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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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Herder, der aber nicht kam, weil er sich vom Aerger über die zum ersten-
male beschaueten sitlichen und ästhetischen Fehler des "Wallenst[eins]
Lagers" einen Katarrh geholet -- und Hofvolk mitten in Italien
hinein. Eine mailändische Sängerin mit ihrer Mutter, unaussprechlich
hold, kultiviert, kindlich und feurig zugleich -- so schön, daß das Oster-5
lam
sich immer neben sie stelte, um sie zu fressen; denn gefressen wird[152]
sie doch einmal, an irgend einem Hof -- sang zwar nicht mit dem
geschlifnen Metalklang unserer Jageman, aber doch weit -- him-
lischer. An einem Hofe bis ins Herz hinunter aufgeregt zu werden,
unweit des agnus dei, des jungen vorlauten Graf Fries aus Wien,10
und anderer Kavaliere -- meinen alten Einsiedel ausgenommen --
dazu gehöret viel, aber doch nur ein solches Zauberwesen, das einen
auf die Flügel nimt und ohne hörbaren Flug, so zwischen Orangen
und unter welsche Goldsterne niedersezt. Denn in Italien schimmern
aus dem reinern Blau die Sterne golden, nicht silbern.15


Wie wenig Herder lieset -- so Goethe, Schiller, Fichte (der gar
nichts) -- sieh daraus, daß er Jakobi über den Realismus erst las,
weil ich ihn in meinen parakritischen Noten über seine Metakritik
darauf verwies; und von Jakobi bat er sich dessen Spinoza erst zum20
Lesen aus. Ich schlug seinen Brief an diesen in meinen, den er mir
offen gab wie ich ihm meinen zeigte; und ich bin hoff' ich der medius
terminus
dieser edlen Geschiedenen. Beim Himmel, er lobpreist mich
sehr im Briefe an Jakobi. Beiliegendes bezieht sich auf 2 Briefe aus
"Jean P[auls] Briefen" die ich ihm geben muste, der eine enthielt25
mein Testament für meine Töchter, der andere war ein Brief an meinen
Sohn Hans Paul über die Philosophie, worin ich mit einem lyrischen
Lobe des geliebten Herders schliesse. -- Ich gehe in alle seine Predig-
ten -- in die Rathshernloge --, schon -- 2 mal war ich in der Kirche. --

Endlich scheint es Zeit zu sein, Weimar anzuschwärzen nach so30
langem Tünchen. Erstlich stiehlt man hier gewaltig -- z. B. da 300
Hasen reissend weggiengen (denn alles ist hier vol, ausser die Beutel;
es kommen immer mehr Engländer etc.) so stahl man am hellen Tage
der einen Magd den Mantel (den haben sie alle wie Philosophen) und
der andern das Halstuch. Zweitens -- und das ist die Ursache der35
Wirkung -- hat man nichts, das Volk ist eben so arm als schön, d. i.
ein verkehrtes Leipzig. -- In der vorigen Kälte brachte meine Wäsche-

Herder, der aber nicht kam, weil er ſich vom Aerger über die zum erſten-
male beſchaueten ſitlichen und äſthetiſchen Fehler des „Wallenſt[eins]
Lagers“ einen Katarrh geholet — und Hofvolk mitten in Italien
hinein. Eine mailändiſche Sängerin mit ihrer Mutter, unausſprechlich
hold, kultiviert, kindlich und feurig zugleich — ſo ſchön, daß das Oſter-5
lam
ſich immer neben ſie ſtelte, um ſie zu freſſen; denn gefreſſen wird[152]
ſie doch einmal, an irgend einem Hof — ſang zwar nicht mit dem
geſchlifnen Metalklang unſerer Jageman, aber doch weit — him-
liſcher. An einem Hofe bis ins Herz hinunter aufgeregt zu werden,
unweit des agnus dei, des jungen vorlauten Graf Fries aus Wien,10
und anderer Kavaliere — meinen alten Einſiedel ausgenommen —
dazu gehöret viel, aber doch nur ein ſolches Zauberweſen, das einen
auf die Flügel nimt und ohne hörbaren Flug, ſo zwiſchen Orangen
und unter welſche Goldſterne niederſezt. Denn in Italien ſchimmern
aus dem reinern Blau die Sterne golden, nicht ſilbern.15


