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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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geschnürte Herzogin mich, da ich vorvorgestern im Park vorüberschos,
eigenhändig zurükrief und viel mit mir sprach und viel zu gnädig. --

Zu Ostern komt gewis 1 dicker Band vom Titan und ein Neben-
bändgen Extrablätter -- zu Neujahr im historischen berl[iner] Kalen-
der ein begeisterter Aufsaz über Charlotte Corday.5


Emanuel komt morgen hieher. --

Im Herderschen Hause bin ich der Vertraute, fast der Sohn; sie
die Mutter wählt und kauft mir meine Kleider. Aus dem Hause des
D. Herder bekomm' ich mein Essen. -- Von deinem Bruder hört ich,10
er werde sehr geliebt und gesucht in R[egenspurg]. -- Wolzogen
negoziierte eine Heirath zwischen unserm Dauphin und einer russischen
13jährigen Dauphine.

[235]Lebe wohl, mein alter geliebter Oertel, an dessen Hals ich mich so
sehnlich wünsche. Küsse deine liebe freundliche Freundin! Ich denke15
mit innigen brüderlichen Wünschen an euer Glük.

R.
293. An Christian Otto.

Es drükte mich, daß du gerade nach deinem sanften Brief meinen20
harten bekamest. Mündlich wäre eine Ausgleichung über das Persön-
liche und Ästhetische das Werk einer 1/2 Stunde. Nur einiges. -- Über
die Corday hatte mein Gedächtnis Unrecht; schicken kont ich sie dir
nicht, weil ich ihr Epitaphium bis zur lezten Minute verschoben hatte
und es nas aus dem Dintenfas nach Berlin ablief. -- Ich wil, wenn25
ich komme, dir an deinem Brief die vielen notierten Gebote zeigen, die
ich erfüllen werde. -- Die schönen Grundsäze über Menschenschonung
unterschreibt meine Seele; du hast aber überhaupt von innen und
aussen eine reinere bequemere Lage für die Moralität; ich bin gerade
der Nordseite des Geistes der Zeit ausgesezt. -- Gleichwohl irrest du30
über die gedrukten vor den Episteln gemachten Briefe; im Schreiben
ist mir nichts Persönliches etwas, also auch Hof nicht; sonst hätt ichs
nicht so lustig gemacht. Noch immer bewahr' ich troz so vieler litte-
rarischer Thoren den Grundsaz, keinen in effigie aufzuhenken; aber
etwas anders sind litterarische Sünder; hier ists sogar Pflicht, ob-35

geſchnürte Herzogin mich, da ich vorvorgeſtern im Park vorüberſchos,
eigenhändig zurükrief und viel mit mir ſprach und viel zu gnädig. —

Zu Oſtern komt gewis 1 dicker Band vom Titan und ein Neben-
bändgen Extrablätter — zu Neujahr im hiſtoriſchen berl[iner] Kalen-
der ein begeiſterter Aufſaz über Charlotte Corday.5


Emanuel komt morgen hieher. —

Im Herderschen Hauſe bin ich der Vertraute, faſt der Sohn; ſie
die Mutter wählt und kauft mir meine Kleider. Aus dem Hauſe des
D. Herder bekomm’ ich mein Eſſen. — Von deinem Bruder hört ich,10
er werde ſehr geliebt und geſucht in R[egenspurg]. — Wolzogen
negoziierte eine Heirath zwiſchen unſerm Dauphin und einer ruſſiſchen
13jährigen Dauphine.

[235]Lebe wohl, mein alter geliebter Oertel, an deſſen Hals ich mich ſo
ſehnlich wünſche. Küſſe deine liebe freundliche Freundin! Ich denke15
mit innigen brüderlichen Wünſchen an euer Glük.

