Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

[Der holde Tag, die freudigen Zufälle machten, daß nicht blos der
Merkur durch die Sonne gieng, sondern auch Endes Unterschriebner.]

Meine innern Gestalten trösten mich über die äussern, nur ergreifen
sie mich stärker als diese und zu stark.

[207]Göthe und Schiller waren das leztemal ganz frostig gegen mich;5
blos -- wie man dort beim Thee sagte -- weil ich an der Herderschen
Metakritik schuld sein und sogar Hand darin haben sol und Schiller
hoft, unsere Herder und meine Freundschaft werde dadurch brechen.

Samuel gieng zur Messe nach Leipzig, mich wie Gotlieb sich aus-
drücket, "anzuschmieren und bei meinen Buchhändlern zu borgen [und]10
nach Amerika zu gehen." 8 Tage vorher eh es Gotlieb schrieb, ver-
muthete ichs und schrieb daher an Matzdorf etc. Als er bei diesem
[Lücke Ld'or wolte: gab ers nicht; [Lücke] Morus etc. Böhm schreibt
mir, er [habe ihm] 5 Carolin zur Reise etc. gelassen.

[Lücke] nach Hild[burghausen zu einer] lieben Freundin.15

[Deine lezten Briefe an mich, die in Couverts bestehen, habe richtig
erhalten, aber es lieset sie unterwegs jeder Nar; du soltest die
Couverts an mich einschlagen in fremde.] [Lücke]

Melde mir die Ankunft des Mspt bald.

257. An das Ehepaar Friedlaender in Königsberg.20

In der Sonderbarkeit Ihres Wunsches, liebe Unbekanten, liegt
zugleich dessen Rechtfertigung, nämlich Ihr reines Vertrauen. Das
Sonderbare ist die Voraussezung, daß im 18ten Jahrhundert 99 ein
Mensch ein neues Linderungsöhl für eine Wunde habe, die den Heil-25
mitteln der andern Jahrhunderte widerstand; aber in der Heilkunde
macht das Vertrauen den Arzt und das Ach eines theilnehmenden
Wesens tröstet oft mehr als die Trostpredigt eines kalten.

So sehr oft Menschen sich des Antheils am Tode geliebter Seelen
anklagen: so sehen Sie doch aus der immer gleichen Zahl derer, die30
an dieser oder jener Krankheit sterben, daß nur ein höheres Gesez uns
alle abruft. Nun ist es sonderbar, daß wir in der unendlichen Welt-
maschine, worin die Erde kaum ein Rad und wir kaum die Zähne des
Rades sind, über uns die Maschine vergessen, für die wir etwas opfern
müssen, da sie so viel für uns opferte. Gott sendet den Luther und den35

[Der holde Tag, die freudigen Zufälle machten, daß nicht blos der
Merkur durch die Sonne gieng, ſondern auch Endes Unterſchriebner.]

Meine innern Geſtalten tröſten mich über die äuſſern, nur ergreifen
ſie mich ſtärker als dieſe und zu ſtark.

[207]Göthe und Schiller waren das leztemal ganz froſtig gegen mich;5
blos — wie man dort beim Thee ſagte — weil ich an der Herderschen
Metakritik ſchuld ſein und ſogar Hand darin haben ſol und Schiller
hoft, unſere 〈Herder und meine〉 Freundſchaft werde dadurch brechen.

Samuel gieng zur Meſſe nach Leipzig, mich wie Gotlieb ſich aus-
drücket, „anzuſchmieren und bei meinen Buchhändlern zu borgen [und]10
nach Amerika zu gehen.“ 8 Tage vorher eh es Gotlieb ſchrieb, ver-
muthete ichs und ſchrieb daher an Matzdorf ꝛc. Als er bei dieſem
[Lücke Ld’or wolte: gab ers nicht; [Lücke] Morus ꝛc. Böhm ſchreibt
mir, er [habe ihm] 5 Carolin zur Reiſe ꝛc. gelaſſen.

[Lücke] nach Hild[burghausen zu einer] lieben Freundin.15

[Deine lezten Briefe an mich, die in Couverts beſtehen, habe richtig
erhalten, aber es lieſet ſie unterwegs jeder Nar; du ſolteſt die
Couverts an mich einſchlagen in fremde.] [Lücke]

Melde mir die Ankunft des Mſpt bald.

