Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn er fassete, daß auf der Erde entweder gar nichts oder alles
Wunder ist und daß beides -- einerlei ist -- -- p. 249 358 378 sind
merkwürdig. Am meisten aber gefiel mir das, was Sie von p. 1 bis
416 sagen.

Warum übersezen Sie nicht wenigstens das N. T. Ihre christlichen5
Schriften sind eben so unentbehrlich als unersezlich; nur wünscht' ich
für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheiligsten zuweilen einen
weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. -- Die Briefe über
Humanität sind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. --

In allen Ihren Gemälden von der deutschen Litteratur scheint mir10
zwar nicht der ironische Schlagschatten Swifts, aber doch das ironische
Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechischer Geist thut scheint
es der Stadt Unrecht, wo er wohnt.

In Ihren zerstreueten Blättern verschlang ich die Gedichte und die
Abhandlungen über die Unsterblichkeit: Fr. v. Berlepsch (die auf eine15
für mich merkwürdige Weise Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta-
sie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe sie sehr ......
das kan eben so gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. Ber-
lepsch
gehen, und die 2. ersten Zeilen oben leiden beides.

Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Beweise20
unserer Ewigkeit ist in meinem Kampanerthal schon voraus abgedrukt,[359]
worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwissend zusammentreffe.
Fliegen Sie doch durch dieses Thal: es hat nicht die Musaik des
Münsters, sondern das weite Grün eines Thales.

Haben Sie Nachsicht, Geliebtester, mit diesem Briefe, den ich25
kallygraphisch und ästhetisch besser hätte schreiben müssen, wenn nicht
Zerstreuungen, Geschäfte, Zeitmangel, Reisen und -- Ihre Liebe meine
Fürsprecher wären.

Wie glänzend und wie sanft steht jezt Ihr Geist wie eine Abendsonne
vor meinem und ich sage: bringe allen Augen deinen Morgen und dein30
Licht und bring' es meinen auch!

Jean Paul Fr. Richter
673. An Karoline Herder.

Ich wünschte, ich hätte keine Entschuldigung für mein Schweigen,35
Unvergesliche! -- Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der
Wassersucht, bleich von mir und ich sehe sie hienieden nicht mehr. --

wenn er faſſete, daß auf der Erde entweder gar nichts oder alles
Wunder iſt und daß beides — einerlei iſt — — p. 249 358 378 ſind
merkwürdig. Am meiſten aber gefiel mir das, was Sie von p. 1 bis
416 ſagen.

Warum überſezen Sie nicht wenigſtens das N. T. Ihre chriſtlichen5
Schriften ſind eben ſo unentbehrlich als unerſezlich; nur wünſcht’ ich
für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheiligſten zuweilen einen
weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. — Die Briefe über
Humanität ſind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. —

In allen Ihren Gemälden von der deutſchen Litteratur ſcheint mir10
zwar nicht der ironiſche Schlagſchatten Swifts, aber doch das ironiſche
Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechiſcher Geiſt thut ſcheint
es der Stadt Unrecht, wo er wohnt.

In Ihren zerſtreueten Blättern verſchlang ich die Gedichte und die
Abhandlungen über die Unſterblichkeit: Fr. v. Berlepsch (die auf eine15
für mich merkwürdige Weiſe Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta-
ſie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe ſie ſehr ......
das kan eben ſo gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. Ber-
lepsch
gehen, und die 2. erſten Zeilen oben leiden beides.

Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Beweiſe20
unſerer Ewigkeit iſt in meinem Kampanerthal ſchon voraus abgedrukt,[359]
worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwiſſend zuſammentreffe.
Fliegen Sie doch durch dieſes Thal: es hat nicht die Muſaik des
Münſters, ſondern das weite Grün eines Thales.

