Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite
328. An Böttiger.

Ich grüsse Sie wieder, lieber Böttiger und danke für die L[itte-[259]
ratur] Zeitung,
die vielleicht lange bei mir lag. Ich werde Sie bald
sehen.5

329. An Christian Otto.

Den Dienstag fuhr ich mit Herder nach Ilmenau und gieng den
Mitwoch hieher. Der Himmel hat sich wieder in seine dicke Florkappe
gestekt, wie immer auf meinen Reisen. Ich wuste gern voraus daß der10
Hof in Seidenstadt war, (ein Jagdschlos) wo ich heute auf eine
Nacht hinfahre. Die schöne Herzogin war gerade bei meinem Ein-
fluge hier; und lies mich sogleich auf ein Paar Minuten vor dem Ein-
steigen kommen. Ausser einer Geliebten weis ich nichts schöners als
diese süsse Gestalt. Hätt' ich nur Zeit und Wetter, eine Woche lang15
blieb ich unter ihrem Dache.

Die C[aroline] v. F[euchtersleben] kenn' ich jezt tiefer; noch in
keiner weiblichen Seele fand ich diese hohe, strenge, unnachlassende,
religiöse Moralität, die unerschütterlich und unbestechlich bis in die
kleinsten Zweige treibt. -- Bei ihrer moralischen Zartheit fühlt man,20
daß man leider in Weimar lange gewesen. Sie würde, wenn ich mit
ihr verbunden wäre, mein ganzes Wesen bis auf den kleinsten Flecken
ausreinigen. Sie lieset nicht, wie Mädgen, blos um ein sentimen-
talisches Manna auf der Zunge zerfliessen zu lassen: sondern um auch
zu lernen, z. B. Geschichte und Naturgeschichte; sie hat fast ein vol-25
ständiges Herbarium, und eine Suite von sinreichen Blumen-Zu-
sammenlegungen. Rührend-aufmerksam hörte sie zu, da ich mit andern
von der Erziehung sprach. Dich liebt sie innig so wie Herdern; dein
Siegel hat sie erfreuet und sie zerbrach nichts daran. Sie macht Verse
wie du aus dem Vorigen und Beiliegenden siehst; daher kan sie die30
Satire über die weiblichen Verse in J. P. Briefen, nicht vergessen, sie
sei wahr, aber zu bitter, sagt sie. Sie trinkt jezt Wein unter dem
Mittagsessen weil ich ihrs gerathen habe; zum Glük ist ihr Arzt ein
Brownianer. Sie hält jeden Vorsaz, z. B. alle Tage ins Freie in den
Garten zu gehen -- "jezt da ich Gesundheit habe, wil ich auch gar35
Abhärtung" ach die Gute, hätte sie nur jene. -- Mit grösserer Macht

328. An Böttiger.

Ich grüſſe Sie wieder, lieber Böttiger und danke für die L[itte-[259]
ratur] Zeitung,
die vielleicht lange bei mir lag. Ich werde Sie bald
ſehen.5

329. An Chriſtian Otto.

Den Dienſtag fuhr ich mit Herder nach Ilmenau und gieng den
Mitwoch hieher. Der Himmel hat ſich wieder in ſeine dicke Florkappe
geſtekt, wie immer auf meinen Reiſen. Ich wuſte gern voraus daß der10
Hof in Seidenstadt war, (ein Jagdſchlos) wo ich heute auf eine
Nacht hinfahre. Die ſchöne Herzogin war gerade bei meinem Ein-
fluge hier; und lies mich ſogleich auf ein Paar Minuten vor dem Ein-
ſteigen kommen. Auſſer einer Geliebten weis ich nichts ſchöners als
dieſe ſüſſe Geſtalt. Hätt’ ich nur Zeit und Wetter, eine Woche lang15
blieb ich unter ihrem Dache.

