Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.Liebe. -- Und doch nehm' ich nichts von meiner alten Achtung für die Hier sol der nöthige Saz stehen: daß ich -- juristisch betrachtet, aber15 Ach wie meine Seele sonst so heilig war und so dum! Der Teufel *) wär' einmal das Gegentheil, würd' ich dirs so frei bekennen wie Rousseau35
der Welt, der 100 etc. mal gefehlt. Liebe. — Und doch nehm’ ich nichts von meiner alten Achtung für die Hier ſol der nöthige Saz ſtehen: daß ich — juriſtiſch betrachtet, aber15 Ach wie meine Seele ſonſt ſo heilig war und ſo dum! Der Teufel *) wär’ einmal das Gegentheil, würd’ ich dirs ſo frei bekennen wie Rouſſeau35
der Welt, der 100 ꝛc. mal gefehlt. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0354" n="334"/> Liebe. — Und doch nehm’ ich nichts von meiner alten Achtung für die<lb/> weibliche Reinheit zurük; keine (gute) glaubt, daß ſie fallen könne,<lb/> weil keine ſogar ihre körperliche unbändige Reizbarkeit d. h. Be-<lb/> trun[ken]heit kent; daher kommen ihre komiſchen Verwunderungen,<lb/> daß eine fiel und anders handelte als ſie ſprach; (da ſie doch dachte wie<lb n="5"/> ſie ſprach); ſie glauben, weil ſie die Verſuchung nicht wünſchen, ſie<lb/> darum auch beſiegen zu können, oder auch weil ſie ſich bei derſelben nie<lb/> den Geliebten ſondern einen Fremden denken oder weil ſie ſie ſich gleich<lb/> mit dem Höllenfeuer 〈Extrem〉 denken ohne den langen Höllenweg<lb/> 〈die Gradazion〉 dazu. Dieſe Kentnis, mus ich dir ſagen, macht einen<lb n="10"/> eigentlich nicht ſonderlich moraliſch ſtark bei dieſem Geſchlecht, weil<lb/> man dabei auf keine Subſidien zu rechnen hat als auf eigne. — Ich<lb/> habe entſcheidende Erfahrungen; und bin blos über die Art verlegen,<lb/> wie ich öffentlich die Mädgen hierüber warnen ſol.</p><lb/> <p>Hier ſol der nöthige Saz ſtehen: daß ich — juriſtiſch betrachtet, aber<lb n="15"/> gar nicht moraliſch — durch eigne Fügungen des Schikſals ſeit meiner<lb/> Abreiſe aus Schwarzenbach in die — Prima noch derſelbe juriſtiſche<lb/> Junggeſelle bin, faſt. <note place="foot" n="*)">wär’ einmal das Gegentheil, würd’ ich dirs ſo frei bekennen wie Rouſſeau<lb n="35"/> der Welt, der 100 ꝛc. mal gefehlt.</note></p><lb/> <p>Ach wie meine Seele ſonſt ſo heilig war und ſo dum! Der Teufel<lb/> hole das erſte zerrüttende Wort, das mir die Kalb ſagte und was fort-<lb n="20"/> brante! — Und doch kan ich Freundinnen früherer Zeit nur in jenem<lb/> magiſchen Lichte anſchauen, ſo ſehr, daß ich deiner Nachricht wegen der<lb/> Liebmännin — deren tadelhafte Antwort „es ſiehts niemand“ ſchon<lb/> eine tadelhafte Frage und alſo einen zweideutigen Referendar voraus-<lb/> ſezt — auf ihr Ankündigungsbillet, blos weil die Kohle meiner Liebe<lb n="25"/> für ſie ins Waſſer gefallen war, einen Anſtandsbrief zurükſchrieb und<lb/> mich mit der Berlin[er] Reiſe entſchuldigte. Den Tag <hi rendition="#g">darauf</hi> kamen<lb/> beide. Ich liebte die ſchöne Freundin recht herzlich wieder und wir waren<lb/> froh; — ſpäter gieng ſie zur <hi rendition="#aq">Schrœder;</hi> da verlangte er 200 rtl.