[277]manches. Der melodische Sphärenklang und das Sphärische in den Gedichten deines treflichen Bruders -- den meine Seele grüsset -- hat diese erquikt; und ohne das kritische Eulengeschlecht, das Oellampen aussäuft stat zu füllen, hätt' er (denn er verdients) einen stärker be- leuchteten Ehrenbogen. Auch Baggesen -- den grüsse recht -- ent-5 zükte mich, ausgenommen sein Vossisches Vivat. Gegen die Sprach- reichen, Voß und Klopstok,*) wäre manches zu sagen, was manche denken.
-- Ich mag gar nicht aufhören, an dich zu schreiben. Ach ich liebe dich so, und habe dich doch nicht! Vergieb, schreibe, ruhe, und bleibe10 mir gut! Grüsse deine geliebten Schwestern! --
Bei der Definitiv-Lesung meines Briefs find' ich ihn sehr öde und leer (ein sich selber sezender Pleonasmus); aber da du das Nichts ohne Papier schreibst, so darf ich dir ja ein Nichts mit Papier schicken.
344. An Herzogin Charlotte von Hildburghausen.15
[Kopie][Weimar, 11. Nov. 1799]
Am Tage, wo [Ihre] D[urchlaucht] so viele liebende Wünsche nicht von Zungen sondern von Herzen und oft von diesen ohne jene empfangen werden, komt dieses Blätgen an und bringt auch meine; ich möchte aber lieber beide bringen. Wünschen ist etc. nur ein anderes20 Wort für Liebe und Freude; und diese feiern gewis in jedem Guten die neue Einweihung ins Leben mit einer solchen Fürstin, Gemahlin, Schwester und Mutter mit. Aber ich bringe auch Wünsche, die nicht an sondern von Ihnen erfüllet werden; und womit könte Ihr Herz seinen Neujahrstag schöner anfangen als mit einer Vergebung oder25 einem Geschenk? Möge mir nicht mit diesem auch jene abgeschlagen werden. -- Bitte um das Glük des 4fachen Jas. Der Titan ist der Morgenstern zum Hesperus oder Abendstern und er sol, wenn dieses Leben eine Wiege des 2ten ist, ein kleines tröstendes Wiegenlied sein.. Möge die Polyhymnia, die gerade in der Jahrszeit, wo [die] schönen30 Stimmen, die in Blüten wohnen, weggezogen sind, die schönste ge- boren werden lies, auch diese immer mit Wohllaut und Melodie des Lebens umgeben und belohnen.
*) Ihr goldnes Zeitalter klingt wie goldne Saiten etwas rauh.
[277]manches. Der melodiſche Sphärenklang und das Sphäriſche in den Gedichten deines treflichen Bruders — den meine Seele grüſſet — hat dieſe erquikt; und ohne das kritiſche Eulengeſchlecht, das Oellampen ausſäuft ſtat zu füllen, hätt’ er (denn er verdients) einen ſtärker be- leuchteten Ehrenbogen. Auch Baggeſen — den grüſſe recht — ent-5 zükte mich, ausgenommen ſein Voſſiſches Vivat. Gegen die Sprach- reichen, Voß und Klopſtok,*) wäre manches zu ſagen, was manche denken.
— Ich mag gar nicht aufhören, an dich zu ſchreiben. Ach ich liebe dich ſo, und habe dich doch nicht! Vergieb, ſchreibe, ruhe, und bleibe10 mir gut! Grüſſe deine geliebten Schweſtern! —
Bei der Definitiv-Leſung meines Briefs find’ ich ihn ſehr öde und leer (ein ſich ſelber ſezender Pleonaſmus); aber da du das Nichts ohne Papier ſchreibſt, ſo darf ich dir ja ein Nichts mit Papier ſchicken.
