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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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auch um mich laufen und mich fassen: so lassen mir doch alle das Herz,
worin das Bild meiner guten ewig verwandten Renate unentfärbet
steht! -- Ich weis nicht, ob Sie viel oder nichts von meinen vielfachen
Verstrickungen und Entwickelungen erfahren: doch kan ich sie eher
2 mal erzählen als 2 mal schreiben. -- Schreiben Sie unserem Bruder5
Emanuel, daß der Bruder so oft an ihn denke als die Schwester, und
daß ausser mir niemand sich durstiger nach seiner Erscheinung sehne als
Oertel.

Grüssen Sie mir auch Ihre freundlichen Eltern, denen ich so helle,
frohe. Stunden danke und Ihre Gegenwart.10

Ach Renate, wenn ich mir Sie jezt länger dächte -- Ihr Stillesein --
Ihre Erinnerungen -- Ihren mütterlichen Fleis -- und die Augen, die
nicht immer trocken bleiben: so würd' es mich zu tief bewegen, und die
Stunde, wo wir uns wieder an die Herzen fallen, würde mir zu langsam
kommen. Ach ich werde desto weicher, je glüklicher ich hier werde!15
Wenn ich komme, Renate, werd' ich dir nie wehe thun als dan, wenn
ich -- gehe.

Ach die Nebel des Lebens fallen als Thränentropfen -- aber dan
geht eine Sonne auf, die schimmernde Thautropfen daraus macht!

Lebe ruhig, ruhig, meine immer Geliebte!20

Richter

Neulich in der Oper der beiden Antone sah ich Ihre ganze Bay-
reuther Vergangenheit rührend vorübergehen.

50. An Karoline Herold.
[Kopie]25

Eine erzählte Geschichte ist fast für mich eine erlebte. -- Das einsame
Wiedersehen ist das schönste. -- Ich sah schon früher in ihren beiden
Seelen die Saiten, die so harmonisch zusammentönen. -- Das deutsche
[44]oder Regenspurg[ische] Reich fliege gegen sein Schleichen. Dieses Tuch
erinnere Sie, daß ich mich erinnere. Wir können die idealische Welt30
niemand geben und müssen sie von niemand fodern: diese Blüten
sollen in uns wachsen, wir sollen unsere Tage damit behängen und
puzen, aber geniessen und essen mus man keine Blüten. Mit Wohl-
wollen, das keine lodernde Flamme sondern eine bleibende Gluth ist,
wünsch' ich ein stilles ruhiges Jahr, das ohne Wasserkünste und Kata-35

auch um mich laufen und mich faſſen: ſo laſſen mir doch alle das Herz,
worin das Bild meiner guten ewig verwandten Renate unentfärbet
ſteht! — Ich weis nicht, ob Sie viel oder nichts von meinen vielfachen
Verſtrickungen und Entwickelungen erfahren: doch kan ich ſie eher
2 mal erzählen als 2 mal ſchreiben. — Schreiben Sie unſerem Bruder5
Emanuel, daß der Bruder ſo oft an ihn denke als die Schweſter, und
daß auſſer mir niemand ſich durſtiger nach ſeiner Erſcheinung ſehne als
Oertel.

Grüſſen Sie mir auch Ihre freundlichen Eltern, denen ich ſo helle,
frohe. Stunden danke und Ihre Gegenwart.10

Ach Renate, wenn ich mir Sie jezt länger dächte — Ihr Stilleſein —
Ihre Erinnerungen — Ihren mütterlichen Fleis — und die Augen, die
nicht immer trocken bleiben: ſo würd’ es mich zu tief bewegen, und die
Stunde, wo wir uns wieder an die Herzen fallen, würde mir zu langſam
kommen. Ach ich werde deſto weicher, je glüklicher ich hier werde!15
Wenn ich komme, Renate, werd’ ich dir nie wehe thun als dan, wenn
ich — gehe.

Ach die Nebel des Lebens fallen als Thränentropfen — aber dan
geht eine Sonne auf, die ſchimmernde Thautropfen daraus macht!

