Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

P. S. zum P. S. Nur noch einen Nachruf, Theuerer! Schicke den
Clavis, für den Herder sehr ist, recht bald in die schon für ihn auf-
gethane Presse. -- Dein Brief an Fichte gefält allen kräftigen Köpfen
in den beiden feindlichen Lagern. Aber deine Vergleichung Nicolai's5
und Schlegels ist zu hart für dieses Kopf und jenes Herz. Fichte
antwortet dir öffentlich; und ich wolte schwören, er bringt sein altes
Wünschhütlein wieder in seinem Kopf, nämlich die Frage -- womit
er die Realität des Nicht-Ichs zersezt --, wo denn anders jenes Wahre
und das Streben darnach sei als wieder im Fragenden, weil der sonst10
keiner sein könte? (So, gegen deinen Abscheu vor dem Philosophen,
der neben dem anbetenden Wilden sich anbetet, wird er mit seinen un-
und endlichen Ichs aufziehen etc.)

Was mich an seinem Entschlus zur Antwort freuet, ist daß er dich da-
durch recht verwickelt ins Schreibwesen, um was ich Gott herzlich bitte.15

Weiter wil ich dir nichts sagen in diesem Jahre, mein unendlich
Geliebter. In der Stunde des lezten Tages desselben, wo die Däm-
merung wie eine Wolke zu mir niederkomt und wo ich das Dunkel
durch kein Licht entheilige, da wil ich an deine schöne Seele denken
und an dein ganzes Leben und an deine guten Schwestern. --20


P. S. des P. S. des P. S. So gieng es mir nie; und dir auch nicht.
Wie eine Hausfrau geh' ich immer noch eine Treppenstufe mit hinab
und rufe der Tochter immer noch etwas neues nach. Man räth mir
nämlich, den Clavis nicht an den Titan zu hängen sondern allein in25
die Welt zu werfen. Jezt entscheide du, und du allein. Räthst du es
auch, so arbeit' ich ihn noch einmal ganz um und mach' ihn grösser,[291]
heller, und satirischer. In jedem Fal sendest du ihn nicht an den Ver-
leger. Eile ohne Weile! -- Die Idee der Umschmelzung glüht immer
mehr in mir an, daß ich den Schlüssel, wenn er nicht heute fortgienge,30
gewis morgen im Läuterungsofen glühen sähe. Ich wil mich einmal
darin über die Dinge der Zeit ganz auslassen, nicht halb.

O Guter, vergieb meine Sudelbriefe, die kaum deine höchste Freund-
schaft entschuldigen kan. Du soltest nur mein Arbeitshaus kennen.

Ich kan gar nicht los von dir und wil es auch nie -- bleibe seelig,35
schönes Herz!


P. S. zum P. S. Nur noch einen Nachruf, Theuerer! Schicke den
Clavis, für den Herder ſehr iſt, recht bald in die ſchon für ihn auf-
gethane Preſſe. — Dein Brief an Fichte gefält allen kräftigen Köpfen
in den beiden feindlichen Lagern. Aber deine Vergleichung Nicolai’s5
und Schlegels iſt zu hart für dieſes Kopf und jenes Herz. Fichte
antwortet dir öffentlich; und ich wolte ſchwören, er bringt ſein altes
Wünſchhütlein wieder in ſeinem Kopf, nämlich die Frage — womit
er die Realität des Nicht-Ichs zerſezt —, wo denn anders jenes Wahre
und das Streben darnach ſei als wieder im Fragenden, weil der ſonſt10
keiner ſein könte? (So, gegen deinen Abſcheu vor dem Philoſophen,
der neben dem anbetenden Wilden ſich anbetet, wird er mit ſeinen un-
und endlichen Ichs aufziehen ꝛc.)

Was mich an ſeinem Entſchlus zur Antwort freuet, iſt daß er dich da-
durch recht verwickelt ins Schreibweſen, um was ich Gott herzlich bitte.15

Weiter wil ich dir nichts ſagen in dieſem Jahre, mein unendlich
Geliebter. In der Stunde des lezten Tages deſſelben, wo die Däm-
merung wie eine Wolke zu mir niederkomt und wo ich das Dunkel
durch kein Licht entheilige, da wil ich an deine ſchöne Seele denken
und an dein ganzes Leben und an deine guten Schweſtern. —20