Haben Sie Nachſicht, Geliebteſter, mit dieſem Briefe, den ich25
kallygraphiſch und äſthetiſch beſſer hätte ſchreiben müſſen, wenn nicht
Zerſtreuungen, Geſchäfte, Zeitmangel, Reiſen und — Ihre Liebe meine
Fürſprecher wären.

Wie glänzend und wie ſanft ſteht jezt Ihr Geiſt wie eine Abendſonne
vor meinem und ich ſage: bringe allen Augen deinen Morgen und dein30
Licht und bring’ es meinen auch!

Jean Paul Fr. Richter
673. An Karoline Herder.

Ich wünſchte, ich hätte keine Entſchuldigung für mein Schweigen,35
Unvergesliche! — Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der
Waſſerſucht, bleich von mir und ich ſehe ſie hienieden nicht mehr. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0374" n="357"/>
wenn er fa&#x017F;&#x017F;ete, daß auf der Erde entweder gar nichts oder alles<lb/>
Wunder i&#x017F;t und daß beides &#x2014; einerlei i&#x017F;t &#x2014; &#x2014; <hi rendition="#aq">p.</hi> 249 358 378 &#x017F;ind<lb/>
merkwürdig. Am mei&#x017F;ten aber gefiel mir das, was Sie von <hi rendition="#aq">p.</hi> 1 bis<lb/>
416 &#x017F;agen.</p><lb/>
        <p>Warum über&#x017F;ezen Sie nicht wenig&#x017F;tens das N. T. Ihre chri&#x017F;tlichen<lb n="5"/>
Schriften &#x017F;ind eben &#x017F;o unentbehrlich als uner&#x017F;ezlich; nur wün&#x017F;cht&#x2019; ich<lb/>
für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheilig&#x017F;ten zuweilen einen<lb/>
weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. &#x2014; Die Briefe über<lb/>
Humanität &#x017F;ind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. &#x2014;</p><lb/>
        <p>In allen Ihren Gemälden von der deut&#x017F;chen Litteratur &#x017F;cheint mir<lb n="10"/>
zwar nicht der ironi&#x017F;che Schlag&#x017F;chatten Swifts, aber doch das ironi&#x017F;che<lb/>
Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechi&#x017F;cher Gei&#x017F;t thut &#x017F;cheint<lb/>
es der Stadt Unrecht, wo er wohnt.</p><lb/>
        <p>In Ihren zer&#x017F;treueten Blättern ver&#x017F;chlang ich die Gedichte und die<lb/>
Abhandlungen über die Un&#x017F;terblichkeit: Fr. v. <hi rendition="#aq">Berlepsch</hi> (die auf eine<lb n="15"/>
für mich merkwürdige Wei&#x017F;e Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta-<lb/>
&#x017F;ie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe &#x017F;ie &#x017F;ehr ......<lb/>
das kan eben &#x017F;o gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. <hi rendition="#aq">Ber-<lb/>
lepsch</hi> gehen, und die 2. er&#x017F;ten Zeilen oben leiden beides.</p><lb/>
        <p>Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Bewei&#x017F;e<lb n="20"/>
un&#x017F;erer Ewigkeit i&#x017F;t in meinem Kampanerthal &#x017F;chon voraus abgedrukt,<note place="right"><ref target="1922_Bd2_359">[359]</ref></note><lb/>
worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwi&#x017F;&#x017F;end zu&#x017F;ammentreffe.<lb/>
Fliegen Sie doch durch die&#x017F;es Thal: es hat nicht die Mu&#x017F;aik des<lb/>
Mün&#x017F;ters, &#x017F;ondern das weite Grün eines Thales.</p><lb/>
        <p>Haben Sie Nach&#x017F;icht, Geliebte&#x017F;ter, mit die&#x017F;em Briefe, den ich<lb n="25"/>
kallygraphi&#x017F;ch und ä&#x017F;theti&#x017F;ch be&#x017F;&#x017F;er hätte &#x017F;chreiben mü&#x017F;&#x017F;en, wenn nicht<lb/>
