Brief ist sehr wahr und fein und Lob und Tadel schön gemischt. -- So- gar den gestrigen Brief der Berlepsch send' ich.
O wie sehn ich mich wieder an euere reinen warmen festen Herzen! -- Zu welchem Frühling trägt jezt das Schiksal die Farben zusammen! Lebt wohl und seelig!5
10. An Emilie von Berlepsch in Weimar.
Leipzig d. 17 Nov. 97.
Mein Ihnen so unähnlicher Ort und Ihr Ihnen so gleicher Brief machen, daß ich eine 1/4 Stunde nach seinem Empfang mit der über-[10] quellenden Seele, womit ich oft in den Stunden des schaffenden10 Enthusiasmus mich auf den Klaviertasten ausströme, für den emp- fangnen die Feder suche. O meine geliebte Emilie! wie sehr lern' ich Sie immer mehr lieben! Ach ohne das Herz meines Oertels -- oder unsers Oertels, denn er kent Sie nun durch mich und Sie -- hätt' ich Ihres nicht so lang entbehren können. Emilie, wie wil ich dich lieben,15 wie seelig werd' ich an deinem Auge weinen, wie werden wir immer schöner und höher unsere Herz[en] an einander bewegen! Um es zu wissen, wie man eine Seele liebt, mus man sich die Hofnung des Wiedersehens wegträumen und dan die Hand auf den beraubten Busen legen und ihn fragen, ob er nicht breche -- ich habe mich schon gefragt,20 Emilie -- -- und doch würd' ich im Frühling noch grössere Schmerzen haben, denn ich hätte noch grössere Liebe. Jede Empfindung hält sich zwar für gränzenlos, aber die Erinnerung sagt ihr oder mir das was sie (es wäre sonst Widerspruch) nicht fühlen kan, daß sie wachsen werde.25
Sie wissen, daß ich so oft die Wortsprache über die Körpersprache seze; aber doch fühl' ich -- und in dieser Minute -- daß jene die Sehn- sucht nach dieser nicht nimt sondern mehrt, daß aber diese beinahe jene entbehren wil, wenn der Mensch an der Seite und an den Augen und an den Herzen und an den Lippen seiner geliebten Seele ist. Ach30 wie viel gäb ich für eine Stunde Ihrer Gegenwart nach dieser Stunde!
Sontags den 19 Nov.
Ihre mehr gute als wahre Meinung von mir wird mich besser machen und jeden Monat sollen Sie weniger irren. --
Meine ganze Seele hatte Schmerzen über den rechtschaffenen S.35 Er vermengt freilich seinen Körper mit seiner Seele; aber die Ein-
Brief iſt ſehr wahr und fein und Lob und Tadel ſchön gemiſcht. — So- gar den geſtrigen Brief der Berlepsch ſend’ ich.
O wie ſehn ich mich wieder an euere reinen warmen feſten Herzen! — Zu welchem Frühling trägt jezt das Schikſal die Farben zuſammen! Lebt wohl und ſeelig!5
10. An Emilie von Berlepſch in Weimar.
Leipzig d. 17 Nov. 97.
Mein Ihnen ſo unähnlicher Ort und Ihr Ihnen ſo gleicher Brief machen, daß ich eine ¼ Stunde nach ſeinem Empfang mit der über-[10] quellenden Seele, womit ich oft in den Stunden des ſchaffenden10 Enthuſiaſmus mich auf den Klaviertaſten ausſtröme, für den emp- fangnen die Feder ſuche. O meine geliebte Emilie! wie ſehr lern’ ich Sie immer mehr lieben! Ach ohne das Herz meines Oertels — oder unſers Oertels, denn er kent Sie nun durch mich und Sie — hätt’ ich Ihres nicht ſo lang entbehren können. Emilie, wie wil ich dich lieben,15 wie ſeelig werd’ ich an deinem Auge weinen, wie werden wir immer ſchöner und höher unſere Herz[en] an einander bewegen! Um es zu wiſſen, wie man eine Seele liebt, mus man ſich die Hofnung des Wiederſehens wegträumen und dan die Hand auf den beraubten Buſen legen und ihn fragen, ob er nicht breche — ich habe mich ſchon gefragt,20 Emilie — — und doch würd’ ich im Frühling noch gröſſere Schmerzen haben, denn ich hätte noch gröſſere Liebe. Jede Empfindung hält ſich zwar für gränzenlos, aber die Erinnerung ſagt ihr oder mir das was ſie (es wäre ſonſt Widerſpruch) nicht fühlen kan, daß ſie wachſen werde.25
Sie wiſſen, daß ich ſo oft die Wortſprache über die Körperſprache ſeze; aber doch fühl’ ich — und in dieſer Minute — daß jene die Sehn- ſucht nach dieſer nicht nimt ſondern mehrt, daß aber dieſe beinahe jene entbehren wil, wenn der Menſch an der Seite und an den Augen und an den Herzen und an den Lippen ſeiner geliebten Seele iſt. Ach30 wie viel gäb ich für eine Stunde Ihrer Gegenwart nach dieſer Stunde!
