Hof vertausch' ich in einem Vierteljahre, aber ich weis nicht gegen welche Stadt -- die, welche ich so herzlich gerne wählte, wird mir von denen widerrathen, die sie gewählet haben.
Leben Sie froh, Wunderbare! Das Schiksal geb' Ihnen so viel als die Natur Ihnen gegeben, und dan ists genug!5
Jean Paul Fr. Richter
(*)674. An Charlotte von Kalb.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 3. Aug. 1797]
[Da Ihnen ein kurzer Brief lieber ist als Schweigen, so wag' ich lieber jenen.] Das Geschik hat eine Richtung meines Lebensweges mit10 einem Grabe verschüttet [und nöthigt mich zu einer neuen Bahn. Meine geliebte Mutter ist mir auf immer aus meinen Armen ge- nommen; schon ihre Krankheit legte sich wie ein dichter Nebel über alle Freuden des Frühlings.]
Ihr meinem ganzen Herzen entgegengeseztes System der Liebe.15
675. An Helene Köhler in Karlsbad.[361]
Im Franzenbad Freitags. [11.] Aug. 97.
Beinahe hätt' ich mich gestern vom Schiksal und vom Grafen v. Schönburg nach Karlsbad auf Einen Tag führen lassen. Ich wünschte, Sie tränken 4 Poststazionen näher und wären hier unter20 dem Schwalle meiner Bekanten. Ich bekomme hier am Brunnen immer mehr Gesundheit und Freude, obgleich die Schönheiten der Karlsbader Berge und Musikanten fehlen. Der alte biedere Dörfler übergab mir Ihren Brief mit vielem Antheil an Ihnen.
Morgen geh ich nach Hof. Meine Reise nach Karlsbad hängt von25 einem Gewebe vielfacher Kleinigkeiten ab -- oder Wichtigkeiten: H. Stichert mus mich mit nehmen -- die Prinzessin von Koburg, die mich in Hof oder dort sehen wil, mus nicht unterweges sein -- die Fr. v. Berlepsch mus nicht gerade in Hof eintreffen. --
Ich endige mit lauter Wünschen für Ihre Freude. Sie verdienen30 für so viele leere abgeerntete Jahre vol scharfer Stoppeln einmal den monatlichen Spaziergang durch Blumenebenen. Der Himmel geb' Ihnen Freuden und Menschen, und das ofne Herz, sie zu geniessen, und das Gedächtnis, sie zu bewahren.
Jean Paul35
Meinen wärmsten Grus an Ihre Fr. Mutter.
Hof vertauſch’ ich in einem Vierteljahre, aber ich weis nicht gegen welche Stadt — die, welche ich ſo herzlich gerne wählte, wird mir von denen widerrathen, die ſie gewählet haben.
Leben Sie froh, Wunderbare! Das Schikſal geb’ Ihnen ſo viel als die Natur Ihnen gegeben, und dan iſts genug!5
Jean Paul Fr. Richter
(*)674. An Charlotte von Kalb.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 3. Aug. 1797]
[Da Ihnen ein kurzer Brief lieber iſt als Schweigen, ſo wag’ ich lieber jenen.] Das Geſchik hat eine Richtung meines Lebensweges mit10 einem Grabe verſchüttet [und nöthigt mich zu einer neuen Bahn. Meine geliebte Mutter iſt mir auf immer aus meinen Armen ge- nommen; ſchon ihre Krankheit legte ſich wie ein dichter Nebel über alle Freuden des Frühlings.]
Ihr meinem ganzen Herzen entgegengeſeztes Syſtem der Liebe.15
675. An Helene Köhler in Karlsbad.[361]
Im Franzenbad Freitags. [11.] Aug. 97.
