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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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den linken Arm, um an diesen Ariadnens Faden das Gewebe an-
zustricken. Der erste Faden ist Menschen und Spinnen überal das
Schwerste.

Von Ihnen hab' ich aber nichts herzulegen; denn ich könte eben so
gut Zizeros oder Petrus Briefe beantworten als Ihre lezten, obgleich5
jene doch um etwas -- freilich nicht viel -- älter sind als diese. -- Aber
vom Wichtigsten zuerst! -- Ihr Bier ist schon seit so lange ausgetrun-
ken, daß ich wieder mit ihm zugleich (durch das englische) den Appetit
verloren habe. Leere Fässer kommen -- ungleich ähnlichen Menschen --
schwerer fort als volle; kein Fuhrman belastet sich mit jenen. Belasten10
Sie also mit diesen einen für mich. Alle meine mörderischen Nerven-[299]
übel -- die immer mit der sonnenhellen Kälte kommen und mein Leben
unterhöhlen -- entfliehen vor einem Getränk, das zugleich Ägypter und
ägyptische Priester erfanden, die beide durch Einbalsamieren Unsterb-
lichkeit austheilten.15

Otto hätt' Ihnen lieber (als die Lieder) die moralisch-volendeten
Briefe meiner C. mittheilen sollen; vor Ihnen hab' ich kein Geheimnis
und Sie können alles von ihm fodern, was nur mich betrift -- daß Sie
schweigen können, weis man sogar, wenn man Ihnen nicht schreibt,
geschweige wenn man --; mein Innerstes erklärt sie, in Rüksicht ihrer20
zarten und festen Moralität und ihres hellen Blickes, für die volste
Rose auf dem ganzen weiblichen Blumenbeet meiner Bekantschaft.
Aber Dornen, die nicht an ihr sondern wider sie stechen, umzäunen sie
jezt. Ein reicher Onkel, den die Familie erbt, und ein Bruder, der
Kammerjunker ist und dessen Physiognomie der meinigen nicht gut ist,25
machen nun einen feindseligen Bund gegen die schöne Seele, und ich
-- was das Härteste ist -- mus das edle Wesen vol alter Wunden nun
die neuen empfangen sehen und darf nicht beschirmen und nicht be-
streiten. -- Sagen Sie dieses dem Frager Otto und auch das, daß ich
alles empfangen habe wie er und ich es wünschten.30

Bayreuth -- dahin zieh' ich gewis einmal, obwohl nicht für immer.
Meine Seele wird von Jahr zu Jahr müder der Menschen, nämlich
ihrer Köpfe. Meiner steht auch darunter. Es ist ein ekelhaftes Einerlei
in dem menschlichen Talent, nicht Herzen -- überal entblösset sich
bald der Ankergrund -- nur Eine Unendlichkeit find' ich, die von35
Menschen-Kälte rettet, das ist die Moralität, die ihren verwandtern
Geist mit dem unendlichen auch dadurch beweiset, daß wir dieselbe

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den linken Arm, um an dieſen Ariadnens Faden das Gewebe an-
zuſtricken. Der erſte Faden iſt Menſchen und Spinnen überal das
Schwerſte.

Von Ihnen hab’ ich aber nichts herzulegen; denn ich könte eben ſo
gut Zizeros oder Petrus Briefe beantworten als Ihre lezten, obgleich5
jene doch um etwas — freilich nicht viel — älter ſind als dieſe. — Aber
vom Wichtigſten zuerſt! — Ihr Bier iſt ſchon ſeit ſo lange ausgetrun-
ken, daß ich wieder mit ihm zugleich (durch das engliſche) den Appetit
verloren habe. Leere Fäſſer kommen — ungleich ähnlichen Menſchen —
ſchwerer fort als volle; kein Fuhrman belaſtet ſich mit jenen. Belaſten10
Sie alſo mit dieſen einen für mich. Alle meine mörderiſchen Nerven-[299]
übel — die immer mit der ſonnenhellen Kälte kommen und mein Leben
unterhöhlen — entfliehen vor einem Getränk, das zugleich Ägypter und
ägyptiſche Prieſter erfanden, die beide durch Einbalſamieren Unſterb-
lichkeit austheilten.15