Zer&#x017F;treuungen, Ge&#x017F;chäfte, Zeitmangel, Rei&#x017F;en und &#x2014; Ihre Liebe meine<lb/>
Für&#x017F;precher wären.</p><lb/>
        <p>Wie glänzend und wie &#x017F;anft &#x017F;teht jezt Ihr Gei&#x017F;t wie eine Abend&#x017F;onne<lb/>
vor meinem und ich &#x017F;age: bringe allen Augen deinen Morgen und dein<lb n="30"/>
Licht und bring&#x2019; es meinen auch!</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Jean Paul</hi> Fr. Richter</hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>673. An <hi rendition="#g">Karoline Herder.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof.</hi> d. 31 Jul. 97.</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich wün&#x017F;chte, ich hätte keine Ent&#x017F;chuldigung für mein Schweigen,<lb n="35"/>
Unvergesliche! &#x2014; Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ucht, bleich von mir und ich &#x017F;ehe &#x017F;ie hienieden nicht mehr. &#x2014;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0374] wenn er faſſete, daß auf der Erde entweder gar nichts oder alles Wunder iſt und daß beides — einerlei iſt — — p. 249 358 378 ſind merkwürdig. Am meiſten aber gefiel mir das, was Sie von p. 1 bis 416 ſagen. Warum überſezen Sie nicht wenigſtens das N. T. Ihre chriſtlichen 5 Schriften ſind eben ſo unentbehrlich als unerſezlich; nur wünſcht’ ich für die Menge, daß Ihr Vorhang des Allerheiligſten zuweilen einen weitern Ris erhielte, aber ohne Golgatha. — Die Briefe über Humanität ſind dem inhumanen Jahrzehend Arzenei. — In allen Ihren Gemälden von der deutſchen Litteratur ſcheint mir 10 zwar nicht der ironiſche Schlagſchatten Swifts, aber doch das ironiſche Streiflicht Horazens vorzuwalten: Ihr griechiſcher Geiſt thut ſcheint es der Stadt Unrecht, wo er wohnt. In Ihren zerſtreueten Blättern verſchlang ich die Gedichte und die Abhandlungen über die Unſterblichkeit: Fr. v. Berlepsch (die auf eine 15 für mich merkwürdige Weiſe Klarheit und Kälte und Kraft und Phanta- ſie vereint) nahm das Buch mir weg ins Bad. Ich liebe ſie ſehr ...... das kan eben ſo gut auf Ihre Abhandlungen als auf die Fr. v. Ber- lepsch gehen, und die 2. erſten Zeilen oben leiden beides. Mein Urtheil oder vielmehr meine Freude über Ihre Beweiſe 20 unſerer Ewigkeit iſt in meinem Kampanerthal ſchon voraus abgedrukt, worin ich zu meinem Entzücken mit Ihnen unwiſſend zuſammentreffe. Fliegen Sie doch durch dieſes Thal: es hat nicht die Muſaik des Münſters, ſondern das weite Grün eines Thales. [359] Haben Sie Nachſicht, Geliebteſter, mit dieſem Briefe, den ich 25 kallygraphiſch und äſthetiſch beſſer hätte ſchreiben müſſen, wenn nicht Zerſtreuungen, Geſchäfte, Zeitmangel, Reiſen und — Ihre Liebe meine Fürſprecher wären. Wie glänzend und wie ſanft ſteht jezt Ihr Geiſt wie eine Abendſonne vor meinem und ich ſage: bringe allen Augen deinen Morgen und dein 30 Licht und bring’ es meinen auch! Jean Paul Fr. Richter 673. An Karoline Herder. Hof. d. 31 Jul. 97. Ich wünſchte, ich hätte keine Entſchuldigung für mein Schweigen, 35 Unvergesliche! — Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen der Waſſerſucht, bleich von mir und ich ſehe ſie hienieden nicht mehr. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/374
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/374>, abgerufen am 25.11.2024.