Sontags den 19 Nov.
Ihre mehr gute als wahre Meinung von mir wird mich beſſer machen und jeden Monat ſollen Sie weniger irren. —
Meine ganze Seele hatte Schmerzen über den rechtſchaffenen S.35 Er vermengt freilich ſeinen Körper mit ſeiner Seele; aber die Ein-
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Brief iſt ſehr wahr und fein und Lob und Tadel ſchön gemiſcht. — So-
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O wie ſehn ich mich wieder an euere reinen warmen feſten Herzen!
— Zu welchem Frühling trägt jezt das Schikſal die Farben zuſammen!
Lebt wohl und ſeelig! 5
10. An Emilie von Berlepſch in Weimar.
Leipzig d. 17 Nov. 97.
Mein Ihnen ſo unähnlicher Ort und Ihr Ihnen ſo gleicher Brief
machen, daß ich eine ¼ Stunde nach ſeinem Empfang mit der über-
quellenden Seele, womit ich oft in den Stunden des ſchaffenden 10
Enthuſiaſmus mich auf den Klaviertaſten ausſtröme, für den emp-
fangnen die Feder ſuche. O meine geliebte Emilie! wie ſehr lern’ ich
Sie immer mehr lieben! Ach ohne das Herz meines Oertels — oder
unſers Oertels, denn er kent Sie nun durch mich und Sie — hätt’ ich
Ihres nicht ſo lang entbehren können. Emilie, wie wil ich dich lieben, 15
wie ſeelig werd’ ich an deinem Auge weinen, wie werden wir immer
ſchöner und höher unſere Herz[en] an einander bewegen! Um es zu
wiſſen, wie man eine Seele liebt, mus man ſich die Hofnung des
Wiederſehens wegträumen und dan die Hand auf den beraubten Buſen
legen und ihn fragen, ob er nicht breche — ich habe mich ſchon gefragt, 20
Emilie — — und doch würd’ ich im Frühling noch gröſſere Schmerzen
haben, denn ich hätte noch gröſſere Liebe. Jede Empfindung hält ſich
zwar für gränzenlos, aber die Erinnerung ſagt ihr oder mir das
was ſie (es wäre ſonſt Widerſpruch) nicht fühlen kan, daß ſie wachſen
werde. 25
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Sie wiſſen, daß ich ſo oft die Wortſprache über die Körperſprache
ſeze; aber doch fühl’ ich — und in dieſer Minute — daß jene die Sehn-
ſucht nach dieſer nicht nimt ſondern mehrt, daß aber dieſe beinahe
jene entbehren wil, wenn der Menſch an der Seite und an den Augen
und an den Herzen und an den Lippen ſeiner geliebten Seele iſt. Ach 30
wie viel gäb ich für eine Stunde Ihrer Gegenwart nach dieſer Stunde!
Sontags den 19 Nov.
Ihre mehr gute als wahre Meinung von mir wird mich beſſer
machen und jeden Monat ſollen Sie weniger irren. —
Meine ganze Seele hatte Schmerzen über den rechtſchaffenen S. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/14>, abgerufen am 24.07.2024.
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