Otto hätt’ Ihnen lieber (als die Lieder) die moraliſch-volendeten
Briefe meiner C. mittheilen ſollen; vor Ihnen hab’ ich kein Geheimnis
und Sie können alles von ihm fodern, was nur mich betrift — daß Sie
ſchweigen können, weis man ſogar, wenn man Ihnen nicht ſchreibt,
geſchweige wenn man —; mein Innerſtes erklärt ſie, in Rükſicht ihrer20
zarten und feſten Moralität und ihres hellen Blickes, für die volſte
Roſe auf dem ganzen weiblichen Blumenbeet meiner Bekantſchaft.
Aber Dornen, die nicht an ihr ſondern wider ſie ſtechen, umzäunen ſie
jezt. Ein reicher Onkel, den die Familie erbt, und ein Bruder, der
Kammerjunker iſt und deſſen Phyſiognomie der meinigen nicht gut iſt,25
machen nun einen feindſeligen Bund gegen die ſchöne Seele, und ich
— was das Härteſte iſt — mus das edle Weſen vol alter Wunden nun
die neuen empfangen ſehen und darf nicht beſchirmen und nicht be-
ſtreiten. — Sagen Sie dieſes dem Frager Otto und auch das, daß ich
alles empfangen habe wie er und ich es wünſchten.30

Bayreuth — dahin zieh’ ich gewis einmal, obwohl nicht für immer.
Meine Seele wird von Jahr zu Jahr müder der Menſchen, nämlich
ihrer Köpfe. Meiner ſteht auch darunter. Es iſt ein ekelhaftes Einerlei
in dem menſchlichen Talent, nicht Herzen — überal entblöſſet ſich
bald der Ankergrund — nur Eine Unendlichkeit find’ ich, die von35
Menſchen-Kälte rettet, das iſt die Moralität, die ihren verwandtern
Geiſt mit dem unendlichen auch dadurch beweiſet, daß wir dieſelbe

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[275/0291] den linken Arm, um an dieſen Ariadnens Faden das Gewebe an- zuſtricken. Der erſte Faden iſt Menſchen und Spinnen überal das Schwerſte. Von Ihnen hab’ ich aber nichts herzulegen; denn ich könte eben ſo gut Zizeros oder Petrus Briefe beantworten als Ihre lezten, obgleich 5 jene doch um etwas — freilich nicht viel — älter ſind als dieſe. — Aber vom Wichtigſten zuerſt! — Ihr Bier iſt ſchon ſeit ſo lange ausgetrun- ken, daß ich wieder mit ihm zugleich (durch das engliſche) den Appetit verloren habe. Leere Fäſſer kommen — ungleich ähnlichen Menſchen — ſchwerer fort als volle; kein Fuhrman belaſtet ſich mit jenen. Belaſten 10 Sie alſo mit dieſen einen für mich. Alle meine mörderiſchen Nerven- übel — die immer mit der ſonnenhellen Kälte kommen und mein Leben unterhöhlen — entfliehen vor einem Getränk, das zugleich Ägypter und ägyptiſche Prieſter erfanden, die beide durch Einbalſamieren Unſterb- lichkeit austheilten. 15 [299] Otto hätt’ Ihnen lieber (als die Lieder) die moraliſch-volendeten Briefe meiner C. mittheilen ſollen; vor Ihnen hab’ ich kein Geheimnis und Sie können alles von ihm fodern, was nur mich betrift — daß Sie ſchweigen können, weis man ſogar, wenn man Ihnen nicht ſchreibt, geſchweige wenn man —; mein Innerſtes erklärt ſie, in Rükſicht ihrer 20 zarten und feſten Moralität und ihres hellen Blickes, für die volſte Roſe auf dem ganzen weiblichen Blumenbeet meiner Bekantſchaft. Aber Dornen, die nicht an ihr ſondern wider ſie ſtechen, umzäunen ſie jezt. Ein reicher Onkel, den die Familie erbt, und ein Bruder, der Kammerjunker iſt und deſſen Phyſiognomie der meinigen nicht gut iſt, 25 machen nun einen feindſeligen Bund gegen die ſchöne Seele, und ich — was das Härteſte iſt — mus das edle Weſen vol alter Wunden nun die neuen empfangen ſehen und darf nicht beſchirmen und nicht be- ſtreiten. — Sagen Sie dieſes dem Frager Otto und auch das, daß ich alles empfangen habe wie er und ich es wünſchten. 30 Bayreuth — dahin zieh’ ich gewis einmal, obwohl nicht für immer. Meine Seele wird von Jahr zu Jahr müder der Menſchen, nämlich ihrer Köpfe. Meiner ſteht auch darunter. Es iſt ein ekelhaftes Einerlei in dem menſchlichen Talent, nicht Herzen — überal entblöſſet ſich bald der Ankergrund — nur Eine Unendlichkeit find’ ich, die von 35 Menſchen-Kälte rettet, das iſt die Moralität, die ihren verwandtern Geiſt mit dem unendlichen auch dadurch beweiſet, daß wir dieſelbe 18*

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/291>, abgerufen am 22.11.2024.