Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.Leben Sie wohl, mein Lieber! Einen alten Überrok brauch ich bei Richter Sontags: heute Nachmittags reis' ich, morgen Nachmittags bin [372]*697. An Emilie von Berlepsch in Weimar. Hof d. 10 Sept. 97.10Erst gestern bekam ich Ihren Brief; über Ihr Schweigen tröstet[e] Ihr Bild hieng wie eine Sonne zwischen meinen andern Bildern, Bayreuth d. 12 Sept. Am Tage vor meiner Abreise wolt' ich meinen Brief volenden, und Ich wil sogleich die dürre Historie abfertigen. Der Wirth, der nicht20 Sie vermengen Algemeinheit der Liebe mit Veränderlichkeit der- Leben Sie wohl, mein Lieber! Einen alten Überrok brauch ich bei Richter Sontags: heute Nachmittags reiſ’ ich, morgen Nachmittags bin [372]*697. An Emilie von Berlepſch in Weimar. Hof d. 10 Sept. 97.10Erſt geſtern bekam ich Ihren Brief; über Ihr Schweigen tröſtet[e] Ihr Bild hieng wie eine Sonne zwiſchen meinen andern Bildern, Bayreuth d. 12 Sept. Am Tage vor meiner Abreiſe wolt’ ich meinen Brief volenden, und Ich wil ſogleich die dürre Hiſtorie abfertigen. Der Wirth, der nicht20 Sie vermengen Algemeinheit der Liebe mit Veränderlichkeit der- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0391" n="370"/> <p>Leben Sie wohl, mein Lieber! Einen alten Überrok brauch ich bei<lb/> Ihnen, weil ich nichts mitbringe als was ich anhabe (um das ab-<lb/> ſcheuliche Paſſen auf die Poſt und die Abhängigkeit von langen Vor-<lb/> ausſagungen nicht zu haben). Leben Sie wohl! Ihre Liebe iſt gröſſer<lb/> als mein Werth!<lb n="5"/> </p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute> </closer><lb/> <postscript> <p>Sontags: heute Nachmittags reiſ’ ich, morgen Nachmittags bin<lb/> ich bei Ihnen.</p> </postscript> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head><note place="left"><ref target="1922_Bd2_372">[372]</ref></note>*697. An <hi rendition="#g">Emilie von Berlepſch in Weimar.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof</hi> d. 10 Sept. 97.</hi> </dateline> <lb n="10"/> <p>Erſt geſtern bekam ich Ihren Brief; über Ihr Schweigen tröſtet[e]<lb/> mich nur meine Kentnis der Schnecken- und Auſterpoſt von Weimar. —</p><lb/> <p>Ihr Bild hieng wie eine Sonne zwiſchen meinen andern Bildern,<lb/> und dieſe hiengen als Nebenſonnen um ſie. Ihre lezte Stellung mit<lb/> dem Leichenlicht und mit zurükſinkendem Kopfe bleibt vor dem innern<lb n="15"/> Auge feſt. —</p><lb/> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">Bayreuth</hi> d. 12 Sept.</hi> </dateline><lb/> <p>Am Tage vor meiner Abreiſe wolt’ ich meinen Brief volenden, und<lb/> ein fremder Beſuch drängte ſich zwiſchen mich und Sie. —</p><lb/> <p>Ich wil ſogleich die dürre Hiſtorie abfertigen. Der Wirth, der nicht<lb n="20"/> der Ihrige wurde, ſchlug jede Vergütung ſeiner vergeblichen Er-<lb/> wartung aus. — Mein Abzug nach <hi rendition="#aq">Leipzig</hi> iſt gewis, obwohl das<lb/> Logis noch ungefunden iſt. Ein ſchöneres Wetter hätte mich nach<lb/> Weimar gelokt; ich ſehne mich an das Herz meines <hi rendition="#aq">Herders</hi> zurük,<lb/> aus welchem gleichſam der Ichor eines höhern Geiſtes als des Nerven-<lb n="25"/> geiſtes ſeit meiner Jugend in meines überflos. — Und ich ſehne mich<lb/> nach Ihrer Seele. Aber in meiner kan noch nicht die Ruhe und<lb/> Reſignazion der Ihrigen wohnen. — Plane des Lebens und des<lb/> Schreibens, junge Hofnungen und tauſend Wünſche ſind eben ſo viele<lb/> unruhige, zuckende und mich verwickelnde Polypenarme, die zu viel<lb n="30"/> umgreifen wollen. Ich werde mir alle dieſe Arme bis auf zwei einmal<lb/> abſchneiden — auf dem Lande neben meiner Frau.</p><lb/> <p>Sie vermengen Algemeinheit der Liebe mit Veränderlichkeit der-<lb/> ſelben. Ich habe nie eine Seele der andern geopfert. Die Liebe hat ſo<lb/> viele Stufen als es menſchliche Liebenswürdigkeiten giebt, und die<lb n="35"/> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [370/0391]
Leben Sie wohl, mein Lieber! Einen alten Überrok brauch ich bei
Ihnen, weil ich nichts mitbringe als was ich anhabe (um das ab-
ſcheuliche Paſſen auf die Poſt und die Abhängigkeit von langen Vor-
ausſagungen nicht zu haben). Leben Sie wohl! Ihre Liebe iſt gröſſer
als mein Werth! 5
Richter
Sontags: heute Nachmittags reiſ’ ich, morgen Nachmittags bin
ich bei Ihnen.
*697. An Emilie von Berlepſch in Weimar.
Hof d. 10 Sept. 97. 10
Erſt geſtern bekam ich Ihren Brief; über Ihr Schweigen tröſtet[e]
mich nur meine Kentnis der Schnecken- und Auſterpoſt von Weimar. —
Ihr Bild hieng wie eine Sonne zwiſchen meinen andern Bildern,
und dieſe hiengen als Nebenſonnen um ſie. Ihre lezte Stellung mit
dem Leichenlicht und mit zurükſinkendem Kopfe bleibt vor dem innern 15
Auge feſt. —
Bayreuth d. 12 Sept.
Am Tage vor meiner Abreiſe wolt’ ich meinen Brief volenden, und
ein fremder Beſuch drängte ſich zwiſchen mich und Sie. —
Ich wil ſogleich die dürre Hiſtorie abfertigen. Der Wirth, der nicht 20
der Ihrige wurde, ſchlug jede Vergütung ſeiner vergeblichen Er-
wartung aus. — Mein Abzug nach Leipzig iſt gewis, obwohl das
Logis noch ungefunden iſt. Ein ſchöneres Wetter hätte mich nach
Weimar gelokt; ich ſehne mich an das Herz meines Herders zurük,
aus welchem gleichſam der Ichor eines höhern Geiſtes als des Nerven- 25
geiſtes ſeit meiner Jugend in meines überflos. — Und ich ſehne mich
nach Ihrer Seele. Aber in meiner kan noch nicht die Ruhe und
Reſignazion der Ihrigen wohnen. — Plane des Lebens und des
Schreibens, junge Hofnungen und tauſend Wünſche ſind eben ſo viele
unruhige, zuckende und mich verwickelnde Polypenarme, die zu viel 30
umgreifen wollen. Ich werde mir alle dieſe Arme bis auf zwei einmal
abſchneiden — auf dem Lande neben meiner Frau.
Sie vermengen Algemeinheit der Liebe mit Veränderlichkeit der-
ſelben. Ich habe nie eine Seele der andern geopfert. Die Liebe hat ſo
viele Stufen als es menſchliche Liebenswürdigkeiten giebt, und die 35
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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