<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd3_361">[361]</ref></note>geliehen — 80 gab ich ihm doch; aber er iſt ſo zerſtreuet und leer, daß<lb n="30"/> er in den Schein den gar nicht ſezte, ders ihm geliehen, ſondern nur<lb/> ſich. Aber ich kan und darf dem <hi rendition="#g">Glauben an die Menſchheit</hi> nichts<lb/> abſchlagen, daher ich heute für einen fremden hypochondriſchen Doktor<lb/> aus Schwaben bei einem Buchbinder bürgte, der ihm ein Miethpferd<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [334/0354]
Liebe. — Und doch nehm’ ich nichts von meiner alten Achtung für die
weibliche Reinheit zurük; keine (gute) glaubt, daß ſie fallen könne,
weil keine ſogar ihre körperliche unbändige Reizbarkeit d. h. Be-
trun[ken]heit kent; daher kommen ihre komiſchen Verwunderungen,
daß eine fiel und anders handelte als ſie ſprach; (da ſie doch dachte wie 5
ſie ſprach); ſie glauben, weil ſie die Verſuchung nicht wünſchen, ſie
darum auch beſiegen zu können, oder auch weil ſie ſich bei derſelben nie
den Geliebten ſondern einen Fremden denken oder weil ſie ſie ſich gleich
mit dem Höllenfeuer 〈Extrem〉 denken ohne den langen Höllenweg
〈die Gradazion〉 dazu. Dieſe Kentnis, mus ich dir ſagen, macht einen 10
eigentlich nicht ſonderlich moraliſch ſtark bei dieſem Geſchlecht, weil
man dabei auf keine Subſidien zu rechnen hat als auf eigne. — Ich
habe entſcheidende Erfahrungen; und bin blos über die Art verlegen,
wie ich öffentlich die Mädgen hierüber warnen ſol.
Hier ſol der nöthige Saz ſtehen: daß ich — juriſtiſch betrachtet, aber 15
gar nicht moraliſch — durch eigne Fügungen des Schikſals ſeit meiner
Abreiſe aus Schwarzenbach in die — Prima noch derſelbe juriſtiſche
Junggeſelle bin, faſt. *)
Ach wie meine Seele ſonſt ſo heilig war und ſo dum! Der Teufel
hole das erſte zerrüttende Wort, das mir die Kalb ſagte und was fort- 20
brante! — Und doch kan ich Freundinnen früherer Zeit nur in jenem
magiſchen Lichte anſchauen, ſo ſehr, daß ich deiner Nachricht wegen der
Liebmännin — deren tadelhafte Antwort „es ſiehts niemand“ ſchon
eine tadelhafte Frage und alſo einen zweideutigen Referendar voraus-
ſezt — auf ihr Ankündigungsbillet, blos weil die Kohle meiner Liebe 25
für ſie ins Waſſer gefallen war, einen Anſtandsbrief zurükſchrieb und
mich mit der Berlin[er] Reiſe entſchuldigte. Den Tag darauf kamen
beide. Ich liebte die ſchöne Freundin recht herzlich wieder und wir waren
froh; — ſpäter gieng ſie zur Schrœder; da verlangte er 200 rtl.
geliehen — 80 gab ich ihm doch; aber er iſt ſo zerſtreuet und leer, daß 30
er in den Schein den gar nicht ſezte, ders ihm geliehen, ſondern nur
ſich. Aber ich kan und darf dem Glauben an die Menſchheit nichts
abſchlagen, daher ich heute für einen fremden hypochondriſchen Doktor
aus Schwaben bei einem Buchbinder bürgte, der ihm ein Miethpferd
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*) wär’ einmal das Gegentheil, würd’ ich dirs ſo frei bekennen wie Rouſſeau 35
der Welt, der 100 ꝛc. mal gefehlt.
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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