Zu Anfang des Märzes flieg ich nach Gotha. Mir, dem Körper und der Phantasie sind Fusreisen die eigentliche Pegasus-Post. -- Ich danke Ihnen für das Billet und das andre.5
215. An Renate Otto.
Weimar d. 28 Febr. 99 [Donnerstag].
Meine gute Renate! Daß wir uns fast so selten schreiben als be- gegnen: daran sind -- Sie schuld, da Sie mein erstes Blätgen aus Leipzig ohne Antwort liessen.10
Gleichwohl gieng oft in der Dämmerung Ihr Bild und unsere Ver- gangenheit mit mir auf und ab. Und in meinen Briefen that ich oft die Fragen eines treuen Herzens über meine ewige Freundin.
[175]Ueber mein jeziges vielfach und oft schön verschlungenes Leben kan ich Ihnen nirgends etwas sagen als auf -- Ihrem Kanapee. Und auf15 dieses sezt mich der Frühling, den diesmal noch der Friede schmücken wird.
Nach meiner Post-Rechnung kömt dieser Brief am Dienstage, also am lezten Tage Ihres Jahres, gleichsam am heiligen Abend und Sonabend einer Lebenswoche an. Gute Renate, an Sonabenden20 waren wir ja immer beisammen. Ein lezter Tag ist mir rührender als ein erster. An jedem lezten bereuet der Mensch die Sorgen des vorigen Jahrs; er sagt zu sich: "die eingetroffene Sorge war ein früherer und verdoppelter Schmerz, und die widerlegte war ein unnüzer." Und was bleibt dan aus einem ganzen langen Jahre für die Erinnerung?25
Hingegen jede erstrittene Freude wohnt ewig in dieser und kömt immer wieder, indes der verbitterte Tag früher stirbt als das Leben.
Gute Renate, ich möchte an Ihrem heiligen Abend neben Ihrem Herzen sein, und Ihnen den Freund zeigen, der noch keines vergessen hat. -- Sei glüklich, liebe Seele, und -- wenn das auf dieser wilden30 Erde zu schwer ist -- sei fest und hoffend!
Richter
Grüsse deinen Man, und deine Eltern; und bring es der lieben Paulline bei, daß sie noch einen Pathen hat, der sich auf sie freuet! --
214. An Böttiger.
[Weimar, Febr. 1799]
Zu Anfang des Märzes flieg ich nach Gotha. Mir, dem Körper und der Phantaſie ſind Fusreiſen die eigentliche Pegaſus-Poſt. — Ich danke Ihnen für das Billet und das andre.5
215. An Renate Otto.
Weimar d. 28 Febr. 99 [Donnerstag].
Meine gute Renate! Daß wir uns faſt ſo ſelten ſchreiben als be- gegnen: daran ſind — Sie ſchuld, da Sie mein erſtes Blätgen aus Leipzig ohne Antwort lieſſen.10
Gleichwohl gieng oft in der Dämmerung Ihr Bild und unſere Ver- gangenheit mit mir auf und ab. Und in meinen Briefen that ich oft die Fragen eines treuen Herzens über meine ewige Freundin.
[175]Ueber mein jeziges vielfach und oft ſchön verſchlungenes Leben kan ich Ihnen nirgends etwas ſagen als auf — Ihrem Kanapee. Und auf15 dieſes ſezt mich der Frühling, den diesmal noch der Friede ſchmücken wird.
Nach meiner Poſt-Rechnung kömt dieſer Brief am Dienſtage, alſo am lezten Tage Ihres Jahres, gleichſam am heiligen Abend und Sonabend einer Lebenswoche an. Gute Renate, an Sonabenden20 waren wir ja immer beiſammen. Ein lezter Tag iſt mir rührender als ein erſter. An jedem lezten bereuet der Menſch die Sorgen des vorigen Jahrs; er ſagt zu ſich: „die eingetroffene Sorge war ein früherer und verdoppelter Schmerz, und die widerlegte war ein unnüzer.“ Und was bleibt dan aus einem ganzen langen Jahre für die Erinnerung?25
Hingegen jede erſtrittene Freude wohnt ewig in dieſer und kömt immer wieder, indes der verbitterte Tag früher ſtirbt als das Leben.
Gute Renate, ich möchte an Ihrem heiligen Abend neben Ihrem Herzen ſein, und Ihnen den Freund zeigen, der noch keines vergeſſen hat. — Sei glüklich, liebe Seele, und — wenn das auf dieſer wilden30 Erde zu ſchwer iſt — ſei feſt und hoffend!
Richter
Grüſſe deinen Man, und deine Eltern; und bring es der lieben Paulline bei, daß ſie noch einen Pathen hat, der ſich auf ſie freuet! —
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214. An Böttiger.
[Weimar, Febr. 1799]
Zu Anfang des Märzes flieg ich nach Gotha. Mir, dem Körper und
der Phantaſie ſind Fusreiſen die eigentliche Pegaſus-Poſt. — Ich
danke Ihnen für das Billet und das andre. 5
215. An Renate Otto.
Weimar d. 28 Febr. 99 [Donnerstag].
Meine gute Renate! Daß wir uns faſt ſo ſelten ſchreiben als be-
gegnen: daran ſind — Sie ſchuld, da Sie mein erſtes Blätgen aus
Leipzig ohne Antwort lieſſen. 10
Gleichwohl gieng oft in der Dämmerung Ihr Bild und unſere Ver-
gangenheit mit mir auf und ab. Und in meinen Briefen that ich oft die
Fragen eines treuen Herzens über meine ewige Freundin.
Ueber mein jeziges vielfach und oft ſchön verſchlungenes Leben kan
ich Ihnen nirgends etwas ſagen als auf — Ihrem Kanapee. Und auf 15
dieſes ſezt mich der Frühling, den diesmal noch der Friede ſchmücken
wird.
[175]
Nach meiner Poſt-Rechnung kömt dieſer Brief am Dienſtage, alſo
am lezten Tage Ihres Jahres, gleichſam am heiligen Abend und
Sonabend einer Lebenswoche an. Gute Renate, an Sonabenden 20
waren wir ja immer beiſammen. Ein lezter Tag iſt mir rührender als
ein erſter. An jedem lezten bereuet der Menſch die Sorgen des vorigen
Jahrs; er ſagt zu ſich: „die eingetroffene Sorge war ein früherer und
verdoppelter Schmerz, und die widerlegte war ein unnüzer.“ Und was
bleibt dan aus einem ganzen langen Jahre für die Erinnerung? 25
Hingegen jede erſtrittene Freude wohnt ewig in dieſer und kömt
immer wieder, indes der verbitterte Tag früher ſtirbt als das Leben.
Gute Renate, ich möchte an Ihrem heiligen Abend neben Ihrem
Herzen ſein, und Ihnen den Freund zeigen, der noch keines vergeſſen
hat. — Sei glüklich, liebe Seele, und — wenn das auf dieſer wilden 30
Erde zu ſchwer iſt — ſei feſt und hoffend!
Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/168>, abgerufen am 26.06.2024.
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