P. S. des P. S. des P. S. So gieng es mir nie; und dir auch nicht.
Wie eine Hausfrau geh’ ich immer noch eine Treppenſtufe mit hinab
und rufe der Tochter immer noch etwas neues nach. Man räth mir
nämlich, den Clavis nicht an den Titan zu hängen ſondern allein in25
die Welt zu werfen. Jezt entſcheide du, und du allein. Räthſt du es
auch, ſo arbeit’ ich ihn noch einmal ganz um und mach’ ihn gröſſer,[291]
heller, und ſatiriſcher. In jedem Fal ſendeſt du ihn nicht an den Ver-
leger. Eile ohne Weile! — Die Idee der Umſchmelzung glüht immer
mehr in mir an, daß ich den Schlüſſel, wenn er nicht heute fortgienge,30
gewis morgen im Läuterungsofen glühen ſähe. Ich wil mich einmal
darin über die Dinge der Zeit ganz auslaſſen, nicht halb.

O Guter, vergieb meine Sudelbriefe, die kaum deine höchſte Freund-
ſchaft entſchuldigen kan. Du ſolteſt nur mein Arbeitshaus kennen.

Ich kan gar nicht los von dir und wil es auch nie — bleibe ſeelig,35
ſchönes Herz!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0283" n="267"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#aq">d. 23 Dec.</hi> </hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">P. S.</hi> zum <hi rendition="#aq">P. S.</hi> Nur noch einen Nachruf, Theuerer! Schicke den<lb/><hi rendition="#aq">Clavis,</hi> für den <hi rendition="#aq">Herder</hi> &#x017F;ehr i&#x017F;t, <hi rendition="#g">recht bald</hi> in die &#x017F;chon für ihn auf-<lb/>
gethane Pre&#x017F;&#x017F;e. &#x2014; Dein Brief an Fichte gefält allen kräftigen Köpfen<lb/>
in den beiden feindlichen Lagern. Aber deine Vergleichung Nicolai&#x2019;s<lb n="5"/>
und Schlegels i&#x017F;t zu hart für <hi rendition="#g">die&#x017F;es</hi> Kopf und <hi rendition="#g">jenes</hi> Herz. Fichte<lb/>
antwortet dir öffentlich; und ich wolte &#x017F;chwören, er bringt &#x017F;ein altes<lb/>
Wün&#x017F;chhütlein wieder <hi rendition="#g">in</hi> &#x017F;einem Kopf, nämlich die Frage &#x2014; womit<lb/>
er die Realität des Nicht-Ichs zer&#x017F;ezt &#x2014;, <hi rendition="#g">wo</hi> denn anders jenes <hi rendition="#g">Wahre</hi><lb/>
und das Streben darnach &#x017F;ei als wieder im Fragenden, weil der &#x017F;on&#x017F;t<lb n="10"/>
keiner &#x017F;ein könte? (So, gegen deinen Ab&#x017F;cheu vor dem Philo&#x017F;ophen,<lb/>
der neben dem anbetenden Wilden &#x017F;ich anbetet, wird er mit &#x017F;einen un-<lb/>
und endlichen Ichs aufziehen &#xA75B;c.)</p><lb/>
          <p>Was mich an &#x017F;einem Ent&#x017F;chlus zur Antwort freuet, i&#x017F;t daß er dich da-<lb/>
durch recht verwickelt ins Schreibwe&#x017F;en, um was ich Gott herzlich bitte.<lb n="15"/>
</p><lb/>
          <p>Weiter wil ich dir nichts &#x017F;agen in die&#x017F;em Jahre, mein unendlich<lb/>
Geliebter. In der Stunde des lezten Tages de&#x017F;&#x017F;elben, wo die Däm-<lb/>
merung wie eine Wolke zu mir niederkomt und wo ich das Dunkel<lb/>
durch kein Licht entheilige, da wil ich an deine &#x017F;chöne Seele denken<lb/>
und an dein ganzes Leben und an deine guten Schwe&#x017F;tern. &#x2014;<lb n="20"/>
</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 26 Dez.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">P. S.</hi> des <hi rendition="#aq">P. S.</hi> des <hi rendition="#aq">P. S.</hi> So gieng es mir nie; und dir auch nicht.<lb/>
Wie eine Hausfrau geh&#x2019; ich immer noch eine Treppen&#x017F;tufe mit hinab<lb/>
und rufe der Tochter immer noch etwas neues nach. Man räth mir<lb/>
nämlich, den <hi rendition="#aq">Clavis</hi> nicht an den <hi rendition="#aq">Titan</hi> zu hängen &#x017F;ondern allein in<lb n="25"/>
