Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.Sie, darf man ja wol rathen, wieder einen zu machen, weil sonst das Denken Sie sich in die fremde Person -- jeder hasset durchaus nur "Da Sie mich sonst liebten: so hab' ich die Ursachen zu errathen Beleidigen Sie nur die Eitelkeit nicht. Wählen Sie die weichsten Sonderbar! An sich liebt man Heftigkeit, an andern Ergebung -- *) Freilich handelt ** in unserem Auge gegen seine Grundsäze, aber nicht
in seinem. Ach der ewig betrogne Mensch sagt ewig: "ich bleibe mir und meiner35 "Tugend getreu; freilich fehl' ich zuweilen, aber das ist nur Uebereilung, Tempera- "ment." So sind wir alle. Sie, darf man ja wol rathen, wieder einen zu machen, weil ſonſt das Denken Sie ſich in die fremde Perſon — jeder haſſet durchaus nur „Da Sie mich ſonſt liebten: ſo hab’ ich die Urſachen zu errathen Beleidigen Sie nur die Eitelkeit nicht. Wählen Sie die weichſten Sonderbar! An ſich liebt man Heftigkeit, an andern Ergebung — *) Freilich handelt ** in unſerem Auge gegen ſeine Grundſäze, aber nicht
in ſeinem. Ach der ewig betrogne Menſch ſagt ewig: „ich bleibe mir und meiner35 „Tugend getreu; freilich fehl’ ich zuweilen, aber das iſt nur Uebereilung, Tempera- „ment.“ So ſind wir alle. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0067" n="58"/> Sie, darf man ja wol rathen, wieder einen zu machen, weil ſonſt das<lb/> Gewitter immer über Einem Orte bleibt, und zwar einen nach<lb/> folgendem Plane:</p><lb/> <p>Denken Sie ſich in die fremde Perſon — jeder haſſet durchaus nur<lb/> moraliſche Häslichkeit, eingebildete oder wahre — Folglich müſſen<lb n="5"/> Sie nicht <hi rendition="#g">Ihre</hi> Meinung von ſich beim Andern vorausſezen (und<lb/> daraus gegen ſeine Billigkeit folgern) ſondern <hi rendition="#g">ſeine.</hi> Folglich müſſen<lb/> Sie <hi rendition="#g">dieſe</hi> angreifen. Ich würde ſo ſagen (verzeihen Sie ja mein<lb/> vielleicht ungelenkes Wolmeinen, um ſo mehr da ich jezt keine Zeit<lb/> habe, ihm die ſanftere Wendung zu geben):<lb n="10"/> </p> <p>„Da Sie mich ſonſt liebten: ſo hab’ ich die Urſachen zu errathen<lb/> geſucht, die Sie, da Sie nicht gegen Ihre Grundſäze<note place="foot" n="*)">Freilich handelt ** in <hi rendition="#g">unſerem</hi> Auge gegen ſeine Grundſäze, aber nicht<lb/> in <hi rendition="#g">ſeinem.</hi> Ach der ewig betrogne Menſch ſagt ewig: „ich bleibe mir und meiner<lb n="35"/> „Tugend getreu; freilich fehl’ ich zuweilen, aber das iſt nur Uebereilung, Tempera-<lb/> „ment.“ So ſind wir alle.</note> handeln, in<lb/> Ihrer Meinung änderten. Wenn Sie das und das ꝛc. denken — wenn<lb/> Sie von meinem Betragen <hi rendition="#g">dieſe</hi> Auslegung machen — („„Sie<lb/> „„müſſen jezt mit Anſtrengung ſich in <hi rendition="#g">die</hi> Verdrehungen hinein-<lb n="15"/> „„denken, womit man Ihr Schweigen, Dulden, Handeln zu einem<lb/> „„ſchlimmen verkehrt““) — wenn Sie alſo ſo denken: ſo <hi rendition="#g">müſſen</hi><lb/> Sie mich ſo behandeln. Aber nicht Ihr Auge, ſondern das Licht iſt<lb/> falſch, worin Sie mich ſehen.“ Jezt, Freundin, ſagen Sie alles, womit<lb/> das gekränkte ſchuldloſe Herz über den Argwohn ſiegt.