Lebe ruhig, ruhig, meine immer Geliebte!20

Richter

Neulich in der Oper der beiden Antone ſah ich Ihre ganze Bay-
reuther Vergangenheit rührend vorübergehen.

50. An Karoline Herold.
[Kopie]25

Eine erzählte Geſchichte iſt faſt für mich eine erlebte. — Das einſame
Wiederſehen iſt das ſchönſte. — Ich ſah ſchon früher in ihren beiden
Seelen die Saiten, die ſo harmoniſch zuſammentönen. — Das deutſche
[44]oder Regenſpurg[iſche] Reich fliege gegen ſein Schleichen. Dieſes Tuch
erinnere Sie, daß ich mich erinnere. Wir können die idealiſche Welt30
niemand geben und müſſen ſie von niemand fodern: dieſe Blüten
ſollen in uns wachſen, wir ſollen unſere Tage damit behängen und
puzen, aber genieſſen und eſſen mus man keine Blüten. Mit Wohl-
wollen, das keine lodernde Flamme ſondern eine bleibende Gluth iſt,
wünſch’ ich ein ſtilles ruhiges Jahr, das ohne Waſſerkünſte und Kata-35

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[40/0047] auch um mich laufen und mich faſſen: ſo laſſen mir doch alle das Herz, worin das Bild meiner guten ewig verwandten Renate unentfärbet ſteht! — Ich weis nicht, ob Sie viel oder nichts von meinen vielfachen Verſtrickungen und Entwickelungen erfahren: doch kan ich ſie eher 2 mal erzählen als 2 mal ſchreiben. — Schreiben Sie unſerem Bruder 5 Emanuel, daß der Bruder ſo oft an ihn denke als die Schweſter, und daß auſſer mir niemand ſich durſtiger nach ſeiner Erſcheinung ſehne als Oertel. Grüſſen Sie mir auch Ihre freundlichen Eltern, denen ich ſo helle, frohe. Stunden danke und Ihre Gegenwart. 10 Ach Renate, wenn ich mir Sie jezt länger dächte — Ihr Stilleſein — Ihre Erinnerungen — Ihren mütterlichen Fleis — und die Augen, die nicht immer trocken bleiben: ſo würd’ es mich zu tief bewegen, und die Stunde, wo wir uns wieder an die Herzen fallen, würde mir zu langſam kommen. Ach ich werde deſto weicher, je glüklicher ich hier werde! 15 Wenn ich komme, Renate, werd’ ich dir nie wehe thun als dan, wenn ich — gehe. Ach die Nebel des Lebens fallen als Thränentropfen — aber dan geht eine Sonne auf, die ſchimmernde Thautropfen daraus macht! Lebe ruhig, ruhig, meine immer Geliebte! 20 Richter Neulich in der Oper der beiden Antone ſah ich Ihre ganze Bay- reuther Vergangenheit rührend vorübergehen. 50. An Karoline Herold. [Leipzig, 30. Jan. 1798] 25 Eine erzählte Geſchichte iſt faſt für mich eine erlebte. — Das einſame Wiederſehen iſt das ſchönſte. — Ich ſah ſchon früher in ihren beiden Seelen die Saiten, die ſo harmoniſch zuſammentönen. — Das deutſche oder Regenſpurg[iſche] Reich fliege gegen ſein Schleichen. Dieſes Tuch erinnere Sie, daß ich mich erinnere. Wir können die idealiſche Welt 30 niemand geben und müſſen ſie von niemand fodern: dieſe Blüten ſollen in uns wachſen, wir ſollen unſere Tage damit behängen und puzen, aber genieſſen und eſſen mus man keine Blüten. Mit Wohl- wollen, das keine lodernde Flamme ſondern eine bleibende Gluth iſt, wünſch’ ich ein ſtilles ruhiges Jahr, das ohne Waſſerkünſte und Kata- 35 [44]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/47>, abgerufen am 18.04.2024.