Wie wenig Herder lieſet — ſo Goethe, Schiller, Fichte (der gar
nichts) — ſieh daraus, daß er Jakobi über den Realiſmus erſt las,
weil ich ihn in meinen parakritiſchen Noten über ſeine Metakritik
darauf verwies; und von Jakobi bat er ſich deſſen Spinoza erſt zum20
Leſen aus. Ich ſchlug ſeinen Brief an dieſen in meinen, den er mir
offen gab wie ich ihm meinen zeigte; und ich bin hoff’ ich der medius
terminus
dieſer edlen Geſchiedenen. Beim Himmel, er lobpreiſt mich
ſehr im Briefe an Jakobi. Beiliegendes bezieht ſich auf 2 Briefe aus
„Jean P[auls] Briefen“ die ich ihm geben muſte, der eine enthielt25
mein Teſtament für meine Töchter, der andere war ein Brief an meinen
Sohn Hans Paul über die Philoſophie, worin ich mit einem lyriſchen
Lobe des geliebten Herders ſchlieſſe. — Ich gehe in alle ſeine Predig-
ten — in die Rathshernloge —, ſchon — 2 mal war ich in der Kirche. —

Endlich ſcheint es Zeit zu ſein, Weimar anzuſchwärzen nach ſo30
langem Tünchen. Erſtlich ſtiehlt man hier gewaltig — z. B. da 300
Haſen reiſſend weggiengen (denn alles iſt hier vol, auſſer die Beutel;
es kommen immer mehr Engländer ꝛc.) ſo ſtahl man am hellen Tage
der einen Magd den Mantel (den haben ſie alle wie Philoſophen) und
der andern das Halstuch. Zweitens — und das iſt die Urſache der35
Wirkung — hat man nichts, das Volk iſt eben ſo arm als ſchön, d. i.
ein verkehrtes Leipzig. — In der vorigen Kälte brachte meine Wäſche-

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[137/0147] Herder, der aber nicht kam, weil er ſich vom Aerger über die zum erſten- male beſchaueten ſitlichen und äſthetiſchen Fehler des „Wallenſt[eins] Lagers“ einen Katarrh geholet — und Hofvolk mitten in Italien hinein. Eine mailändiſche Sängerin mit ihrer Mutter, unausſprechlich hold, kultiviert, kindlich und feurig zugleich — ſo ſchön, daß das Oſter- 5 lam ſich immer neben ſie ſtelte, um ſie zu freſſen; denn gefreſſen wird ſie doch einmal, an irgend einem Hof — ſang zwar nicht mit dem geſchlifnen Metalklang unſerer Jageman, aber doch weit — him- liſcher. An einem Hofe bis ins Herz hinunter aufgeregt zu werden, unweit des agnus dei, des jungen vorlauten Graf Fries aus Wien, 10 und anderer Kavaliere — meinen alten Einſiedel ausgenommen — dazu gehöret viel, aber doch nur ein ſolches Zauberweſen, das einen auf die Flügel nimt und ohne hörbaren Flug, ſo zwiſchen Orangen und unter welſche Goldſterne niederſezt. Denn in Italien ſchimmern aus dem reinern Blau die Sterne golden, nicht ſilbern. 15 [152] d. 17 Decem. Wie wenig Herder lieſet — ſo Goethe, Schiller, Fichte (der gar nichts) — ſieh daraus, daß er Jakobi über den Realiſmus erſt las, weil ich ihn in meinen parakritiſchen Noten über ſeine Metakritik darauf verwies; und von Jakobi bat er ſich deſſen Spinoza erſt zum 20 Leſen aus. Ich ſchlug ſeinen Brief an dieſen in meinen, den er mir offen gab wie ich ihm meinen zeigte; und ich bin hoff’ ich der medius terminus dieſer edlen Geſchiedenen. Beim Himmel, er lobpreiſt mich ſehr im Briefe an Jakobi. Beiliegendes bezieht ſich auf 2 Briefe aus „Jean P[auls] Briefen“ die ich ihm geben muſte, der eine enthielt 25 mein Teſtament für meine Töchter, der andere war ein Brief an meinen Sohn Hans Paul über die Philoſophie, worin ich mit einem lyriſchen Lobe des geliebten Herders ſchlieſſe. — Ich gehe in alle ſeine Predig- ten — in die Rathshernloge —, ſchon — 2 mal war ich in der Kirche. — Endlich ſcheint es Zeit zu ſein, Weimar anzuſchwärzen nach ſo 30 langem Tünchen. Erſtlich ſtiehlt man hier gewaltig — z. B. da 300 Haſen reiſſend weggiengen (denn alles iſt hier vol, auſſer die Beutel; es kommen immer mehr Engländer ꝛc.) ſo ſtahl man am hellen Tage der einen Magd den Mantel (den haben ſie alle wie Philoſophen) und der andern das Halstuch. Zweitens — und das iſt die Urſache der 35 Wirkung — hat man nichts, das Volk iſt eben ſo arm als ſchön, d. i. ein verkehrtes Leipzig. — In der vorigen Kälte brachte meine Wäſche-

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/147>, abgerufen am 23.11.2024.