Die C[aroline] v. F[euchtersleben] kenn’ ich jezt tiefer; noch in
keiner weiblichen Seele fand ich dieſe hohe, ſtrenge, unnachlaſſende,
religiöſe Moralität, die unerſchütterlich und unbeſtechlich bis in die
kleinſten Zweige treibt. — Bei ihrer moraliſchen Zartheit fühlt man,20
daß man leider in Weimar lange geweſen. Sie würde, wenn ich mit
ihr verbunden wäre, mein ganzes Weſen bis auf den kleinſten Flecken
ausreinigen. Sie lieſet nicht, wie Mädgen, blos um ein ſentimen-
taliſches Manna auf der Zunge zerflieſſen zu laſſen: ſondern um auch
zu lernen, z. B. Geſchichte und Naturgeſchichte; ſie hat faſt ein vol-25
ſtändiges Herbarium, und eine Suite von ſinreichen Blumen-Zu-
ſammenlegungen. Rührend-aufmerkſam hörte ſie zu, da ich mit andern
von der Erziehung ſprach. Dich liebt ſie innig ſo wie Herdern; dein
Siegel hat ſie erfreuet und ſie zerbrach nichts daran. Sie macht Verſe
wie du aus dem Vorigen und Beiliegenden ſiehſt; daher kan ſie die30
Satire über die weiblichen Verſe in J. P. Briefen, nicht vergeſſen, ſie
ſei wahr, aber zu bitter, ſagt ſie. Sie trinkt jezt Wein unter dem
Mittagseſſen weil ich ihrs gerathen habe; zum Glük iſt ihr Arzt ein
Brownianer. Sie hält jeden Vorſaz, z. B. alle Tage ins Freie in den
Garten zu gehen — „jezt da ich Geſundheit habe, wil ich auch gar35
Abhärtung“ ach die Gute, hätte ſie nur jene. — Mit gröſſerer Macht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0252" n="237"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>328. An <hi rendition="#g">Böttiger.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Weimar, 14. Okt. 1799]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich grü&#x017F;&#x017F;e Sie wieder, lieber Böttiger und danke für die <hi rendition="#aq">L[itte-<note place="right"><ref target="1922_Bd3_259">[259]</ref></note><lb/>
ratur] Zeitung,</hi> die vielleicht lange bei mir lag. Ich werde Sie bald<lb/>
&#x017F;ehen.<lb n="5"/>
</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>329. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hildburghausen d. 7 Oct.</hi> 99 [Montag].</hi> </dateline><lb/>
        <p>Den Dien&#x017F;tag fuhr ich mit <hi rendition="#aq">Herder</hi> nach <hi rendition="#aq">Ilmenau</hi> und gieng den<lb/>
Mitwoch hieher. Der Himmel hat &#x017F;ich wieder in &#x017F;eine dicke Florkappe<lb/>
ge&#x017F;tekt, wie immer auf meinen Rei&#x017F;en. Ich wu&#x017F;te gern voraus daß der<lb n="10"/>
Hof in <hi rendition="#aq">Seidenstadt</hi> war, (ein Jagd&#x017F;chlos) wo ich heute auf eine<lb/>
Nacht hinfahre. Die &#x017F;chöne Herzogin war gerade bei meinem Ein-<lb/>
fluge hier; und lies mich &#x017F;ogleich auf ein Paar Minuten vor dem Ein-<lb/>
&#x017F;teigen kommen. Au&#x017F;&#x017F;er einer Geliebten weis ich nichts &#x017F;chöners als<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;ü&#x017F;&#x017F;e Ge&#x017F;talt. Hätt&#x2019; ich nur Zeit und Wetter, eine Woche lang<lb n="15"/>
blieb ich unter ihrem Dache.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#aq">C[aroline] v. F[euchtersleben]</hi> kenn&#x2019; ich jezt tiefer; noch in<lb/>
keiner weiblichen Seele fand ich die&#x017F;e hohe, &#x017F;trenge, unnachla&#x017F;&#x017F;ende,<lb/>
religiö&#x017F;e Moralität, die uner&#x017F;chütterlich und unbe&#x017F;techlich bis in die<lb/>
klein&#x017F;ten Zweige treibt. &#x2014; Bei ihrer morali&#x017F;chen Zartheit fühlt man,<lb n="20"/>
daß man leider in <hi rendition="#aq">Weimar</hi> lange gewe&#x017F;en. Sie würde, wenn ich mit<lb/>
ihr verbunden wäre, mein ganzes We&#x017F;en bis auf den klein&#x017F;ten Flecken<lb/>
ausreinigen. Sie lie&#x017F;et nicht, wie Mädgen, blos um ein &#x017F;entimen-<lb/>
