und sein Sehnen darnach unerklärlich ist) -- also eben diese Bemerkung wend' ich auf die Richtungen der praktischen Vernunft an, deren Gegen- stand nicht diese Richtung selber (obwol diese Richtung etwas vom [28]Umrisse des Gegenstandes, wie die Sehnsucht des Triebes vom Umrisse des seinigen giebt) sondern etwas ausser ihr sein mus: inwiefern nun5 das Gott und Glükseligkeit ist, das kan Jakobi ausführen zumal wenn er oder ein anderer gezeigt hat, inwiefern und warum die Glük- seligkeit allemal der Sitlichkeit geopfert werden müsse und in [wie] weit Identität dieser beiden sich mit der Unterordnung der einen vertrage.
Ich habe deines und meines jezt -- um 4 Uhr -- wieder durch-10 gelaufen und sehe daß ich deine Erwartungen nicht blos durch mein Zögern sondern durch noch etwas schlimmeres getäuscht. Ich wolt' es heute um 12 Uhr reif haben; und machte alles zu kurz. z. B. Wie wil mir denn jemand streng erweisen, daß ich als Insulaner ein Recht auf die Speise habe, blos weil mich hungert? Ich meine, anders ists nicht15 zu erweisen als durch die Herabrufung eines transßendenten Nutritors. -- So hätt ich bei Kant ausführen müssen, daß der höchste Grad der Moralität ohne Kampf, folglich ohne die Unlust bestrittener Triebe und folglich ein Fortwehen von lauter Wonne sei, wenn nicht der Mensch im öden Fohismus sizen sol. -- Dein Styl braucht jezt meine20 litteras laureatas nicht mehr; er kan -- wenige Bleiweis-Fälle ab- gezogen -- weder heller noch dichter sein als er ist. So oft ich so etwas lese, krampft es mich im Innern, daß es weiter niemand weis als ich; und der gröste Sieg meiner Verschwiegenheit ist, daß ich fähig bin, über deinem Werth am Schreibpulte deine Mosis Decke hängen zu25 lassen. Das Schiksal hebe sie bald auf. -- Gieb mir bald wieder einen kleinen Aufsaz, weil ich ohnehin jezt durch einen sehr stumpfwinkligen Zikzak des Schiksals von der Philosophie wenigstens als Jugend- studium weggetrieben bin -- Was ich davon zu meinem Menschenleben und Herzenskost bedarf, such ich zusammen; mehr nicht: aber es wird30 eine weisere Zeit für mich kommen. -- Nim ja nichts übel, zumal das Eilen: ich schäme mich meines Apparats zu diesem Blatte, der dir Erwartungen gegeben -- Wenn etwas zu falsch dir scheint: so rede mit mir, vielleicht kan ichs retten. Lebe wol, Lieber
Deines Freund[es]35 R.
und ſein Sehnen darnach unerklärlich iſt) — alſo eben dieſe Bemerkung wend’ ich auf die Richtungen der praktiſchen Vernunft an, deren Gegen- ſtand nicht dieſe Richtung ſelber (obwol dieſe Richtung etwas vom [28]Umriſſe des Gegenſtandes, wie die Sehnſucht des Triebes vom Umriſſe des ſeinigen giebt) ſondern etwas auſſer ihr ſein mus: inwiefern nun5 das Gott und Glükſeligkeit iſt, das kan Jakobi ausführen zumal wenn er oder ein anderer gezeigt hat, inwiefern und warum die Glük- ſeligkeit allemal der Sitlichkeit geopfert werden müſſe und in [wie] weit Identität dieſer beiden ſich mit der Unterordnung der einen vertrage.