257. An das Ehepaar Friedlaender in Königsberg.20

In der Sonderbarkeit Ihres Wunſches, liebe Unbekanten, liegt
zugleich deſſen Rechtfertigung, nämlich Ihr reines Vertrauen. Das
Sonderbare iſt die Vorausſezung, daß im 18ten Jahrhundert 99 ein
Menſch ein neues Linderungsöhl für eine Wunde habe, die den Heil-25
mitteln der andern Jahrhunderte widerſtand; aber in der Heilkunde
macht das Vertrauen den Arzt und das Ach eines theilnehmenden
Weſens tröſtet oft mehr als die Troſtpredigt eines kalten.

So ſehr oft Menſchen ſich des Antheils am Tode geliebter Seelen
anklagen: ſo ſehen Sie doch aus der immer gleichen Zahl derer, die30
an dieſer oder jener Krankheit ſterben, daß nur ein höheres Geſez uns
alle abruft. Nun iſt es ſonderbar, daß wir in der unendlichen Welt-
maſchine, worin die Erde kaum ein Rad und wir kaum die Zähne des
Rades ſind, über uns die Maſchine vergeſſen, für die wir etwas opfern
müſſen, da ſie ſo viel für uns opferte. Gott ſendet den Luther und den35

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0203" n="188"/>
          <p>[Der holde Tag, die freudigen Zufälle machten, daß nicht blos der<lb/>
Merkur durch die Sonne gieng, &#x017F;ondern auch Endes Unter&#x017F;chriebner.]</p><lb/>
          <p>Meine innern Ge&#x017F;talten trö&#x017F;ten mich über die äu&#x017F;&#x017F;ern, nur ergreifen<lb/>
&#x017F;ie mich &#x017F;tärker als die&#x017F;e und zu &#x017F;tark.</p><lb/>
          <p><note place="left"><ref target="1922_Bd3_207">[207]</ref></note>Göthe und Schiller waren das leztemal ganz fro&#x017F;tig gegen mich;<lb n="5"/>
blos &#x2014; wie man dort beim Thee &#x017F;agte &#x2014; weil ich an der <hi rendition="#aq">Herderschen</hi><lb/>
Metakritik &#x017F;chuld &#x017F;ein und &#x017F;ogar Hand darin haben &#x017F;ol und Schiller<lb/>
hoft, un&#x017F;ere &#x2329;<hi rendition="#aq">Herder</hi> und meine&#x232A; Freund&#x017F;chaft werde dadurch brechen.</p><lb/>
          <p>Samuel gieng zur Me&#x017F;&#x017F;e nach Leipzig, mich wie Gotlieb &#x017F;ich aus-<lb/>
drücket, &#x201E;anzu&#x017F;chmieren und bei meinen Buchhändlern zu borgen [und]<lb n="10"/>
nach Amerika zu gehen.&#x201C; 8 Tage vorher <hi rendition="#g">eh</hi> es Gotlieb &#x017F;chrieb, ver-<lb/>
muthete ichs und &#x017F;chrieb daher an Matzdorf &#xA75B;c. Als er bei die&#x017F;em<lb/>
[<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi> Ld&#x2019;or</hi> wolte: gab ers nicht; [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi>] Morus</hi> &#xA75B;c. Böhm &#x017F;chreibt<lb/>
mir, er [habe ihm] 5 <hi rendition="#aq">Carolin</hi> zur Rei&#x017F;e &#xA75B;c. gela&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>[<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi></hi>] nach <hi rendition="#aq">Hild[burghausen</hi> zu einer] lieben Freundin.<lb n="15"/>
</p>
          <p>[Deine lezten Briefe an mich, die in Couverts be&#x017F;tehen, habe richtig<lb/>
erhalten, aber es lie&#x017F;et &#x017F;ie unterwegs jeder Nar; du &#x017F;olte&#x017F;t die<lb/>
Couverts an mich ein&#x017F;chlagen in fremde.] [<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lücke</hi></hi>]</p><lb/>
          <p>Melde mir die Ankunft des M&#x017F;pt bald.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>257. An <hi rendition="#g">das Ehepaar Friedlaender in Königsberg.</hi><lb n="20"/>
</head>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. 8 Mai 99.</hi> </dateline><lb/>
        <p>In der Sonderbarkeit Ihres Wun&#x017F;ches, liebe Unbekanten, liegt<lb/>