tali&#x017F;ches Manna auf der Zunge zerflie&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en: &#x017F;ondern um auch<lb/>
zu lernen, z. B. Ge&#x017F;chichte und Naturge&#x017F;chichte; &#x017F;ie hat fa&#x017F;t ein vol-<lb n="25"/>
&#x017F;tändiges <hi rendition="#aq">Herbarium,</hi> und eine Suite von &#x017F;inreichen Blumen-Zu-<lb/>
&#x017F;ammenlegungen. Rührend-aufmerk&#x017F;am hörte &#x017F;ie zu, da ich mit andern<lb/>
von der Erziehung &#x017F;prach. Dich liebt &#x017F;ie innig &#x017F;o wie <hi rendition="#aq">Herdern;</hi> dein<lb/>
Siegel hat &#x017F;ie erfreuet und &#x017F;ie zerbrach nichts daran. Sie macht Ver&#x017F;e<lb/>
wie du aus dem Vorigen und Beiliegenden &#x017F;ieh&#x017F;t; daher kan &#x017F;ie die<lb n="30"/>
Satire über die weiblichen Ver&#x017F;e in <hi rendition="#aq">J. P.</hi> Briefen, nicht verge&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ei wahr, aber zu bitter, &#x017F;agt &#x017F;ie. Sie trinkt jezt Wein unter dem<lb/>
Mittagse&#x017F;&#x017F;en weil ich ihrs gerathen habe; zum Glük i&#x017F;t ihr Arzt ein<lb/><hi rendition="#aq">Brownianer.</hi> Sie hält jeden Vor&#x017F;az, z. B. alle Tage ins Freie in den<lb/>
Garten zu gehen &#x2014; &#x201E;jezt da ich Ge&#x017F;undheit habe, wil ich auch gar<lb n="35"/>
Abhärtung&#x201C; ach die Gute, hätte &#x017F;ie nur jene. &#x2014; Mit grö&#x017F;&#x017F;erer Macht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0252] 328. An Böttiger. [Weimar, 14. Okt. 1799] Ich grüſſe Sie wieder, lieber Böttiger und danke für die L[itte- ratur] Zeitung, die vielleicht lange bei mir lag. Ich werde Sie bald ſehen. 5 329. An Chriſtian Otto. Hildburghausen d. 7 Oct. 99 [Montag]. Den Dienſtag fuhr ich mit Herder nach Ilmenau und gieng den Mitwoch hieher. Der Himmel hat ſich wieder in ſeine dicke Florkappe geſtekt, wie immer auf meinen Reiſen. Ich wuſte gern voraus daß der 10 Hof in Seidenstadt war, (ein Jagdſchlos) wo ich heute auf eine Nacht hinfahre. Die ſchöne Herzogin war gerade bei meinem Ein- fluge hier; und lies mich ſogleich auf ein Paar Minuten vor dem Ein- ſteigen kommen. Auſſer einer Geliebten weis ich nichts ſchöners als dieſe ſüſſe Geſtalt. Hätt’ ich nur Zeit und Wetter, eine Woche lang 15 blieb ich unter ihrem Dache. Die C[aroline] v. F[euchtersleben] kenn’ ich jezt tiefer; noch in keiner weiblichen Seele fand ich dieſe hohe, ſtrenge, unnachlaſſende, religiöſe Moralität, die unerſchütterlich und unbeſtechlich bis in die kleinſten Zweige treibt. — Bei ihrer moraliſchen Zartheit fühlt man, 20 daß man leider in Weimar lange geweſen. Sie würde, wenn ich mit ihr verbunden wäre, mein ganzes Weſen bis auf den kleinſten Flecken ausreinigen. Sie lieſet nicht, wie Mädgen, blos um ein ſentimen- taliſches Manna auf der Zunge zerflieſſen zu laſſen: ſondern um auch zu lernen, z. B. Geſchichte und Naturgeſchichte; ſie hat faſt ein vol- 25 ſtändiges Herbarium, und eine Suite von ſinreichen Blumen-Zu- ſammenlegungen. Rührend-aufmerkſam hörte ſie zu, da ich mit andern von der Erziehung ſprach. Dich liebt ſie innig ſo wie Herdern; dein Siegel hat ſie erfreuet und ſie zerbrach nichts daran. Sie macht Verſe wie du aus dem Vorigen und Beiliegenden ſiehſt; daher kan ſie die 30 Satire über die weiblichen Verſe in J. P. Briefen, nicht vergeſſen, ſie ſei wahr, aber zu bitter, ſagt ſie. Sie trinkt jezt Wein unter dem Mittagseſſen weil ich ihrs gerathen habe; zum Glük iſt ihr Arzt ein Brownianer. Sie hält jeden Vorſaz, z. B. alle Tage ins Freie in den Garten zu gehen — „jezt da ich Geſundheit habe, wil ich auch gar 35 Abhärtung“ ach die Gute, hätte ſie nur jene. — Mit gröſſerer Macht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/252
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/252>, abgerufen am 10.05.2024.