Ob ich gleich heute in allen meinen Nerven kränkle: so zucken sie doch bei Ihrem Briefe wie bei einem glühenden Eisen wieder auf. Er giebt5 Ihnen alles wieder -- die Wärme ausgenommen --, was Ihnen meine Misdeutungen abgesprochen haben. Das feine Gefühl der zurükgezog- nen Weiblichkeit, das mich bisher an Ihre Seele kettete und was hier nur eine noch in dem Grade hat (die Ottoin), das sich aber oft von der Kälte ernährt, vereinigt sich in Ihrem Bilde noch mit dem schönsten10 Zuge, mit der Freimüthigkeit. O Sie sind grausam, da Sie gerade in dem Augenblicke mir Ihr ganzes schönes Herz enthüllen, da Sie es auf immer verschliessen. -- Aber was ich jezt schreibe, kan nur Ihre Gründe, nicht Ihre Gesinnungen bestreiten wollen. Denn sind diese einmal so wie Sie glauben oder behaupten: so kan ich nur schweigen und ich wolte15 lieber meine Gefühle und das, worin sie schlagen, zerknirschen als Mit- leiden erregen wollen, welches Wort Sie in Ihren Brief nicht hätten aufnehmen sollen. Ihr einziger Grund, der Ihnen Ihre Verwandlung in eine Freundin gebietet, ist das Wort: "ich sehe schon es wird mir bei Ihnen gehen wie es etc." Bei Gott! welchen andern Sin, den Ihr Ge-20 fühl nicht detaillieren wil -- und doch sol meines hart genug gewesen sein, ihn gebraucht zu haben? -- konte jener Ausdruk haben als den: "ich werde mir am Ideale das ich mir von Ihnen gemacht, eben so gut "einen schönen Zug nach dem andern auslöschen wie ichs bei ** thun "muste." Kont' ich denn im höchsten Zorn etwas sagen, das in dem Sinne,25 den Sie mich errathen lassen, drei Personen auf einmal, und mich am meisten heruntersezte? Wenn ich den Schleier, der mein Verhältnis mit * zu meinem Nachtheil ewig bedekt, wegziehen dürfte: so würden Sie noch eine andere Ursache sehen, warum jener rohe Sin unmöglich der meinige sein konte. Und sind Ihre Launen, die Sie zur Wirkung30 jenes Wortes machen wollen, nicht der Anlas desselben gewesen? Das Meiste womit Sie mein Inneres drükten, war lange vor jenem Worte dagewesen. Ich gesteh' es, weder Ihr meistens kalter Absagebrief noch eine solche Wirkung eines Wortes, das Sie durch lauter Qualen ab- gepresset haben, sind mir erklärlich. O das heilige Feuer der Liebe, das[30]35 an allen Fibern des Herzens glimmend frisset, dieses löschet von dem Tropfen eines Wortes nicht aus, nichts erdrükt es als moralische grosse
44. An Karoline Herold.[29]
Hof d. 1 Dec. 94.
Liebe Freundin
Ob ich gleich heute in allen meinen Nerven kränkle: ſo zucken ſie doch bei Ihrem Briefe wie bei einem glühenden Eiſen wieder auf. Er giebt5 Ihnen alles wieder — die Wärme ausgenommen —, was Ihnen meine Misdeutungen abgeſprochen haben. Das feine Gefühl der zurükgezog- nen Weiblichkeit, das mich bisher an Ihre Seele kettete und was hier nur eine noch in dem Grade hat (die Ottoin), das ſich aber oft von der Kälte ernährt, vereinigt ſich in Ihrem Bilde noch mit dem ſchönſten10 Zuge, mit der Freimüthigkeit. O Sie ſind grauſam, da Sie gerade in dem Augenblicke mir Ihr ganzes ſchönes Herz enthüllen, da Sie es auf immer verſchlieſſen. — Aber was ich jezt ſchreibe, kan nur Ihre Gründe, nicht Ihre Geſinnungen beſtreiten wollen. Denn ſind dieſe einmal ſo wie Sie glauben oder behaupten: ſo kan ich nur ſchweigen und ich wolte15 lieber meine Gefühle und das, worin ſie ſchlagen, zerknirſchen als Mit- leiden erregen wollen, welches Wort Sie in Ihren Brief nicht hätten aufnehmen ſollen. Ihr einziger Grund, der Ihnen Ihre Verwandlung in eine Freundin gebietet, iſt das Wort: „ich ſehe ſchon es wird mir bei Ihnen gehen wie es ꝛc.