Natur ist, unser Gefühl für sie gegeben und verewigt. Über alles rein und hoch und schön ist der Todtengesang, der sich selber in Sphären- musik sezt. Auch meine Frau wurde innig von dieser Wahr- und Schönheit bewegt.
d. 2. Nov.5
Gestern fand ich bei dem Herzog in der Zeitung die Standes- erhöhung des über den Stand Erhabnen, der den bösen römischen Kaisern gleicht, die keine Götter achteten und zulezt Götter wurden. Aber ich errieth den kameralistischen Anlas, den Sie mir -- heute durch Knebel schrieben. Meinen Glükwunsch dem Churfürsten und10 mein Zähnknirschen der juristischen Harpye, die Ihren Tisch besudeln wil! -- Goerz und der Churfürst mögen Sie von dem überzeugen, was ich Sie so oft versicherte, daß nämlich ganz Deutschland ein wenig anders urtheile und handle als zuweilen Ihre unnachbarliche[128] Nachbarschaft. Und Ihr Mutterherz nehme daran wahr, daß es15 ausser dem Vaterherzen in der obern Stube noch ein zweites in der obersten Stube -- jenseits der Höhe -- gebe, worauf man bauen kan. --
Von meinem Ehe-Empyräum und Glanz schweig' ich ausgenom- men gegen meine Frau; wir kennen nur 1 Eden-Augenblik, das ist20 der unsers Findens und Habens und dieser ist noch nicht aus. Un- gebeten geh' ich jezt schwer vom Lesetisch weg. Die Ehe lehrt Einsam- keit. Ich verlange nichts als Bücher, Berge und Bier; das hab' ich; doch sehn' ich mich -- und dadurch könt' Ihr Wunsch wahr werden*) -- zuweilen nach einem andern und höhern Geist als den gedrukten. --25 Wenn ich jemand zum Essen bei mir bitte -- was unendlich selten geschieht -- so bitt' ich mich auch mit, und erstaune dan über die Ordnung am Tisch und glaube, auswärts zu speisen. -- Was macht Büri und die Berlepsch? -- Dem D. Maier (der so malt wie der Prof. Maier) meinen Grus und Fluch, daß er mir die in seinen30 Büchern bestehende Bezahlung meines Titans noch nicht geschikt. Darf ich Sie um das ernste Mahnen dieses bösen Schuldners bitten? -- Jakobi ist in Aachen und (im Winter) in Paris. -- Friede sei und bleibe jezt mit dem Frieden! -- Ich schreibe und lese hier viel und bin
*) zumal da ich neulich ausgerechnet, daß ich anstat an einen Ort hinzureisen35 und dan wieder zurük, mit derselben Summe 2 Wagen -- mehr brauch' ich nicht -- bezahlen kan und nur bleiben darf.
8 Jean Paul Briefe. IV.
Natur iſt, unſer Gefühl für ſie gegeben und verewigt. Über alles rein und hoch und ſchön iſt der Todtengeſang, der ſich ſelber in Sphären- muſik ſezt. Auch meine Frau wurde innig von dieſer Wahr- und Schönheit bewegt.