<lb n="20"/> </p> <p>Beleidigen Sie nur die <hi rendition="#g">Eitelkeit</hi> nicht. Wählen Sie die weichſten<lb/> Worte. Man mus <hi rendition="#g">ſanft ſprechen,</hi> obwol <hi rendition="#g">fe</hi>ſt (und oft <hi rendition="#g">hart)<lb/> handeln:</hi> unter meinen Handlungen erlaubt mir das Gewiſſen keine<lb/> Wahl, aber unter meinen Worten; und glauben Sie mir, man macht<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_52">[52]</ref></note>ſich zehnmal weniger Feinde durch ſtrenges Thun als durch ſtrenges<lb n="25"/> Reden.</p><lb/> <p>Sonderbar! An ſich liebt man Heftigkeit, an andern Ergebung —<lb/> im Roman achten Sie nicht die ſtürmende, kräftige ſich entgegen-<lb/> ſtemmende Heldin am meiſten, ſondern die, die mit allen Kräften zur<lb/> Gegenwehr gerüſtet doch mit einem feuchten Auge alle Waffen<lb n="30"/> hinlegt und ſagt: „mishandelt mich nur, ich wil es dulden.“ Nur dan<lb/> iſt Nachgeben und Dulden verächtlich, wenn es aus Kraftloſigkeit und<lb/> Muthloſigkeit entſteht; aber wenn man in ſich das Vermögen bren-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [58/0067]
Sie, darf man ja wol rathen, wieder einen zu machen, weil ſonſt das
Gewitter immer über Einem Orte bleibt, und zwar einen nach
folgendem Plane:
Denken Sie ſich in die fremde Perſon — jeder haſſet durchaus nur
moraliſche Häslichkeit, eingebildete oder wahre — Folglich müſſen 5
Sie nicht Ihre Meinung von ſich beim Andern vorausſezen (und
daraus gegen ſeine Billigkeit folgern) ſondern ſeine. Folglich müſſen
Sie dieſe angreifen. Ich würde ſo ſagen (verzeihen Sie ja mein
vielleicht ungelenkes Wolmeinen, um ſo mehr da ich jezt keine Zeit
habe, ihm die ſanftere Wendung zu geben): 10
„Da Sie mich ſonſt liebten: ſo hab’ ich die Urſachen zu errathen
geſucht, die Sie, da Sie nicht gegen Ihre Grundſäze *) handeln, in
Ihrer Meinung änderten. Wenn Sie das und das ꝛc. denken — wenn
Sie von meinem Betragen dieſe Auslegung machen — („„Sie
„„müſſen jezt mit Anſtrengung ſich in die Verdrehungen hinein- 15
„„denken, womit man Ihr Schweigen, Dulden, Handeln zu einem
„„ſchlimmen verkehrt““) — wenn Sie alſo ſo denken: ſo müſſen
Sie mich ſo behandeln. Aber nicht Ihr Auge, ſondern das Licht iſt
falſch, worin Sie mich ſehen.“ Jezt, Freundin, ſagen Sie alles, womit
das gekränkte ſchuldloſe Herz über den Argwohn ſiegt. 20
Beleidigen Sie nur die Eitelkeit nicht. Wählen Sie die weichſten
Worte. Man mus ſanft ſprechen, obwol feſt (und oft hart)
handeln: unter meinen Handlungen erlaubt mir das Gewiſſen keine
Wahl, aber unter meinen Worten; und glauben Sie mir, man macht
ſich zehnmal weniger Feinde durch ſtrenges Thun als durch ſtrenges 25
Reden.
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Sonderbar! An ſich liebt man Heftigkeit, an andern Ergebung —
im Roman achten Sie nicht die ſtürmende, kräftige ſich entgegen-
ſtemmende Heldin am meiſten, ſondern die, die mit allen Kräften zur
Gegenwehr gerüſtet doch mit einem feuchten Auge alle Waffen 30
hinlegt und ſagt: „mishandelt mich nur, ich wil es dulden.“ Nur dan
iſt Nachgeben und Dulden verächtlich, wenn es aus Kraftloſigkeit und
Muthloſigkeit entſteht; aber wenn man in ſich das Vermögen bren-
*) Freilich handelt ** in unſerem Auge gegen ſeine Grundſäze, aber nicht
in ſeinem. Ach der ewig betrogne Menſch ſagt ewig: „ich bleibe mir und meiner 35
„Tugend getreu; freilich fehl’ ich zuweilen, aber das iſt nur Uebereilung, Tempera-
„ment.“ So ſind wir alle.
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(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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