wenig den Himmel und die Knospen aufthut, mich von Frühlings Lüften in Ihr Eden wehen lasse.
Aber ich bitte Sie, mir ausser dem Preise und Datum noch etwas anders zu schreiben -- nämlich einen Brief. Leben Sie wol, Geliebter von5
Ihrem Freunde Richter.
76. An Matzdorff in Berlin.
[Kopie][Hof, 16. März 1795]10
Alles was Ihren Brief begleitet konte mich nicht so sehr über- raschen als das was er enthält. Sie konten nie ein schöneres Bild von Ihrem Innern aus Ihrem Briefe wie aus einem Spiegel über so viele Poststazionen hinweg zu mir herauswerfen als ich jezt mit Freuden anschaue -- wir kennen uns nun, ohne auf Messen mit einander in15 ital[ienischen] Kellern gewesen zu sein -- Sie haben nichts vom Kauf- man als den Reichthum etc. Ich liebe gerne den ewigen und verewigten Moriz in denen, die er geliebt, wie man sich dem Johannes milder zu- neigt, weil er am Busen des grösten Juden gelegen -- der littera[rische] Hochbootmansjunge: solche Leute sind das transfusorische [?] Flies-20 oder Löschpapier, das am guten Papier nichts einsaugt als Klekse und auf das selber nichts zu schreiben ist.
[54]77. An Christian Otto.
H[of] d. 18 März. 95.
Lieber Christian25
Hier ist das zu lange Reisejournal Fälbels; und zugleich dein Exorzismus dabei, der vor einigen Jahren Teufel aus mir jagte, von denen ich mich nur wundere, daß sie mich besessen haben. Meine jezige Umarbeitung ist blos eine Rechtfertigung deines Tadels -- und den Anlas zum leztern, die erste Ausgabe, hab ich wiewol mit vieler30 Schamröthe auch beigelegt. -- So ist der Mensch: nur ist das unser Seelenkrebs, daß wir eben aus den Veränderungen, die wir schon mit uns haben treffen müssen, nichts schliessen als das daß wir um so weniger -- neue brauchen. Kurz unsere Veränderlichkeit ist uns das Pfand unserer Unveränderlichkeit.35
wenig den Himmel und die Knoſpen aufthut, mich von Frühlings Lüften in Ihr Eden wehen laſſe.
Aber ich bitte Sie, mir auſſer dem Preiſe und Datum noch etwas anders zu ſchreiben — nämlich einen Brief. Leben Sie wol, Geliebter von5
Ihrem Freunde Richter.
76. An Matzdorff in Berlin.
[Kopie][Hof, 16. März 1795]10
Alles was Ihren Brief begleitet konte mich nicht ſo ſehr über- raſchen als das was er enthält. Sie konten nie ein ſchöneres Bild von Ihrem Innern aus Ihrem Briefe wie aus einem Spiegel über ſo viele Poſtſtazionen hinweg zu mir herauswerfen als ich jezt mit Freuden anſchaue — wir kennen uns nun, ohne auf Meſſen mit einander in15 ital[ieniſchen] Kellern geweſen zu ſein — Sie haben nichts vom Kauf- man als den Reichthum ꝛc. Ich liebe gerne den ewigen und verewigten Moriz in denen, die er geliebt, wie man ſich dem Johannes milder zu- neigt, weil er am Buſen des gröſten Juden gelegen — der littera[riſche] Hochbootmansjunge: ſolche Leute ſind das transfuſoriſche [?] Flies-20 oder Löſchpapier, das am guten Papier nichts einſaugt als Klekſe und auf das ſelber nichts zu ſchreiben iſt.
[54]77. An Chriſtian Otto.
H[of] d. 18 März. 95.
Lieber Chriſtian25
Hier iſt das zu lange Reiſejournal Fälbels; und zugleich dein Exorziſmus dabei, der vor einigen Jahren Teufel aus mir jagte, von denen ich mich nur wundere, daß ſie mich beſeſſen haben. Meine jezige Umarbeitung iſt blos eine Rechtfertigung deines Tadels — und den Anlas zum leztern, die erſte Ausgabe, hab ich wiewol mit vieler30 Schamröthe auch beigelegt. — So iſt der Menſch: nur iſt das unſer Seelenkrebs, daß wir eben aus den Veränderungen, die wir ſchon mit uns haben treffen müſſen, nichts ſchlieſſen als das daß wir um ſo weniger — neue brauchen. Kurz unſere Veränderlichkeit iſt uns das Pfand unſerer Unveränderlichkeit.35
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wenig den Himmel und die Knoſpen aufthut, mich von Frühlings
Lüften in Ihr Eden wehen laſſe.
Aber ich bitte Sie, mir auſſer dem Preiſe und Datum noch etwas
anders zu ſchreiben — nämlich einen Brief. Leben Sie wol, Geliebter
von 5
Ihrem
Freunde
Richter.
76. An Matzdorff in Berlin.
[Hof, 16. März 1795] 10
Alles was Ihren Brief begleitet konte mich nicht ſo ſehr über-
raſchen als das was er enthält. Sie konten nie ein ſchöneres Bild von
Ihrem Innern aus Ihrem Briefe wie aus einem Spiegel über ſo viele
Poſtſtazionen hinweg zu mir herauswerfen als ich jezt mit Freuden
anſchaue — wir kennen uns nun, ohne auf Meſſen mit einander in 15
ital[ieniſchen] Kellern geweſen zu ſein — Sie haben nichts vom Kauf-
man als den Reichthum ꝛc. Ich liebe gerne den ewigen und verewigten
Moriz in denen, die er geliebt, wie man ſich dem Johannes milder zu-
neigt, weil er am Buſen des gröſten Juden gelegen — der littera[riſche]
Hochbootmansjunge: ſolche Leute ſind das transfuſoriſche [?] Flies- 20
oder Löſchpapier, das am guten Papier nichts einſaugt als Klekſe und
auf das ſelber nichts zu ſchreiben iſt.
77. An Chriſtian Otto.
H[of] d. 18 März. 95.
Lieber Chriſtian 25
Hier iſt das zu lange Reiſejournal Fälbels; und zugleich dein
Exorziſmus dabei, der vor einigen Jahren Teufel aus mir jagte, von
denen ich mich nur wundere, daß ſie mich beſeſſen haben. Meine jezige
Umarbeitung iſt blos eine Rechtfertigung deines Tadels — und den
Anlas zum leztern, die erſte Ausgabe, hab ich wiewol mit vieler 30
Schamröthe auch beigelegt. — So iſt der Menſch: nur iſt das unſer
Seelenkrebs, daß wir eben aus den Veränderungen, die wir ſchon mit
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Pfand unſerer Unveränderlichkeit. 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/69>, abgerufen am 16.02.2025.
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