Beinahe hätt’ ich mich geſtern vom Schikſal und vom Grafen v. Schönburg nach Karlsbad auf Einen Tag führen laſſen. Ich wünſchte, Sie tränken 4 Poſtſtazionen näher und wären hier unter20 dem Schwalle meiner Bekanten. Ich bekomme hier am Brunnen immer mehr Geſundheit und Freude, obgleich die Schönheiten der Karlsbader Berge und Muſikanten fehlen. Der alte biedere Dörfler übergab mir Ihren Brief mit vielem Antheil an Ihnen.
Morgen geh ich nach Hof. Meine Reiſe nach Karlsbad hängt von25 einem Gewebe vielfacher Kleinigkeiten ab — oder Wichtigkeiten: H. Stichert mus mich mit nehmen — die Prinzeſſin von Koburg, die mich in Hof oder dort ſehen wil, mus nicht unterweges ſein — die Fr. v. Berlepsch mus nicht gerade in Hof eintreffen. —
Ich endige mit lauter Wünſchen für Ihre Freude. Sie verdienen30 für ſo viele leere abgeerntete Jahre vol ſcharfer Stoppeln einmal den monatlichen Spaziergang durch Blumenebenen. Der Himmel geb’ Ihnen Freuden und Menſchen, und das ofne Herz, ſie zu genieſſen, und das Gedächtnis, ſie zu bewahren.
Jean Paul35
Meinen wärmſten Grus an Ihre Fr. Mutter.
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[359/0376]
Hof vertauſch’ ich in einem Vierteljahre, aber ich weis nicht gegen
welche Stadt — die, welche ich ſo herzlich gerne wählte, wird mir von
denen widerrathen, die ſie gewählet haben.
Leben Sie froh, Wunderbare! Das Schikſal geb’ Ihnen ſo viel als
die Natur Ihnen gegeben, und dan iſts genug! 5
Jean Paul Fr. Richter
(*)674. An Charlotte von Kalb.
[Hof, 3. Aug. 1797]
[Da Ihnen ein kurzer Brief lieber iſt als Schweigen, ſo wag’ ich
lieber jenen.] Das Geſchik hat eine Richtung meines Lebensweges mit 10
einem Grabe verſchüttet [und nöthigt mich zu einer neuen Bahn.
Meine geliebte Mutter iſt mir auf immer aus meinen Armen ge-
nommen; ſchon ihre Krankheit legte ſich wie ein dichter Nebel über
alle Freuden des Frühlings.]
Ihr meinem ganzen Herzen entgegengeſeztes Syſtem der Liebe. 15
675. An Helene Köhler in Karlsbad.
Im Franzenbad Freitags. [11.] Aug. 97.
Beinahe hätt’ ich mich geſtern vom Schikſal und vom Grafen
v. Schönburg nach Karlsbad auf Einen Tag führen laſſen. Ich
wünſchte, Sie tränken 4 Poſtſtazionen näher und wären hier unter 20
dem Schwalle meiner Bekanten. Ich bekomme hier am Brunnen
immer mehr Geſundheit und Freude, obgleich die Schönheiten der
Karlsbader Berge und Muſikanten fehlen. Der alte biedere Dörfler
übergab mir Ihren Brief mit vielem Antheil an Ihnen.
Morgen geh ich nach Hof. Meine Reiſe nach Karlsbad hängt von 25
einem Gewebe vielfacher Kleinigkeiten ab — oder Wichtigkeiten:
H. Stichert mus mich mit nehmen — die Prinzeſſin von Koburg, die
mich in Hof oder dort ſehen wil, mus nicht unterweges ſein — die
Fr. v. Berlepsch mus nicht gerade in Hof eintreffen. —
Ich endige mit lauter Wünſchen für Ihre Freude. Sie verdienen 30
für ſo viele leere abgeerntete Jahre vol ſcharfer Stoppeln einmal den
monatlichen Spaziergang durch Blumenebenen. Der Himmel geb’
Ihnen Freuden und Menſchen, und das ofne Herz, ſie zu genieſſen, und
das Gedächtnis, ſie zu bewahren.
Jean Paul 35
Meinen wärmſten Grus an Ihre Fr. Mutter.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/376>, abgerufen am 16.02.2025.
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