Mög' es aus Ihrem Lebens Mai die Maifröste weg lassen! Und auf dem Siegel Ihrer Zukunft stehe immer das holde Wort des Ihrigen: Khaire!
(*)539. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 21. Febr. 1797]5
[Ihr lezter vom 5 Febr. that auf mich die Wirkung eines paradiesi- schen Vorfrühlingstages, wie wir jezt haben; er machte mich bis in den Nerven meines Herzens wehmüthig] -- Und dan solte man den Brief weglegen und die Hand ergreifen können, die ihn geschrieben hat. Eine zarte Aetherflamme, die hel auflodert, aber nicht knistert, sondern nur10 den feinsten Stof verzehrt, schimmert durch ihn. [Jezt beantworte ich die Hauptpunkte:
Reichards Armuth an Delikatesse und Reichthum an Selbstliebe hat[302] mich nicht halb so erzürnt als Sie es wurden; aus gar zu grosser Vor- liebe für den armen Paul vergaben Sie jenem zu wenig.] -- Mein15 kahler Kopf hängt nun wie ein Bierzeichen auf die Gassen des Publi- kums heraus und ich mus es erwarten, ob ihn die Vorübergänger mit Pfeilen oder Lorbeeren bedecken. Ein Autor mus 100 etc. mal weniger nach Tadel fragen als ein Weib. Mich kan Tadel höchstens bessern, nicht stürzen -- also komm' er! -- Mein Leben und meine Freuden20 versiegen bald unter dem Grabstein und die Puppenhaut springt bald von der innern Psyche ab, aber der Same, den meine Schreibfinger auswerfen, überdauert meine Hülse aus Erde [und darum ist es meine Pflicht und Freude, alles, alles meinem Schreiben aufzuopfern.
Das Schiksal hat einen Trauerflor über Ihr Auge gezogen, darum25 sehen Sie Weimar schwarz. Wie, hätte man sich so verändert? un- möglich. -- Einer aber verändert sich leichter als viele, wie Sie.] -- Ein Hof ist nur für den ein verschüttendes Bergwerk, der darin Gold aufsucht. --
[Ich liebe die ungleichartigsten Seelen so sehr -- wie Herder und30 Knebel, daß sie meinem Herzen das ihre nicht versagen können.]
Das mänliche Herz ist geräumiger als das weibliche, in dem blos ein Ehebette und eine Wiege aufzustellen ist und mehr nicht.
[Ihr Brief hat mir bittersüsse Thränen gekostet.] -- Dein grosses Herz verhungert und verwelkt in der öden Welt. Du glaubst, Männer-35
Mög’ es aus Ihrem Lebens Mai die Maifröſte weg laſſen! Und auf dem Siegel Ihrer Zukunft ſtehe immer das holde Wort des Ihrigen: Χαιρε!
(*)539. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 21. Febr. 1797]5
[Ihr lezter vom 5 Febr. that auf mich die Wirkung eines paradieſi- ſchen Vorfrühlingstages, wie wir jezt haben; er machte mich bis in den Nerven meines Herzens wehmüthig] — Und dan ſolte man den Brief weglegen und die Hand ergreifen können, die ihn geſchrieben hat. Eine zarte Aetherflamme, die hel auflodert, aber nicht kniſtert, ſondern nur10 den feinſten Stof verzehrt, ſchimmert durch ihn. [Jezt beantworte ich die Hauptpunkte:
Reichards Armuth an Delikateſſe und Reichthum an Selbſtliebe hat[302] mich nicht halb ſo erzürnt als Sie es wurden; aus gar zu groſſer Vor- liebe für den armen Paul vergaben Sie jenem zu wenig.] — Mein15 kahler Kopf hängt nun wie ein Bierzeichen auf die Gaſſen des Publi- kums heraus und ich mus es erwarten, ob ihn die Vorübergänger mit Pfeilen oder Lorbeeren bedecken. Ein Autor mus 100 ꝛc. mal weniger nach Tadel fragen als ein Weib. Mich kan Tadel höchſtens beſſern, nicht ſtürzen — alſo komm’ er! — Mein Leben und meine Freuden20 verſiegen bald unter dem Grabſtein und die Puppenhaut ſpringt bald von der innern Pſyche ab, aber der Same, den meine Schreibfinger auswerfen, überdauert meine Hülſe aus Erde [und darum iſt es meine Pflicht und Freude, alles, alles meinem Schreiben aufzuopfern.