344. An Herzogin Charlotte von Hildburghauſen.15
[Kopie][Weimar, 11. Nov. 1799]
Am Tage, wo [Ihre] D[urchlaucht] ſo viele liebende Wünſche nicht von Zungen ſondern von Herzen und oft von dieſen ohne jene empfangen werden, komt dieſes Blätgen an und bringt auch meine; ich möchte aber lieber beide bringen. Wünſchen iſt ꝛc. nur ein anderes20 Wort für Liebe und Freude; und dieſe feiern gewis in jedem Guten die neue Einweihung ins Leben mit einer ſolchen Fürſtin, Gemahlin, Schweſter und Mutter mit. Aber ich bringe auch Wünſche, die nicht an ſondern von Ihnen erfüllet werden; und womit könte Ihr Herz ſeinen Neujahrstag ſchöner anfangen als mit einer Vergebung oder25 einem Geſchenk? Möge mir nicht mit dieſem auch jene abgeſchlagen werden. — Bitte um das Glük des 4fachen Jas. Der Titan iſt der Morgenſtern zum Hesperus oder Abendſtern und er ſol, wenn dieſes Leben eine Wiege des 2ten iſt, ein kleines tröſtendes Wiegenlied ſein.. Möge die Polyhymnia, die gerade in der Jahrszeit, wo [die] ſchönen30 Stimmen, die in Blüten wohnen, weggezogen ſind, die ſchönſte ge- boren werden lies, auch dieſe immer mit Wohllaut und Melodie des Lebens umgeben und belohnen.
*) Ihr goldnes Zeitalter klingt wie goldne Saiten etwas rauh.
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leuchteten Ehrenbogen. Auch Baggeſen — den grüſſe recht — ent- 5
zükte mich, ausgenommen ſein Voſſiſches Vivat. Gegen die Sprach-
reichen, Voß und Klopſtok, *) wäre manches zu ſagen, was manche
denken.
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— Ich mag gar nicht aufhören, an dich zu ſchreiben. Ach ich liebe
dich ſo, und habe dich doch nicht! Vergieb, ſchreibe, ruhe, und bleibe 10
mir gut! Grüſſe deine geliebten Schweſtern! —
Bei der Definitiv-Leſung meines Briefs find’ ich ihn ſehr öde und
leer (ein ſich ſelber ſezender Pleonaſmus); aber da du das Nichts ohne
Papier ſchreibſt, ſo darf ich dir ja ein Nichts mit Papier ſchicken.
344. An Herzogin Charlotte von Hildburghauſen. 15
[Weimar, 11. Nov. 1799]
Am Tage, wo [Ihre] D[urchlaucht] ſo viele liebende Wünſche
nicht von Zungen ſondern von Herzen und oft von dieſen ohne jene
empfangen werden, komt dieſes Blätgen an und bringt auch meine;
ich möchte aber lieber beide bringen. Wünſchen iſt ꝛc. nur ein anderes 20
Wort für Liebe und Freude; und dieſe feiern gewis in jedem Guten die
neue Einweihung ins Leben mit einer ſolchen Fürſtin, Gemahlin,
Schweſter und Mutter mit. Aber ich bringe auch Wünſche, die nicht
an ſondern von Ihnen erfüllet werden; und womit könte Ihr Herz
ſeinen Neujahrstag ſchöner anfangen als mit einer Vergebung oder 25
einem Geſchenk? Möge mir nicht mit dieſem auch jene abgeſchlagen
werden. — Bitte um das Glük des 4fachen Jas. Der Titan iſt der
Morgenſtern zum Hesperus oder Abendſtern und er ſol, wenn dieſes
Leben eine Wiege des 2ten iſt, ein kleines tröſtendes Wiegenlied ſein..
Möge die Polyhymnia, die gerade in der Jahrszeit, wo [die] ſchönen 30
Stimmen, die in Blüten wohnen, weggezogen ſind, die ſchönſte ge-
boren werden lies, auch dieſe immer mit Wohllaut und Melodie des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/270>, abgerufen am 03.07.2024.
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