“ Bei Gott! welchen andern Sin, den Ihr Ge-20 fühl nicht detaillieren wil — und doch ſol meines hart genug geweſen ſein, ihn gebraucht zu haben? — konte jener Ausdruk haben als den: „ich werde mir am Ideale das ich mir von Ihnen gemacht, eben ſo gut „einen ſchönen Zug nach dem andern auslöſchen wie ichs bei ** thun „muſte.“ Kont’ ich denn im höchſten Zorn etwas ſagen, das in dem Sinne,25 den Sie mich errathen laſſen, drei Perſonen auf einmal, und mich am meiſten herunterſezte? Wenn ich den Schleier, der mein Verhältnis mit * zu meinem Nachtheil ewig bedekt, wegziehen dürfte: ſo würden Sie noch eine andere Urſache ſehen, warum jener rohe Sin unmöglich der meinige ſein konte. Und ſind Ihre Launen, die Sie zur Wirkung30 jenes Wortes machen wollen, nicht der Anlas deſſelben geweſen? Das Meiſte womit Sie mein Inneres drükten, war lange vor jenem Worte dageweſen. Ich geſteh’ es, weder Ihr meiſtens kalter Abſagebrief noch eine ſolche Wirkung eines Wortes, das Sie durch lauter Qualen ab- gepreſſet haben, ſind mir erklärlich. O das heilige Feuer der Liebe, das[30]35 an allen Fibern des Herzens glimmend friſſet, dieſes löſchet von dem Tropfen eines Wortes nicht aus, nichts erdrükt es als moraliſche groſſe
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44. An Karoline Herold.
Hof d. 1 Dec. 94.
Liebe Freundin
Ob ich gleich heute in allen meinen Nerven kränkle: ſo zucken ſie doch
bei Ihrem Briefe wie bei einem glühenden Eiſen wieder auf. Er giebt 5
Ihnen alles wieder — die Wärme ausgenommen —, was Ihnen meine
Misdeutungen abgeſprochen haben. Das feine Gefühl der zurükgezog-
nen Weiblichkeit, das mich bisher an Ihre Seele kettete und was hier
nur eine noch in dem Grade hat (die Ottoin), das ſich aber oft von der
Kälte ernährt, vereinigt ſich in Ihrem Bilde noch mit dem ſchönſten 10
Zuge, mit der Freimüthigkeit. O Sie ſind grauſam, da Sie gerade in
dem Augenblicke mir Ihr ganzes ſchönes Herz enthüllen, da Sie es auf
immer verſchlieſſen. — Aber was ich jezt ſchreibe, kan nur Ihre Gründe,
nicht Ihre Geſinnungen beſtreiten wollen. Denn ſind dieſe einmal ſo wie
Sie glauben oder behaupten: ſo kan ich nur ſchweigen und ich wolte 15
lieber meine Gefühle und das, worin ſie ſchlagen, zerknirſchen als Mit-
leiden erregen wollen, welches Wort Sie in Ihren Brief nicht hätten
aufnehmen ſollen. Ihr einziger Grund, der Ihnen Ihre Verwandlung
in eine Freundin gebietet, iſt das Wort: „ich ſehe ſchon es wird mir bei
Ihnen gehen wie es ꝛc.“ Bei Gott! welchen andern Sin, den Ihr Ge- 20
fühl nicht detaillieren wil — und doch ſol meines hart genug geweſen
ſein, ihn gebraucht zu haben? — konte jener Ausdruk haben als den:
„ich werde mir am Ideale das ich mir von Ihnen gemacht, eben ſo gut
„einen ſchönen Zug nach dem andern auslöſchen wie ichs bei ** thun
„muſte.“ Kont’ ich denn im höchſten Zorn etwas ſagen, das in dem Sinne, 25
den Sie mich errathen laſſen, drei Perſonen auf einmal, und mich am
meiſten herunterſezte? Wenn ich den Schleier, der mein Verhältnis
mit * zu meinem Nachtheil ewig bedekt, wegziehen dürfte: ſo würden
Sie noch eine andere Urſache ſehen, warum jener rohe Sin unmöglich
der meinige ſein konte. Und ſind Ihre Launen, die Sie zur Wirkung 30
jenes Wortes machen wollen, nicht der Anlas deſſelben geweſen? Das
Meiſte womit Sie mein Inneres drükten, war lange vor jenem Worte
dageweſen. Ich geſteh’ es, weder Ihr meiſtens kalter Abſagebrief noch
eine ſolche Wirkung eines Wortes, das Sie durch lauter Qualen ab-
gepreſſet haben, ſind mir erklärlich. O das heilige Feuer der Liebe, das 35
an allen Fibern des Herzens glimmend friſſet, dieſes löſchet von dem
Tropfen eines Wortes nicht aus, nichts erdrükt es als moraliſche groſſe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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