N. S. Ich werde wahrscheinlich heute kommen, weil es mir nach einem solchen Briefe zu wehe thäte, Sie zum erstenmale in Beisein eines abwesenden Paars zu sehen, das sich auf eine sehr undelikate Weise in unser Verhältnis mengte und dem ich meine meisten Mis- deutungen und Ihre meisten Anlässe dazu schuldzugeben habe. Ich gehe5 sogar heute wieder hinauf zu Ihnen, weils doch schwerlich mehr ge- schehen wird -- Ist Ihnen aber meine Erscheinung in der Lernstube un- bequem: so sol mir ein zusammengelegtes leeres oder volles Papier, das ich unter dem ersten Buche auf dem Tische in der Dämmerungs- oder Durchgangsstube um 9 Uhr finde, das Zeichen sein, daß ich nicht10 kommen sol. Ich bin müde, müde und ausgeschöpft.
45. An Christian Otto.
[Hof, 8. Dez. 1794?]
Möchtest du heute nicht mit zu Herold? (Eben hör' ich daß die Frank- [ischen] vielleicht hinunterkommen) -- Deinen Aufsaz, den ich gestern15 im Lichte meiner Blendleuchte erbrochen habe, geb ich dir erst Morgen Abends mit meinen Anmerkungen und mit einem längern Lobe für den gerührten poetischen Tag, den er malet und den er giebt, zurük als auf dieses Blätgen geht. Er hat mich sehr schön überrascht, Alter Lieber!
Apropos! Der Wagner hat mir den neuen Theil von Forster ge-20 geben.
46. An Christian Otto.
Hof d. 9 Dec. 94.
Mein lieber Guter,
Du hast mich sehr gefreuet, daß du mich noch auf eine nähere Art als25 am Tage auf deine Spaziergänge mitgenommen. Ich kan dir nicht be- schreiben, wie sanft und süs sich alles Poetische und Milde in meine[32] arme nach eignen und fremden Ergiessungen lechzende Seele einsaugt. Ob du mir gleich vor vielen Jahren etwas von weitem ähnliches ge- geben -- es betraf die Halle einer katholischen Kirche im Sonnen-30 untergang --: so lies es doch dieser Seite an dir noch in meinen Augen die Neuheit. Du zwingst mich (zumal durch deinen lezten Brief) durch deine bescheidene Art, mein Lob auszulegen -- indes du bei mir eine entgegengesezte voraussezest -- überal recht bestimt zu sein. Ich lobe eben so gut durch Schweigen am stärksten wie du, nur daß oft der35
N. S. Ich werde wahrſcheinlich heute kommen, weil es mir nach einem ſolchen Briefe zu wehe thäte, Sie zum erſtenmale in Beiſein eines abweſenden Paars zu ſehen, das ſich auf eine ſehr undelikate Weiſe in unſer Verhältnis mengte und dem ich meine meiſten Mis- deutungen und Ihre meiſten Anläſſe dazu ſchuldzugeben habe. Ich gehe5 ſogar heute wieder hinauf zu Ihnen, weils doch ſchwerlich mehr ge- ſchehen wird — Iſt Ihnen aber meine Erſcheinung in der Lernſtube un- bequem: ſo ſol mir ein zuſammengelegtes leeres oder volles Papier, das ich unter dem erſten Buche auf dem Tiſche in der Dämmerungs- oder Durchgangsſtube um 9 Uhr finde, das Zeichen ſein, daß ich nicht10 kommen ſol. Ich bin müde, müde und ausgeſchöpft.
45. An Chriſtian Otto.
[Hof, 8. Dez. 1794?]
Möchteſt du heute nicht mit zu Herold? (Eben hör’ ich daß die Frank- [iſchen] vielleicht hinunterkommen) — Deinen Aufſaz, den ich geſtern15 im Lichte meiner Blendleuchte erbrochen habe, geb ich dir erſt Morgen Abends mit meinen Anmerkungen und mit einem längern Lobe für den gerührten poetiſchen Tag, den er malet und den er giebt, zurük als auf dieſes Blätgen geht. Er hat mich ſehr ſchön überraſcht, Alter Lieber!
Apropos! Der Wagner hat mir den neuen Theil von Forſter ge-20 geben.
46. An Chriſtian Otto.
Hof d. 9 Dec. 94.