Das Schikſal hat einen Trauerflor über Ihr Auge gezogen, darum25 ſehen Sie Weimar ſchwarz. Wie, hätte man ſich ſo verändert? un- möglich. — Einer aber verändert ſich leichter als viele, wie Sie.] — Ein Hof iſt nur für den ein verſchüttendes Bergwerk, der darin Gold aufſucht. —
[Ich liebe die ungleichartigſten Seelen ſo ſehr — wie Herder und30 Knebel, daß ſie meinem Herzen das ihre nicht verſagen können.]
Das mänliche Herz iſt geräumiger als das weibliche, in dem blos ein Ehebette und eine Wiege aufzuſtellen iſt und mehr nicht.
[Ihr Brief hat mir bitterſüſſe Thränen gekoſtet.] — Dein groſſes Herz verhungert und verwelkt in der öden Welt. Du glaubſt, Männer-35
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Mög’ es aus Ihrem Lebens Mai die Maifröſte weg laſſen! Und auf
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Χαιρε!
(*)539. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Hof, 21. Febr. 1797] 5
[Ihr lezter vom 5 Febr. that auf mich die Wirkung eines paradieſi-
ſchen Vorfrühlingstages, wie wir jezt haben; er machte mich bis in den
Nerven meines Herzens wehmüthig] — Und dan ſolte man den Brief
weglegen und die Hand ergreifen können, die ihn geſchrieben hat. Eine
zarte Aetherflamme, die hel auflodert, aber nicht kniſtert, ſondern nur 10
den feinſten Stof verzehrt, ſchimmert durch ihn. [Jezt beantworte ich
die Hauptpunkte:
Reichards Armuth an Delikateſſe und Reichthum an Selbſtliebe hat
mich nicht halb ſo erzürnt als Sie es wurden; aus gar zu groſſer Vor-
liebe für den armen Paul vergaben Sie jenem zu wenig.] — Mein 15
kahler Kopf hängt nun wie ein Bierzeichen auf die Gaſſen des Publi-
kums heraus und ich mus es erwarten, ob ihn die Vorübergänger mit
Pfeilen oder Lorbeeren bedecken. Ein Autor mus 100 ꝛc. mal weniger
nach Tadel fragen als ein Weib. Mich kan Tadel höchſtens beſſern,
nicht ſtürzen — alſo komm’ er! — Mein Leben und meine Freuden 20
verſiegen bald unter dem Grabſtein und die Puppenhaut ſpringt bald
von der innern Pſyche ab, aber der Same, den meine Schreibfinger
auswerfen, überdauert meine Hülſe aus Erde [und darum iſt es meine
Pflicht und Freude, alles, alles meinem Schreiben aufzuopfern.
[302]
Das Schikſal hat einen Trauerflor über Ihr Auge gezogen, darum 25
ſehen Sie Weimar ſchwarz. Wie, hätte man ſich ſo verändert? un-
möglich. — Einer aber verändert ſich leichter als viele, wie Sie.] —
Ein Hof iſt nur für den ein verſchüttendes Bergwerk, der darin Gold
aufſucht. —
[Ich liebe die ungleichartigſten Seelen ſo ſehr — wie Herder und 30
Knebel, daß ſie meinem Herzen das ihre nicht verſagen können.]
Das mänliche Herz iſt geräumiger als das weibliche, in dem blos ein
Ehebette und eine Wiege aufzuſtellen iſt und mehr nicht.
[Ihr Brief hat mir bitterſüſſe Thränen gekoſtet.] — Dein groſſes
Herz verhungert und verwelkt in der öden Welt. Du glaubſt, Männer- 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/316>, abgerufen am 16.02.2025.
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