zugleich de&#x017F;&#x017F;en Rechtfertigung, nämlich Ihr reines Vertrauen. Das<lb/>
Sonderbare i&#x017F;t die Voraus&#x017F;ezung, daß im 18<hi rendition="#sup">ten</hi> Jahrhundert 99 ein<lb/>
Men&#x017F;ch ein neues Linderungsöhl für eine Wunde habe, die den Heil-<lb n="25"/>
mitteln der andern Jahrhunderte wider&#x017F;tand; aber in der Heilkunde<lb/>
macht das Vertrauen den Arzt und das Ach eines theilnehmenden<lb/>
We&#x017F;ens trö&#x017F;tet oft mehr als die Tro&#x017F;tpredigt eines kalten.</p><lb/>
        <p>So &#x017F;ehr oft Men&#x017F;chen &#x017F;ich des Antheils am Tode geliebter Seelen<lb/>
anklagen: &#x017F;o &#x017F;ehen Sie doch aus der immer <hi rendition="#g">gleichen</hi> Zahl derer, die<lb n="30"/>
an die&#x017F;er oder jener Krankheit &#x017F;terben, daß nur ein höheres Ge&#x017F;ez uns<lb/>
alle abruft. Nun i&#x017F;t es &#x017F;onderbar, daß wir in der unendlichen Welt-<lb/>
ma&#x017F;chine, worin die Erde kaum ein Rad und wir kaum die Zähne des<lb/>
Rades &#x017F;ind, über uns die Ma&#x017F;chine verge&#x017F;&#x017F;en, für die wir etwas opfern<lb/>&#x017F;&#x017F;en, da &#x017F;ie &#x017F;o viel für uns opferte. Gott &#x017F;endet den Luther und den<lb n="35"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0203] [Der holde Tag, die freudigen Zufälle machten, daß nicht blos der Merkur durch die Sonne gieng, ſondern auch Endes Unterſchriebner.] Meine innern Geſtalten tröſten mich über die äuſſern, nur ergreifen ſie mich ſtärker als dieſe und zu ſtark. Göthe und Schiller waren das leztemal ganz froſtig gegen mich; 5 blos — wie man dort beim Thee ſagte — weil ich an der Herderschen Metakritik ſchuld ſein und ſogar Hand darin haben ſol und Schiller hoft, unſere 〈Herder und meine〉 Freundſchaft werde dadurch brechen. [207] Samuel gieng zur Meſſe nach Leipzig, mich wie Gotlieb ſich aus- drücket, „anzuſchmieren und bei meinen Buchhändlern zu borgen [und] 10 nach Amerika zu gehen.“ 8 Tage vorher eh es Gotlieb ſchrieb, ver- muthete ichs und ſchrieb daher an Matzdorf ꝛc. Als er bei dieſem [Lücke Ld’or wolte: gab ers nicht; [Lücke] Morus ꝛc. Böhm ſchreibt mir, er [habe ihm] 5 Carolin zur Reiſe ꝛc. gelaſſen. [Lücke] nach Hild[burghausen zu einer] lieben Freundin. 15 [Deine lezten Briefe an mich, die in Couverts beſtehen, habe richtig erhalten, aber es lieſet ſie unterwegs jeder Nar; du ſolteſt die Couverts an mich einſchlagen in fremde.] [Lücke] Melde mir die Ankunft des Mſpt bald. 257. An das Ehepaar Friedlaender in Königsberg. 20 Weimar d. 8 Mai 99. In der Sonderbarkeit Ihres Wunſches, liebe Unbekanten, liegt zugleich deſſen Rechtfertigung, nämlich Ihr reines Vertrauen. Das Sonderbare iſt die Vorausſezung, daß im 18ten Jahrhundert 99 ein Menſch ein neues Linderungsöhl für eine Wunde habe, die den Heil- 25 mitteln der andern Jahrhunderte widerſtand; aber in der Heilkunde macht das Vertrauen den Arzt und das Ach eines theilnehmenden Weſens tröſtet oft mehr als die Troſtpredigt eines kalten. So ſehr oft Menſchen ſich des Antheils am Tode geliebter Seelen anklagen: ſo ſehen Sie doch aus der immer gleichen Zahl derer, die 30 an dieſer oder jener Krankheit ſterben, daß nur ein höheres Geſez uns alle abruft. Nun iſt es ſonderbar, daß wir in der unendlichen Welt- maſchine, worin die Erde kaum ein Rad und wir kaum die Zähne des Rades ſind, über uns die Maſchine vergeſſen, für die wir etwas opfern müſſen, da ſie ſo viel für uns opferte. Gott ſendet den Luther und den 35

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/203
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/203>, abgerufen am 28.04.2024.