Mein lieber Guter,
Du haſt mich ſehr gefreuet, daß du mich noch auf eine nähere Art als25 am Tage auf deine Spaziergänge mitgenommen. Ich kan dir nicht be- ſchreiben, wie ſanft und ſüs ſich alles Poetiſche und Milde in meine[32] arme nach eignen und fremden Ergieſſungen lechzende Seele einſaugt. Ob du mir gleich vor vielen Jahren etwas von weitem ähnliches ge- geben — es betraf die Halle einer katholiſchen Kirche im Sonnen-30 untergang —: ſo lies es doch dieſer Seite an dir noch in meinen Augen die Neuheit. Du zwingſt mich (zumal durch deinen lezten Brief) durch deine beſcheidene Art, mein Lob auszulegen — indes du bei mir eine entgegengeſezte vorausſezeſt — überal recht beſtimt zu ſein. Ich lobe eben ſo gut durch Schweigen am ſtärkſten wie du, nur daß oft der35
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0048"n="39"/><postscript><p>N. S. Ich werde wahrſcheinlich heute kommen, weil es mir nach<lb/>
einem ſolchen Briefe zu wehe thäte, Sie zum erſtenmale in Beiſein<lb/>
eines abweſenden Paars zu ſehen, das ſich auf eine ſehr undelikate<lb/>
Weiſe in unſer Verhältnis mengte und dem ich meine meiſten Mis-<lb/>
deutungen und Ihre meiſten Anläſſe dazu ſchuldzugeben habe. Ich gehe<lbn="5"/>ſogar heute wieder hinauf zu Ihnen, weils doch ſchwerlich mehr ge-<lb/>ſchehen wird — Iſt Ihnen aber meine Erſcheinung in der Lernſtube un-<lb/>
bequem: ſo ſol mir ein zuſammengelegtes leeres oder volles Papier,<lb/>
das ich unter dem erſten Buche auf dem Tiſche in der Dämmerungs-<lb/>
oder Durchgangsſtube um 9 Uhr finde, das Zeichen ſein, daß ich nicht<lbn="10"/>
kommen ſol. Ich bin müde, müde und ausgeſchöpft.</p></postscript></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>45. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Hof, 8. Dez. 1794?]</hi></dateline><lb/><p>Möchteſt du heute nicht mit zu <hirendition="#aq">Herold?</hi> (Eben hör’ ich daß die Frank-<lb/>
[iſchen] vielleicht hinunterkommen) — Deinen Aufſaz, den ich geſtern<lbn="15"/>
im Lichte meiner Blendleuchte erbrochen habe, geb ich dir erſt Morgen<lb/>
Abends mit meinen Anmerkungen und mit einem längern Lobe für den<lb/>
gerührten poetiſchen Tag, den er malet und den er giebt, zurük als auf<lb/>
dieſes Blätgen geht. Er hat mich ſehr ſchön überraſcht, Alter Lieber!</p><lb/><p>Apropos! Der Wagner hat mir den <hirendition="#b">neuen</hi> Theil von Forſter ge-<lbn="20"/>
geben.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>46. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Hof d. 9 Dec.</hi> 94.</hi></dateline><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Mein lieber Guter,</hi></salute></opener><lb/><p>Du haſt mich ſehr gefreuet, daß du mich noch auf eine nähere Art als<lbn="25"/>
am Tage auf deine Spaziergänge mitgenommen. Ich kan dir nicht be-<lb/>ſchreiben, wie ſanft und ſüs ſich alles Poetiſche und Milde in meine<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_32">[32]</ref></note><lb/>
arme nach eignen und fremden Ergieſſungen lechzende Seele einſaugt.<lb/>
Ob du mir gleich vor vielen Jahren etwas von weitem ähnliches ge-<lb/>
geben — es betraf die Halle einer katholiſchen Kirche im Sonnen-<lbn="30"/>
untergang —: ſo lies es doch dieſer Seite an dir noch in meinen Augen<lb/>
die <hirendition="#g">Neuheit.</hi> Du zwingſt mich (zumal durch deinen lezten Brief) durch<lb/>
deine beſcheidene Art, mein Lob auszulegen — indes du bei mir eine<lb/>
entgegengeſezte vorausſezeſt — überal recht beſtimt zu ſein. Ich lobe<lb/>
eben ſo gut durch Schweigen am ſtärkſten wie du, nur daß oft der<lbn="35"/></p></div></body></text></TEI>
[39/0048]
N. S. Ich werde wahrſcheinlich heute kommen, weil es mir nach
einem ſolchen Briefe zu wehe thäte, Sie zum erſtenmale in Beiſein
eines abweſenden Paars zu ſehen, das ſich auf eine ſehr undelikate
Weiſe in unſer Verhältnis mengte und dem ich meine meiſten Mis-
deutungen und Ihre meiſten Anläſſe dazu ſchuldzugeben habe. Ich gehe 5
ſogar heute wieder hinauf zu Ihnen, weils doch ſchwerlich mehr ge-
ſchehen wird — Iſt Ihnen aber meine Erſcheinung in der Lernſtube un-
bequem: ſo ſol mir ein zuſammengelegtes leeres oder volles Papier,
das ich unter dem erſten Buche auf dem Tiſche in der Dämmerungs-
oder Durchgangsſtube um 9 Uhr finde, das Zeichen ſein, daß ich nicht 10
kommen ſol. Ich bin müde, müde und ausgeſchöpft.
45. An Chriſtian Otto.
[Hof, 8. Dez. 1794?]
Möchteſt du heute nicht mit zu Herold? (Eben hör’ ich daß die Frank-
[iſchen] vielleicht hinunterkommen) — Deinen Aufſaz, den ich geſtern 15
im Lichte meiner Blendleuchte erbrochen habe, geb ich dir erſt Morgen
Abends mit meinen Anmerkungen und mit einem längern Lobe für den
gerührten poetiſchen Tag, den er malet und den er giebt, zurük als auf
dieſes Blätgen geht. Er hat mich ſehr ſchön überraſcht, Alter Lieber!
Apropos! Der Wagner hat mir den neuen Theil von Forſter ge- 20
geben.
46. An Chriſtian Otto.
Hof d. 9 Dec. 94.
Mein lieber Guter,
Du haſt mich ſehr gefreuet, daß du mich noch auf eine nähere Art als 25
am Tage auf deine Spaziergänge mitgenommen. Ich kan dir nicht be-
ſchreiben, wie ſanft und ſüs ſich alles Poetiſche und Milde in meine
arme nach eignen und fremden Ergieſſungen lechzende Seele einſaugt.
Ob du mir gleich vor vielen Jahren etwas von weitem ähnliches ge-
geben — es betraf die Halle einer katholiſchen Kirche im Sonnen- 30
untergang —: ſo lies es doch dieſer Seite an dir noch in meinen Augen
die Neuheit. Du zwingſt mich (zumal durch deinen lezten Brief) durch
deine beſcheidene Art, mein Lob auszulegen — indes du bei mir eine
entgegengeſezte vorausſezeſt — überal recht beſtimt zu ſein. Ich lobe
eben ſo gut durch Schweigen am ſtärkſten wie du, nur daß oft der 35
[32]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/48>, abgerufen am 07.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.