Ich habe deines und meines jezt — um 4 Uhr — wieder durch-10 gelaufen und ſehe daß ich deine Erwartungen nicht blos durch mein Zögern ſondern durch noch etwas ſchlimmeres getäuſcht. Ich wolt’ es heute um 12 Uhr reif haben; und machte alles zu kurz. z. B. Wie wil mir denn jemand ſtreng erweiſen, daß ich als Inſulaner ein Recht auf die Speiſe habe, blos weil mich hungert? Ich meine, anders iſts nicht15 zu erweiſen als durch die Herabrufung eines transſzendenten Nutritors. — So hätt ich bei Kant ausführen müſſen, daß der höchſte Grad der Moralität ohne Kampf, folglich ohne die Unluſt beſtrittener Triebe und folglich ein Fortwehen von lauter Wonne ſei, wenn nicht der Menſch im öden Fohiſmus ſizen ſol. — Dein Styl braucht jezt meine20 litteras laureatas nicht mehr; er kan — wenige Bleiweis-Fälle ab- gezogen — weder heller noch dichter ſein als er iſt. So oft ich ſo etwas leſe, krampft es mich im Innern, daß es weiter niemand weis als ich; und der gröſte Sieg meiner Verſchwiegenheit iſt, daß ich fähig bin, über deinem Werth am Schreibpulte deine Moſis Decke hängen zu25 laſſen. Das Schikſal hebe ſie bald auf. — Gieb mir bald wieder einen kleinen Aufſaz, weil ich ohnehin jezt durch einen ſehr ſtumpfwinkligen Zikzak des Schikſals von der Philoſophie wenigſtens als Jugend- ſtudium weggetrieben bin — Was ich davon zu meinem Menſchenleben und Herzenskoſt bedarf, ſuch ich zuſammen; mehr nicht: aber es wird30 eine weiſere Zeit für mich kommen. — Nim ja nichts übel, zumal das Eilen: ich ſchäme mich meines Apparats zu dieſem Blatte, der dir Erwartungen gegeben — Wenn etwas zu falſch dir ſcheint: ſo rede mit mir, vielleicht kan ichs retten. Lebe wol, Lieber
Deines Freund[es]35 R.
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und ſein Sehnen darnach unerklärlich iſt) — alſo eben dieſe Bemerkung
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Umriſſe des Gegenſtandes, wie die Sehnſucht des Triebes vom Umriſſe
des ſeinigen giebt) ſondern etwas auſſer ihr ſein mus: inwiefern nun 5
das Gott und Glükſeligkeit iſt, das kan Jakobi ausführen zumal
wenn er oder ein anderer gezeigt hat, inwiefern und warum die Glük-
ſeligkeit allemal der Sitlichkeit geopfert werden müſſe und in [wie] weit
Identität dieſer beiden ſich mit der Unterordnung der einen vertrage.
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gelaufen und ſehe daß ich deine Erwartungen nicht blos durch mein
Zögern ſondern durch noch etwas ſchlimmeres getäuſcht. Ich wolt’ es
heute um 12 Uhr reif haben; und machte alles zu kurz. z. B. Wie wil
mir denn jemand ſtreng erweiſen, daß ich als Inſulaner ein Recht auf
die Speiſe habe, blos weil mich hungert? Ich meine, anders iſts nicht 15
zu erweiſen als durch die Herabrufung eines transſzendenten Nutritors.
— So hätt ich bei Kant ausführen müſſen, daß der höchſte Grad der
Moralität ohne Kampf, folglich ohne die Unluſt beſtrittener Triebe
und folglich ein Fortwehen von lauter Wonne ſei, wenn nicht der
Menſch im öden Fohiſmus ſizen ſol. — Dein Styl braucht jezt meine 20
litteras laureatas nicht mehr; er kan — wenige Bleiweis-Fälle ab-
gezogen — weder heller noch dichter ſein als er iſt. So oft ich ſo etwas
leſe, krampft es mich im Innern, daß es weiter niemand weis als ich;
und der gröſte Sieg meiner Verſchwiegenheit iſt, daß ich fähig bin,
über deinem Werth am Schreibpulte deine Moſis Decke hängen zu 25
laſſen. Das Schikſal hebe ſie bald auf. — Gieb mir bald wieder einen
kleinen Aufſaz, weil ich ohnehin jezt durch einen ſehr ſtumpfwinkligen
Zikzak des Schikſals von der Philoſophie wenigſtens als Jugend-
ſtudium weggetrieben bin — Was ich davon zu meinem Menſchenleben
und Herzenskoſt bedarf, ſuch ich zuſammen; mehr nicht: aber es wird 30
eine weiſere Zeit für mich kommen. — Nim ja nichts übel, zumal das
Eilen: ich ſchäme mich meines Apparats zu dieſem Blatte, der dir
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Deines Freund[es] 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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