die Welt zu werfen. Jezt ent&#x017F;cheide du, und du allein. Räth&#x017F;t du es<lb/>
auch, &#x017F;o arbeit&#x2019; ich ihn noch einmal ganz um und mach&#x2019; ihn grö&#x017F;&#x017F;er,<note place="right"><ref target="1922_Bd3_291">[291]</ref></note><lb/>
heller, und &#x017F;atiri&#x017F;cher. In jedem Fal &#x017F;ende&#x017F;t du ihn nicht an den Ver-<lb/>
leger. Eile <hi rendition="#g">ohne</hi> Weile! &#x2014; Die Idee der Um&#x017F;chmelzung glüht immer<lb/>
mehr in mir an, daß ich den Schlü&#x017F;&#x017F;el, wenn er nicht heute fortgienge,<lb n="30"/>
gewis morgen im Läuterungsofen glühen &#x017F;ähe. Ich wil mich einmal<lb/>
darin über die Dinge der Zeit ganz ausla&#x017F;&#x017F;en, nicht halb.</p><lb/>
          <p>O Guter, vergieb meine Sudelbriefe, die kaum deine höch&#x017F;te Freund-<lb/>
&#x017F;chaft ent&#x017F;chuldigen kan. Du &#x017F;olte&#x017F;t nur mein Arbeitshaus kennen.</p><lb/>
          <p>Ich kan gar nicht los von dir und wil es auch nie &#x2014; bleibe &#x017F;eelig,<lb n="35"/>
&#x017F;chönes Herz!</p>
        </div>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0283] d. 23 Dec. P. S. zum P. S. Nur noch einen Nachruf, Theuerer! Schicke den Clavis, für den Herder ſehr iſt, recht bald in die ſchon für ihn auf- gethane Preſſe. — Dein Brief an Fichte gefält allen kräftigen Köpfen in den beiden feindlichen Lagern. Aber deine Vergleichung Nicolai’s 5 und Schlegels iſt zu hart für dieſes Kopf und jenes Herz. Fichte antwortet dir öffentlich; und ich wolte ſchwören, er bringt ſein altes Wünſchhütlein wieder in ſeinem Kopf, nämlich die Frage — womit er die Realität des Nicht-Ichs zerſezt —, wo denn anders jenes Wahre und das Streben darnach ſei als wieder im Fragenden, weil der ſonſt 10 keiner ſein könte? (So, gegen deinen Abſcheu vor dem Philoſophen, der neben dem anbetenden Wilden ſich anbetet, wird er mit ſeinen un- und endlichen Ichs aufziehen ꝛc.) Was mich an ſeinem Entſchlus zur Antwort freuet, iſt daß er dich da- durch recht verwickelt ins Schreibweſen, um was ich Gott herzlich bitte. 15 Weiter wil ich dir nichts ſagen in dieſem Jahre, mein unendlich Geliebter. In der Stunde des lezten Tages deſſelben, wo die Däm- merung wie eine Wolke zu mir niederkomt und wo ich das Dunkel durch kein Licht entheilige, da wil ich an deine ſchöne Seele denken und an dein ganzes Leben und an deine guten Schweſtern. — 20 d. 26 Dez. P. S. des P. S. des P. S. So gieng es mir nie; und dir auch nicht. Wie eine Hausfrau geh’ ich immer noch eine Treppenſtufe mit hinab und rufe der Tochter immer noch etwas neues nach. Man räth mir nämlich, den Clavis nicht an den Titan zu hängen ſondern allein in 25 die Welt zu werfen. Jezt entſcheide du, und du allein. Räthſt du es auch, ſo arbeit’ ich ihn noch einmal ganz um und mach’ ihn gröſſer, heller, und ſatiriſcher. In jedem Fal ſendeſt du ihn nicht an den Ver- leger. Eile ohne Weile! — Die Idee der Umſchmelzung glüht immer mehr in mir an, daß ich den Schlüſſel, wenn er nicht heute fortgienge, 30 gewis morgen im Läuterungsofen glühen ſähe. Ich wil mich einmal darin über die Dinge der Zeit ganz auslaſſen, nicht halb. [291] O Guter, vergieb meine Sudelbriefe, die kaum deine höchſte Freund- ſchaft entſchuldigen kan. Du ſolteſt nur mein Arbeitshaus kennen. Ich kan gar nicht los von dir und wil es auch nie — bleibe ſeelig, 35 ſchönes Herz!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/283
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/283>, abgerufen am 10.05.2024.