paris heilt ihn vielleicht — Höheres giebt es nichts, Emanuel, als
Freude zu geben, ohne ihren Wiederſchein zu genieſſen — Sie thun
Ihre gute That gegen O[tto] doppelt, wenn Sie allein darüber froh
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/158>, abgerufen am 16.02.2025.
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