R.
293. An Chriſtian Otto.

Es drükte mich, daß du gerade nach deinem ſanften Brief meinen20
harten bekameſt. Mündlich wäre eine Ausgleichung über das Perſön-
liche und Äſthetiſche das Werk einer ½ Stunde. Nur einiges. — Über
die Corday hatte mein Gedächtnis Unrecht; ſchicken kont ich ſie dir
nicht, weil ich ihr Epitaphium bis zur lezten Minute verſchoben hatte
und es nas aus dem Dintenfas nach Berlin ablief. — Ich wil, wenn25
ich komme, dir an deinem Brief die vielen notierten Gebote zeigen, die
ich erfüllen werde. — Die ſchönen Grundſäze über Menſchenſchonung
unterſchreibt meine Seele; du haſt aber überhaupt von innen und
auſſen eine reinere bequemere Lage für die Moralität; ich bin gerade
der Nordſeite des Geiſtes der Zeit ausgeſezt. — Gleichwohl irreſt du30
über die gedrukten vor den Epiſteln gemachten Briefe; im Schreiben
iſt mir nichts Perſönliches etwas, alſo auch Hof nicht; ſonſt hätt ichs
nicht ſo luſtig gemacht. Noch immer bewahr’ ich troz ſo vieler litte-
rariſcher Thoren den Grundſaz, keinen in effigie aufzuhenken; aber
etwas anders ſind litterariſche Sünder; hier iſts ſogar Pflicht, ob-35

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[214/0229] geſchnürte Herzogin mich, da ich vorvorgeſtern im Park vorüberſchos, eigenhändig zurükrief und viel mit mir ſprach und viel zu gnädig. — Zu Oſtern komt gewis 1 dicker Band vom Titan und ein Neben- bändgen Extrablätter — zu Neujahr im hiſtoriſchen berl[iner] Kalen- der ein begeiſterter Aufſaz über Charlotte Corday. 5 d. 11. Jul. Emanuel komt morgen hieher. — Im Herderschen Hauſe bin ich der Vertraute, faſt der Sohn; ſie die Mutter wählt und kauft mir meine Kleider. Aus dem Hauſe des D. Herder bekomm’ ich mein Eſſen. — Von deinem Bruder hört ich, 10 er werde ſehr geliebt und geſucht in R[egenspurg]. — Wolzogen negoziierte eine Heirath zwiſchen unſerm Dauphin und einer ruſſiſchen 13jährigen Dauphine. Lebe wohl, mein alter geliebter Oertel, an deſſen Hals ich mich ſo ſehnlich wünſche. Küſſe deine liebe freundliche Freundin! Ich denke 15 mit innigen brüderlichen Wünſchen an euer Glük. [235] R. 293. An Chriſtian Otto. Weimar d. 13. Jul. 99 [Sonnabend]. Es drükte mich, daß du gerade nach deinem ſanften Brief meinen 20 harten bekameſt. Mündlich wäre eine Ausgleichung über das Perſön- liche und Äſthetiſche das Werk einer ½ Stunde. Nur einiges. — Über die Corday hatte mein Gedächtnis Unrecht; ſchicken kont ich ſie dir nicht, weil ich ihr Epitaphium bis zur lezten Minute verſchoben hatte und es nas aus dem Dintenfas nach Berlin ablief. — Ich wil, wenn 25 ich komme, dir an deinem Brief die vielen notierten Gebote zeigen, die ich erfüllen werde. — Die ſchönen Grundſäze über Menſchenſchonung unterſchreibt meine Seele; du haſt aber überhaupt von innen und auſſen eine reinere bequemere Lage für die Moralität; ich bin gerade der Nordſeite des Geiſtes der Zeit ausgeſezt. — Gleichwohl irreſt du 30 über die gedrukten vor den Epiſteln gemachten Briefe; im Schreiben iſt mir nichts Perſönliches etwas, alſo auch Hof nicht; ſonſt hätt ichs nicht ſo luſtig gemacht. Noch immer bewahr’ ich troz ſo vieler litte- rariſcher Thoren den Grundſaz, keinen in effigie aufzuhenken; aber etwas anders ſind litterariſche Sünder; hier iſts ſogar Pflicht, ob- 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/229>, abgerufen am 28.04.2024.