d. 2. Nov.5
Geſtern fand ich bei dem Herzog in der Zeitung die Standes- erhöhung des über den Stand Erhabnen, der den böſen römiſchen Kaiſern gleicht, die keine Götter achteten und zulezt Götter wurden. Aber ich errieth den kameraliſtiſchen Anlas, den Sie mir — heute durch Knebel ſchrieben. Meinen Glükwunſch dem Churfürſten und10 mein Zähnknirſchen der juriſtiſchen Harpye, die Ihren Tiſch beſudeln wil! — Goerz und der Churfürſt mögen Sie von dem überzeugen, was ich Sie ſo oft verſicherte, daß nämlich ganz Deutſchland ein wenig anders urtheile und handle als zuweilen Ihre unnachbarliche[128] Nachbarſchaft. Und Ihr Mutterherz nehme daran wahr, daß es15 auſſer dem Vaterherzen in der obern Stube noch ein zweites in der oberſten Stube — jenſeits der Höhe — gebe, worauf man bauen kan. —
Von meinem Ehe-Empyräum und Glanz ſchweig’ ich ausgenom- men gegen meine Frau; wir kennen nur 1 Eden-Augenblik, das iſt20 der unſers Findens und Habens und dieſer iſt noch nicht aus. Un- gebeten geh’ ich jezt ſchwer vom Leſetiſch weg. Die Ehe lehrt Einſam- keit. Ich verlange nichts als Bücher, Berge und Bier; das hab’ ich; doch ſehn’ ich mich — und dadurch könt’ Ihr Wunſch wahr werden*) — zuweilen nach einem andern und höhern Geiſt als den gedrukten. —25 Wenn ich jemand zum Eſſen bei mir bitte — was unendlich ſelten geſchieht — ſo bitt’ ich mich auch mit, und erſtaune dan über die Ordnung am Tiſch und glaube, auswärts zu ſpeiſen. — Was macht Büri und die Berlepsch? — Dem D. Maier (der ſo malt wie der Prof. Maier) meinen Grus und Fluch, daß er mir die in ſeinen30 Büchern beſtehende Bezahlung meines Titans noch nicht geſchikt. Darf ich Sie um das ernſte Mahnen dieſes böſen Schuldners bitten? — Jakobi iſt in Aachen und (im Winter) in Paris. — Friede ſei und bleibe jezt mit dem Frieden! — Ich ſchreibe und leſe hier viel und bin
*) zumal da ich neulich ausgerechnet, daß ich anſtat an einen Ort hinzureiſen35 und dan wieder zurük, mit derſelben Summe 2 Wagen — mehr brauch’ ich nicht — bezahlen kan und nur bleiben darf.
8 Jean Paul Briefe. IV.
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Natur iſt, unſer Gefühl für ſie gegeben und verewigt. Über alles rein
und hoch und ſchön iſt der Todtengeſang, der ſich ſelber in Sphären-
muſik ſezt. Auch meine Frau wurde innig von dieſer Wahr- und
Schönheit bewegt.
d. 2. Nov. 5
Geſtern fand ich bei dem Herzog in der Zeitung die Standes-
erhöhung des über den Stand Erhabnen, der den böſen römiſchen
Kaiſern gleicht, die keine Götter achteten und zulezt Götter wurden.
Aber ich errieth den kameraliſtiſchen Anlas, den Sie mir — heute
durch Knebel ſchrieben. Meinen Glükwunſch dem Churfürſten und 10
mein Zähnknirſchen der juriſtiſchen Harpye, die Ihren Tiſch beſudeln
wil! — Goerz und der Churfürſt mögen Sie von dem überzeugen,
was ich Sie ſo oft verſicherte, daß nämlich ganz Deutſchland ein
wenig anders urtheile und handle als zuweilen Ihre unnachbarliche
Nachbarſchaft. Und Ihr Mutterherz nehme daran wahr, daß es 15
auſſer dem Vaterherzen in der obern Stube noch ein zweites in der
oberſten Stube — jenſeits der Höhe — gebe, worauf man bauen
kan. —
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Von meinem Ehe-Empyräum und Glanz ſchweig’ ich ausgenom-
men gegen meine Frau; wir kennen nur 1 Eden-Augenblik, das iſt 20
der unſers Findens und Habens und dieſer iſt noch nicht aus. Un-
gebeten geh’ ich jezt ſchwer vom Leſetiſch weg. Die Ehe lehrt Einſam-
keit. Ich verlange nichts als Bücher, Berge und Bier; das hab’ ich;
doch ſehn’ ich mich — und dadurch könt’ Ihr Wunſch wahr werden *)
— zuweilen nach einem andern und höhern Geiſt als den gedrukten. — 25
Wenn ich jemand zum Eſſen bei mir bitte — was unendlich ſelten
geſchieht — ſo bitt’ ich mich auch mit, und erſtaune dan über die
Ordnung am Tiſch und glaube, auswärts zu ſpeiſen. — Was macht
Büri und die Berlepsch? — Dem D. Maier (der ſo malt wie der
Prof. Maier) meinen Grus und Fluch, daß er mir die in ſeinen 30
Büchern beſtehende Bezahlung meines Titans noch nicht geſchikt.
Darf ich Sie um das ernſte Mahnen dieſes böſen Schuldners bitten?
— Jakobi iſt in Aachen und (im Winter) in Paris. — Friede ſei und
bleibe jezt mit dem Frieden! — Ich ſchreibe und leſe hier viel und bin
*) zumal da ich neulich ausgerechnet, daß ich anſtat an einen Ort hinzureiſen 35
und dan wieder zurük, mit derſelben Summe 2 Wagen — mehr brauch’ ich nicht —
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8 Jean Paul Briefe. IV.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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